Fünf und zwanzigster Brief.

An den Herrn von Hohenau in Nürnberg.

[239] Urfstädt den 19ten November 1771.


Ich habe nun alle Eure Briefe, Ihr guten Leute! richtig erhalten, und danke Euch herzlich, daß Ihr, auch auf der Reise, Meiner so fleißig eingedenk seyd. Verzeyhe mir es nur, mein liebster Carl! wenn ich nicht immer an Dich einzeln schreibe. Ich habe jetzt viel Geschäfte, und da es früh dunkel wird, und meine Augen schwach werden; so kann ich des Abends auch wenig ausrichten, besonders, da ich mich gewöhnt habe sehr klein zu schreiben, und in meiner Jugend, wenn man mir anrieth, größere Buchstaben zu machen, nicht folgen wollte.[239]

Ich bin überzeugt, daß Deine Reise, in allem Betracht sehr nützlich für Dich seyn wird, und es freuet mich, daß Du einige gute, mit Dir sympathirende Menschen angetroffen hast. Das ist gar süß, so verschwisterte Seelen zu finden. Ach! es giebt nur Eine Familie der bessern Menschen, eine alte adeliche Familie, klein, beynahe ausgestorben, in verschiedene Länder zerstreuet, doch so, daß sie sich wiederkennen, wiederfinden. Zu dieser gehören auch wir; das kann ich mit Zuversicht sagen; und unsre Ahnenprobe ist in unser weiches Herz gegraben.

Wenn Du nach München kömmst, und das Opernhaus siehst; so erinnere Dich Meiner; Denn ich habe dort einmal eine kleine Demüthigung ertragen. Die Sache an sich ist unwichtig, beweiset aber doch, wie ungern gekränkte Eitelkeit vergißt. Ich saß nemlich, als ein junger Mensch, in der nächsten Loge dem Theater zur Rechten. Ich[240] war ein bisgen früh gekommen, und noch waren wenig Menschen da. Ein alter Graf von Isenburg, der auch allein in einer andern Loge stand, kam zu mir herüber, und ließ sich in ein Gespräch mit mir ein. Anfangs gieng das Ding gut, und der alte Mann schien Geschmack an meiner Unterredung zu finden. Wir kamen aber nachher auf einen Gegenstand, wovon ich nichts verstand, und vermuthlich aus Naseweisigkeit etwas so schiefes vorbrachte, daß der Greis, ohne mir zu antworten, noch sonst etwas zu sagen, aufpackte und fortgieng. Diese Lection war mir auf lange Zeit nützlicher als eine Predigt über den Vorwitz gewesen seyn würde, und noch jetzt, da ich es nicht habe vergessen können, schäme ich mich, und mögte mich dem Manne, der längst im Grabe liegt, von einer vortheilhaftern Seite zeigen.

Deine Charlotte besucht mich oft mit der Frau von Weckel. Sie zeigt mir so viel Zutrauen und Aufmerksamkeit, als wenn sie[241] meine eigene Tochter wäre, und in Wahrheit! ich gewinne sie täglich mehr lieb. Fürchte Dir nur! Es wird wohl am Ende so kommen, daß wir einen Bund gegen Dich machen, oder gar, daß wir Dich reisen und ich mich indessen mit Deiner Braut trauen lasse.

Die bösen Weiber plagen mich unaufhörlich, ich solle die Zeit Deiner Reise abkürzen, aber ich halte mich fest wie ein Mann. Unterdessen hatten sie es gestern doch so listig angelegt, daß ich in so weit nachgeben mußte, es nur bey Einem Jahre bewenden zu lassen. Sie hatten mich sonderbar gefaßt. Zuerst bathen sie um allerley Kleinigkeiten, wovon sie wußten, daß ich mich ungern darauf einlassen würde, z.B. ich sollte mich abmalen lassen, sollte mit ihnen auf einen Ball gehen und d. gl. mehr. Das alles wurde in Gnaden abgeschlagen, und da kam es dann an die Hauptsache, wo ich, um nicht für einen wunderlichen Mann zu gelten, wohl ein[242] wenig nachgeben mußte. Indessen, mein lieber Sohn! suche nur von diesem Jahre recht Vortheil für Kopf und Herz zu ziehen.

Ich habe die Bücher gelesen, welche Du mir empfohlen hast. Ich wundre mich gar nicht mehr darüber, daß schwache Köpfe Religionszweifel haben können, seitdem ich weiß, daß ein so großer Astronom als de la Lande, ein Atheist ist, das heißt: an der Existenz des Kochs zweifeln, dessen Pastete wir essen. Uebrigens bekümmert mich das sehr wenig. Es giebt, dünkt mich, nur Einen Beweis für die Aechtheit einer Lehre, und das ist der, wenn sie mich glücklich und ruhig macht. Was geht es mich an, ob historische Beweise für die Aechtheit der Bibel da sind, oder nicht! Wer eine bessere, glücklicher machende, einfachere, ältere, natürlichere, die Menschen zu besserer Seelenruhe und Tugend führende Lehre kennt, als die Lehre Jesu, der thut sehr unrecht diese für göttlich zu halten, hätte sie auch alle Beweise[243] vor sich – Braucht es denn eines andern Beweises, daß dieser Baum ein Apfelbaum ist, als wenn ich die reife Frucht davon brechen kann? Es geht damit, wie mit der Aechtheit der Freymaurer-Logen. Diese zanken sich unter einander um das Recht Constitutionen zu ertheilen. Gebt Aufschlüsse, nicht Spielwerke, und arbeitet besser für das Wohl der Welt; so seyd Ihr gewiß ächt; Thut Ihr aber das nicht, was helfen mir Eure Verbriefungen?

Jetzt will ich noch ein Paar Worte an Meyer schreiben. Lebe wohl, mein lieber Carl! und vergiß nicht


Deinen

treuen Freund

Leidthal.[244]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 239-245.
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