Der 2. Absatz.

Von dem Crystall und von den Corallen.

[133] Der Crystall ist eines aus den schönsten Dingen / die sich in dem finstern Erd-Gebäu befinden; dann er ist ein weisser / reiner / gantz klar und glantzender harter Stein / und vollkommen durchsichtig.7 Er wächst an unterschiedlichen Orten in den Bergen / bevorab in West-Indien. In der Landschafft Guiana soll ein fast gantzer Berg von Crystall seyn. In Schweden wird auch Crystall gefunden / und viel verarbeitet.

Einige / wie auch Herr Joh. Hübner in seinem Natur- und Kunst-Lexico, wollen behaupten / daß in dem Pyreneischen[133] Gebürg / allwo der Schnee und das Eiß in 100. und mehr Jahren nie vergehet oder geschmoltzen ist / derselbe endlich zu Crystall werde: aus Ursachen / daß auf solche Weiß der Crystall aberim Feuer nicht dauren kunte / wird dise Meynung von anderen verworffen. Neben dem / daß es auch in hitzigsten Ländern vieles Crystall gibet. Meines Erachtens / salvo meliori judicio, kunte dieser Streit leicht gehoben werden / wann man sich auf den Augenschein und die Erfahrnuß beziehete / ob nemlich der Crystall nur oben und ausserhalb den Bergen gefunden / oder auch aus der trocknen Tieffe derselben (wo kein Schnee noch Eiß hinkommt) gegraben werde.

Indessen mag es wohl geschehen / daß auch ein gar hart und lang gefrornes Eiß dem Crystall zimlich gleiche / und auch ein Weil lang in der Hitz dauren möge.

Ubrigens kan man viererley Crystall unterscheiden. Der erste ist / so gantz hell / wie Eiß aussihet / und Crystallus Montana, Berg-Crystall genennet wird: der 2te ist pechig und wird iris genennt / weil er dem Gesicht unterschiedliche Farben / wie ein Regenbogen vorweißt / wann man ihn über das Aug halt und dardurch sihet: der 3te ist ein gelblichter: und der 4te halbrund / das ist / untenher glatt / und oben gewölbt / und deßwegen wie ein Brenn-Spiegel kan gebraucht und etwas damit angezündet werden: diser solle härter und besser als die andere seyn. Was für unterschiedliche schöne Gefäß und Figuren / absonderlich zu Venedig aus dem Crystall geschnitten werden / das ist genugsam bekannt.

Wie ich in dem mehrgemelten Indischen Lust-Garten lise / so soll in den Silber-Bergen bey Schemnitz in Ungarn ein Art von Crystall wachsen / welcher sehr klar / und zu Zeiten ungemein grosse Stücker darvon angetroffen werden: wobey auch dise Eigenschafft und Rarität zu sehen / daß selbiger Crystall aller von Natur 6. eckig formirt oder gespitzet / und gleichsam vor sich selbst schon polirt und geschliffen ist. Vor Jahren hat man aus denen Kupfer-Bergen eines Ungarischen Palatini Grafens Franc. Wasselini, ein Stuck Crystall bekommen / welches über ein Centner schwer ware: weßwegen selbiger Herr einen fürnemmen Künstler beschicket / der ihm ein Monstrantz oder etwas dergleichen daraus machen soll / um solches dem Römischen Kayser zu præsentiren. Einige wollen zwar / daß es in Orient kein wahres Crystall gebe /sondern nur eine andere gewisse Materi / die dem Berg-Crystall gleich sehe.

Hingegen liset man von dem Reich Chili, daß mitten auf der Insul eines grossen Flusses ohnweit von dem Gebürg Andes ein gantzer Felsen von Crystall zu sehen seye / woraus die heydnische Americaner vor Zeiten einen gantzen Götzen-Tempel / der von allen Seiten durchsichtig ware gar künstlich ausgehauen /und aufgebauet haben. Wie Kircherus in mund. subterr. meldet.

Ja ein gantz Crystallener Tempel / in welchem der wahre GOtt mit Lust und Freuden wohnet / ist ein reines Hertz und gutes Gewissen: dann gleichwie das Crystall schön weiß / klar / glantzend und starck ist: also und noch vielmehr ist ein reines Gewissen /schön weiß von der Unschuld / glantzend an der Tugend und Gottseeligkeit / auch starck und standhafftig in aller Gefahr / Trübsal und Beschwerden: es förchtet sich vor nichts als vor der Sünd.8


Etsi fractus collabatur orbis,

Impavidam ruinæ ferient.


Wann auch die Welt sollt untergehen /

So bleibt es dannoch aufrecht stehen.


