12.

[362] Dennoch aber ist auch keineswegs der Wunsch, sich dankbare Menschen durch Wohlthaten zu verbinden, tadelnswerth, am wenigsten dann, wenn man zwischen diesen und schlechtdenkenden, unerkenntlichen Leuten zu wählen hat, und seine Freygebigkeit und Dienstfertigkeit nicht auf Alle ausbreiten kann, sondern, nach der Eingeschränktheit seiner Kräfte, ihnen Grenzen setzen muß. Warum sollten wir, wenn unser Herz warm für Andre schlägt, nicht auch wünschen dürfen, daß sie Regungen von eben so zärtlicher Art für uns empfinden? Und warum sollten wir nicht gern diese Stimmung in ihnen, durch freundschaftlichen Beystand zu erwecken suchen? Man tadelt oft verständige[362] Männer, die sich dem, was man gute Gesellschaft nennt, entziehen und ihr Leben im vertraulichen Umgange mit Personen ohne Cultur, Erziehung und Talente hinbringen; Reiche, die, Statt sich mit Frauenzimmern ihres Standes zu verbinden, Mädchen aus den so genannten niedern Classen zu Gattinnen wählen; Leute, die einem alten, geprüften Diener ausschließlich ihr Zutraun widmen, indeß sie ihre nächsten Verwandten verabsäumen und von sich entfernen; oder die gar allen menschlichen Umgang fliehen und auf die sonderbare Grille verfallen, ihre ganze Sorgfalt und Zuneigung einem treuen Hunde, oder andern Hausthiere zu schenken; aber wisset Ihr auch, wie oft diese guten Leute, zum Preise für das wohlwollendste, liebevollste Herz, von den fein cultivirten Herrn und Damen, die uns und die ganze Welt nur zu ihrem Dienste geschaffen glauben, mit schwarzem[363] Undanke sind belohnt, für gutmüthige Hingebung und Aufopferung verspottet, betrogen, von dem schändlichsten Eigennutze gemisbraucht worden, bis sie endlich, um doch irgend ein Geschöpf zu finden, das ihre Liebe nicht zurückstieße, einen Gegenstand ihrer Anhänglichkeit gewählt haben, von dem sie Erwiederung und Erkenntlichkeit erwarten durften? Würklich übertrifft es auch alle Vorstellung, wie unfein der Eigennutz auf reiche und bereitwillige gute Menschen mit Bitten und Zumuthungen losstürmt, bis diese endlich, nach manchen unangenehmen Erfahrungen, dahin gebracht werden, mit anscheinender Härte, solche Zudringlichkeiten zurückzuweisen und Dienstleistungen abzuschlagen, die sie, ohne Ungerechtigkeit gegen sich selbst und die Ihrigen, nicht gewähren können.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 362-364.
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