Der 2. Absatz.

Von der Mutter GOttes.

[2] Ein gantz besonderer Platz / und Rang / ein über alle andere Geschöpff weit erhöchte Ehren-Stell gebühret der Mutter des Allerhöchsten und Erschaffers aller Dingen / als einer Königin des Himmels und der Erden / der Engel und Menschen. Es ist zwar das Lob / die Würde und Hochheit Mariæ gantz unermessen groß / doch kan es einiger massen in kurtzem Begriff verfasset werden / wann man nur sagt / sie sey ein Mutter GOttes / und zwar ein Jungfräuliche / ein unbefleckte Mutter / durch eine gantz unerhörte Gnad GOttes ohne alle Mackel der Erb-Sünd empfangen /und von dem Zundel der Sünd / wie die HH. Vätter reden / von aller bösen Begierlichkeit gantz und gar befreyet und ausgenommen.8

Was ferners ihre Beschaffenheit anbelangt / so ist sie nach Zeugnuß des Himmlischen Bottschaffters voll der Gnaden: ich sage / voll der allerhöchsten und fürtrefflichsten Gnaden / mit welchen sie an Leib und Seel so reichlich begabt und gezieret ist / daß sie alle andere Heilige weit mehr als die Sonn die kleinere Sternen / der Diemant ein gemeines Glas / und das reiniste Gold ein schlechtes Bley oder Eisen über trifft.9 Gratia plena, & in tantùm plena, sagt Richardus à S. Laurentio, ut ex tuo reduntante totus hauriat mundus.10 Also voll der Gnaden / daß von ihrem Uberfluß die ganze Welt geniesset.

Es ist zwar ein Gedicht der Poeten / daß der Gott Jupiter einstens alles schöns und Gutes / alles Glück und Heyl / so auf der gantzen Welt zu finden ware / in ein guldene Büchs oder Geschirrlein zusammen verschlossen habe / dieselbige aber der schönen Pandoræ übergeben / und bestens zu verwahren anbefohlen.11 Aber die Pandora habe aus angebohrnem Weiblichen Vorwitz das Geschirrlein unbehutsam eröffnet zu sehen was doch darinn verschlossen seye /und alsobald seye alles Glück und alles Gutes / als wie ein Vögelein darvon und gen Himmel aufgeflogen / ihr aber nichts als die leere Büchs in Händen geblieben.

Aber ein Christliche Wahrheit ist es / daß Maria seye ein auserwähltes gantz guldenes Geschirr /mit allerley Edelgestein versetzt / ich will sagen mit allen Tugend- und Vollkommenheiten / geziert mit dem Glauben der Patriarchen / mit der Hoffnung der Propheten / mit der Liebe der Apostlen / mit der Gedult und Standhafftigkeit der Martyrer / mit der Andacht und dem Eyfer der Beichtiger / mit der Unschuld und Reinigkeit der Jungfrauen.12 In disem guldenen Geschirr / in Maria hat der Himmlische Jupiter der wahre GOtt / alles Schöns und Gutes / alle natürliche und übernatürliche Gaaben und Gnaden /alles Glück und alles Heyl für die Menschen eingeschlossen: den Trost für die Betrübte / die Hoffnung für die Kleinmüthige und Verzagte / den weisen Rath für die Unwissend- und Irrende / den Schutz und die Sicherheit für die Angefochtene / die Gesundheit für die Krancke / das Leben für die Todte / die Gnad für die Sünder / und die Belohnung für die Gerechte. Ja sich selbsten hat GOtt in diesem guldenen Jungfräulichen Geschirr / das ist / in Maria eingeschlossen /dann er ware allzeit auf ein absonderliche Weiß mit und bey Ihr: Dominus tecum:13 In ihrer Empfängnuß durch die Befreyung von der Mackel der Erb-Sünd /in der Geburt durch die vollkommene Eingiessung seiner Gnad / in der Reinigung durch die Aufopfferung seiner Persohn / in der Verkündigung durch die Annehmung der Menschlichen Natur aus ihr / in ihrer Himmelfahrt durch die seeligmachende Anschauung. Dises guldene Geschirr hat der Allerhöchste der schönen Pandoræ, ich will sagen / der[3] Christlichen Kirchen zu verehren anvertraut und anbefohlen. Es ist zwar Maria samt all ihren geistlichen Schätzen und Kostbarkeiten in den Himmel hinauf geflogen / sie ist mit Leib und Seel aufgefahren: doch aber hat sie uns nicht / als wie das Glück und Heyl Pandoram verlassen / sonder sie steht noch immer vor dem Göttlichen Gnaden-Thron / zur Rechten des Himmlischen Königs / für die armseelige Menschen / die sie anruffen /ein Mittlerin und Fürsprecherin abzugeben / ihnen die nothwendige Hülff und Gnaden zu erbitten.14 Sie ist nicht nur ein Zierd und Freud deß Himmels / sondern auch ein Schutz und Trost der Erden / ein Schrecken der Höllen / sie ist ein Himmlischer Canal / durch welchen uns die Göttliche Gaaben und Gnaden zufliessen / und ein lebendige Schatz-Kammer des Allerhöchsten / aus welcher unser Nothdurfft gehoben /und unser Armuth bereichet wird. So laßt uns dann öffters in dem Leben / und absonderlich in dem Sterben von Hertzens-Grund zu ihr ruffen:


Maria Mater gratiæ,

Mater Misericordiæ:

Tu nos ab hoste protege,

Et horâ mortis suscipe!


Maria Mutter der Gnaden /

Mutter der Barmhertzigkeit:

Daß der Feind uns nicht könn schaden /

B'hüt uns in dem letzten Streit.


Von GOTT / und der Mutter GOttes wird öffters Gelegenheit seyn ein mehrers zu melden in unterschidlichen nachfolgenden Materien.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 2-4.
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