Wann man mit dem geschnittenen Crystall die Sonnen-Strahlen auffangt / da kan man leicht etwas darmit anzünden / oder auch verschmeltzen. Eben also thut ein reines Gewissen / indem es die häuffige Strahlen der Göttlichen Gnaden-Sonnen in sich empfanget / und davon entzündet wird / gemeiniglich durch seinen hitzigen Eyfer auch andere laue Hertzen erwärmen / und mit der Liebe GOttes entzünden.

[134] Francisco Fernandez hat ein Schiffer neben anderen Edelgesteinen / die er aus denen Philippinischen Inslen hat mitgebracht / einen gantz klaren Crystall gewiesen / in dessen Mitte ein Saphir-blaues Lämmlein gesessen / (von Natur also gestaltet) welches ein Creutz auf den Schultern getragen hat. Dises war ein recht grosses Wunder der Natur / aber ein noch grösseres Wunder der Gnad ist es / daß das wahre und unbefleckte Lamm GOttes in einem reinen Hertzen /in einer reinen Seel sich befindet / und ihr das Creutz / das ist / die Lieb zu dem Creutz und Leyden einpflantzet.9 Ein solches Crystallines / oder Crystall- reines und mit dem Lamm GOttes prangendes Hertz hat unter anderen die Heil. Jungfrau Gertraut gehabt /als von welchem Christus selber gesagt hat: In corde Gertrudis invenietis me. In dem Hertzen Gertrudis werdet ihr mich finden. Es schreibet Nierenbergius Hist. nat. lib. 16. c. 22. Es seye ihm ein Crystall unter die Augen kommen / über 2. Finger hoch / also hell und durchscheinend / als wann es ein lauterer Lufft wäre: in selbem seye die Gestalt einer Schlang gewesen / welche ihr Maul gegen einem Lämmlein aufgesperrt habe / als wolte sie es verschlingen: aber das Lämmlein hab ihr zu seiner Beschützung ein Creutz entgegen gestellt. Abermahl ein schöner Entwurff einer Crystall reinen unschuldigen Seel. Wann die höllische Schlang einschleichet / sich wider sie auflehnet / und das Lämmlein / das ist / die Unschuld verschlingen will / so halt sie ihr nur das Creutz / die Krafft / den Schutz des Gecreutzigten entgegen / so wird sie ihr nicht schaden können.

Also hat es gemacht ein gewisse Heil. Jungfrau /welche zu Lebs-Zeiten den Gecreutzigten also hertzlich geliebt / und sein Leyden so offt und so anmuthig betrachtet / daß als man nach ihrem Todt sie eröffnet hat / da hat man in ihrem Crystall-reinen Hertzen die Instrumenten des Leydens Christi / nemlich das Creutz / die Lantzen / Nägel und Cron etc. gantz deutlich abgebildet gefunden.

Es soll der Crystall die Krafft haben trefflich abzukühlen und den Durst zu benemmen / wann er zerstossen und mit Hönig vermischt wird: Er erfüllet alsdann auch mit Milch die Brüst der säugenden Frauen / und vertreibt das Grimmen und Schmertzen des Ingeweids. Vast eben also in sittlichem Verstand der Crystall der Unschuld und des reinen Gewissens mit dem Hönig der Andacht und des himmlischen Trosts vermengt / kühlet ab die Hitz der bösen Begierden /und löschet den Durst / das ist / das Verlangen nach den zeitlichen Güteren etc. Sie erfüllet auch die geistliche Brüst der Seelen / ich will sagen / den Verstand und Willen des Menschen mit Milch / das ist / mit dem Einfluß himmlischer Gnaden / und vertreibt das Grimmen / verstehe den innerlichen Schmertzen / welchen die Seel sonst empfinden thäte in der Trübsal und Verfolgung / wann sie nicht durch den Crystall des reinen Gewissens / und der Unschuld darvon befreyet wurde.

Von dem Crystall begibe ich mich zu den Corallen / aus den Bergen widerum in das Meer.10 Dann zu wissen ist / daß die Corallen anfänglich kein Stein /noch hart / sondern weich seynd / und auf dem Grund des Meers / oder auch an den Klippen und Felsen /doch unter dem Wasser schier wie Aestlein an den Bäumen wachsen / und erst alsdann hart wie Stein werden / wann sie von den Taucher oder Schwimmeren aus dem Wasser herfürgebracht worden und an den Lufft kommen. In dem Wasser seynd sie schleimicht und grünlecht / an dem Lufft aber werden die bessere roth / die schlechtere aber weiß oder schwartzlecht: sie werden gemeiniglich zimlich klein /als wie Stäudlein von kleinen Bäumlein heraus gebracht / doch auch zu Zeiten zimlich groß.

