Sieben und zwanzigster Brief.

An den Herrn Etatsrath Müller in Coppenhagen.

[261] Amsterdam den 20sten Novemb. 1771.


Bester, theuerster Vater!


Kömmt es Ihnen vor, als wenn Sie lange nichts von Ihren Kindern gehört haben; so klagen sie nur nicht Ihre Tochter an. Meine häuslichen Geschäfte, eine itzt glücklich überstandene Krankheit meines Kindes, und der Besuch von einigen Fremden, hat mir die Zeit zum Schreiben geraubt, und dann verließ ich mich auch auf den lieben Bruder Fritz, der Ihnen von Unserm Befinden Nachricht geben sollte, aber, wie ich eben mit Schrecken erfahre, seit drey Wochen nicht an Sie geschrieben hat.[261]

Seyn Sie indessen unbesorgt um uns. Es geht uns wohl, und der Himmel segnet unser Hauswesen. Nun rückt bald die Zeit heran, da ich mich der Erziehung meines Kindes widmen muß. Ich verliehre nie die Regeln aus den Augen, welche Sie, theuerster Vater! meinem Herzen eingeprägt haben, suche mich selbst zu bilden, und lese dabey, so viel es mir die Zeit erlaubt, gute Schriften über Erziehung. Allein, ich bekenne gern, daß wenn ich andrer Leute Kinder so handeln und weben sehe, ich nur einen kleinen Theil der Regeln, welche ich aus Büchern lerne, anwendbar finde. Aus dem eigenen Umgange mit Kindern kann man wohl den sichersten Leitfaden nehmen, welchen man folgen soll. Auch erinnere ich mich einmal von Ihnen gehört zu haben, daß man überhaupt aus dem Umgange mit Kindern mehr als von erwachsenen Leuten lernen könnte.

In unsres Freundes Lescow Hause gefällt mir die Erziehung nicht. Dort herrschen[262] Madam Beaumonts Schriften, in welchen ich eine Menge theils unzweckmäßiger, theils ganz falscher Sätze finde. Ist es z.B. vernünftig den Kindern, wie sie es im Magazin des Adolescents thut, zu sagen: Alles Gute, so sie thäten, werde nur von Gott gewürkt, sie seyen blos Maschinen, das Böse hingegen komme allein von ihnen her? Und unter den Märchen, welche die Hofmeisterinn erzählt und erzählen läßt, sind einige höchst abgeschmackt.

Lescow hat bey seinen Kindern einen Informator, der, meiner Meinung nach, auch eine sehr verkehrte Methode hat. Sie haben mich gelehrt auf kleine Züge Acht haben; Da sah ich nun einmal, daß der Mann mit seinen Zöglingen im Gartenhause saß, und seine Pfeife anstecken wollte. Er nahm also ein papiernes Püpchen von einem der Kinder und zündete den Tabac damit an. Das gefiel mir nicht. Ich mögte niemands Puppe verbrennen, das weiß Gott, und am wenigsten zu[263] meinem Vortheile. Er hat auch ein bittres Pulver von Kräutern, davon muß derjenige eine Portion einnehmen, der unartig gewesen ist.

Von des Bruder Peters Betragen ist Fritz nicht ganz zufrieden. Er legt sich zwar ziemlich fleissig auf die Handlung, ist aber nicht gefällig, nicht einschmeichelnd genug, und das muß doch ein Kaufmann auch seyn. Ich glaube er hat zu viel Phlegma in der Mischung seines Characters.

Von Ludwig habe ich gestern einen Brief aus Dresden bekommen; Er beneidet dem Herrn Meyer das Vergnügen, künftiges Frühjahr unsern Christoph in Neuwied zu sehen.

Bey Lescow lebt itzt eine Verwandtinn, eine junge Philippine N ..., die ein unglückliches Schicksal hat. Ihre Geschichte konnte wahrlich Stoff zu einem theatralischen[264] Stücke geben. Sie ist kürzlich diese: Seit langer Zeit war in ihrer Mutter Hause ein Mensch bekannt, der für einen Freund ihrer Eltern galt. Er war ein hübscher, kluger und einschmeichlender Mann, welcher für die Tochter so viel Interesse zeigte, daß dadurch, und durch seinen angenehmen Umgang, das Herz des jungen Mädgens gänzlich sein Eigenthum wurde. Ihre Leidenschaft zu ihm wuchs zu einem so hohen Grade, und sie glaubte so sicher von ihm geliebt zu seyn, daß sie oft im Begriff war, ihrer Mutter ihr Herz aufzudecken; Nur glaubte sie zu bemerken, daß die Zuneigung des Freundes zu ihr mehr das Gepräge einer verwandtschaftlichen Zärtlichkeit führte, und es befremdete sie, daß der Mann ihr nie eine Erklärung gethan, ohngeachtet er sich oft mit ihr allein befunden, und sie mit Thränen in den Augen an sein Herz gedrückt hatte. Er schien sich im Gegentheil immer in solchen Augenblicken von ihr loszureissen, als wenn er ein gewisses Geständniß unterdrücken müßte. Endlich wurde die[265] Mutter tödlich krank. Die Tochter saß neben dem Bette, und empfieng mit zerrissener Seele die letzten Lehren und Warnungen von der Sterbenden. Nun wagte sie es, ihr das Bekenntniß ihrer Liebe zu thun, und sie um ihren mütterlichen Segen zu einer Verbindung mit dem Freunde ihres Herzens anzuflehen – Aber welche Entdeckung! die Mutter bebte zurück, und entwickelte nun das Geheimniß, das sie, zu Bedeckung ihrer Schande, so gern mit in das Grab genommen hätte. Der Freund des Hauses war Philippinens Vater, und sie, das arme Kind, also die Frucht einer Verirrung ihrer Mutter, welche itzt dafür einen harten Kampf zu kämpfen hatte. Sie starb, ohne das Geheimniß ihrem Manne, der eben abwesend war, entdecken zu können, und Philippine verließ sogleich das Haus, meldete ihre Verlegenheit dem Herrn Lescow, und derselbe nahm sie bey sich auf. Ob man dem Manne, der ihr Vater zu seyn glaubt, und der sie zärtlich liebt, bey seiner Zurückkunft aus Schweden,[266] die Sache entdecken wird, weiß ich nicht, aber das weiß ich, daß das arme Mädgen sehr zu beklagen ist; Sie hat auch viel schwermüthige Stunden, und wird zusehends mager.

Nun, theuerster Vater! muß ich wohl schliessen. Ich küsse Ihnen nebst Mann und Kind ehrerbiethigst die Hände, als


Ihre

gehorsamste Tochter

Sophie von der Hörde.[267]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 261-268.
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