Die Corallen wachsen häuffig in dem Mittelländischen Meer: die Corallen-Fischerey aber fanget an in dem April / und endiget sich in dem Julio: und wann man zu gewisser Jahrs-Zeit die äussere Spitz oder End derselben[135] trucket / da gehet ein gewisser Safft heraus: andere sagen / die Corallen haben / und lassen etwas von sich / etwas schier wie ein Coriander-Saamen / und dieses solle der Saamen seyn / durch welchen sie fortgepflantzt und vermehrt werden: da wo er hinfallt / auf den Boden oder Stein etc. im Meer / da kommt ein neues Corallen-Bäumlein oder Gewächs herfür. Mithin geschihet es / daß man an unterschiedlichen Orthen unter dem Wasser gleichsam gantze Wäldlein und Corallen-Bäumlein antrifft: absonderlich in dem rothen Meer / aus dessen Grund die Fischer offt häuffige Corallen herfür bringen. Ja sie sollen da öffters so hoch wachsen / daß die Zweig oder Zincken aus dem Wasser herfür stechen / und den Schiffenden im Weeg stehen.

Man findet sie auch immerdar häuffig an dem Ufer ligen / wohin selbe das Meer auszustossen pflegt (wie die / so in das Heil. Land wallfahrten / bezeugen) doch nicht lauter rothe / sondern auch viel weisse. Auch das Ost-Indische und Sicilianische Meer zeuget eine Menge so wohl rothe als schwartze Corallen etc.

In der Kunst-Cammer zu Florentz siehet man unter anderen Raritäten einen Todten-Kopff / daraus ein Corall-Zweig heraus gewachsen ist. P. Kircherus in seiner Kunst-Cammer hat einigen ein gantzes Stuck von einem Felsen gewiesen / welches überall mit Austern und Corall-Zweigen überwachsen war / welche ohne eintzige Wurtzel dem Stein anhiengen oder anklebten. Bey dem Cardinal Barberini ware ein Corall-Pflantzen zu sehen / welches untenher schwartz / in der Mitte weiß / und hernach wiederum schwartzlicht ware.

Ubrigens ist es gewiß / daß die rothe Corallen schöner bleiben / ja noch röther werden / wann sie ein gesundes Manns-Bild traget / hingegen bey den Weibs-Personen sich entfärben und in etwas erblassen.

Was aber die Artzney-Krafft der Corallen anbelangt / so werden unterschiedliche Artzneyen daraus præparirt: bevorab die Corallen-Tinctur / als ein dem Gifft und anderen schweren Zuständen widerstrebendes Hertzstärckendes Mittel etc.

Durch die zweyfache und unterschiedliche Beschaffenheit der Corallen in und ausser dem Wasser wird einiger massen der Unterschied des Menschen in dem Stand der Trübsal und der Wohlfahrt angedeutet. Dann viel Menschen gibt es / welche so lang sie in der Tieffe / das ist / in einem niederträchtigen Stand seynd / und von dem bittern Meer-Wasser / ich verstehe mit Bitterkeit der Armuth / Kranckheit oder anderen Trangsalen umgeben / und gleichsam überschwemmet seynd / da seynd sie (wann sie selbe gedultig übertragen) als wie die Corallen in dem Wasser weich und weiß oder grün / das ist / sie seynd gelind und geschlacht / sie lassen sich gern zum guten biegen und lencken / nach der Regel der Vernunfft / und Anweisung der Oberen: weiß aber / wegen aufrichtigem und unsträfflichem Lebens-Wandel: und grün wegen steiffer Hoffnung auf GOtt allein / als zukünfftigen Belohner ihrer Gedult und ihres Leydens. Aber wann sie durch gehes zeitliche Glück / durch die Gunst ihrer Patronen aus der Tieffe dises bitteren Wassers ihres armseeligen Stands heraus gezogen /und zu einer Ehren-Stell oder Reichthum erhoben werden / da werden sie hart / das ist / unbändig und hartnäckig oder eigensinnig und unbarmhertzig: sie werden auch roth / das ist / entzünd / oder aufbrinnend in der Hoffart / in dem Geitz und Zornmuth etc. Disen wäre es viel besser und nutzlicher / wann sie in der Tieffe des bitteren Gewässers ihres geringen und müheseeligen Stands wären gelassen worden.

Man sagt / daß die rothe Corallen-Bäumlein / wann man selbe bey sich hat / die Krafft haben / den Donnerstreich abzuhalten / auch die hinfallende Kranckheit / und den Blut-Fluß zu verhüten: ob nun disem also / daß laß ich dahin gestellt seyn: aber das ist gewiß / daß der rothe mit dem kostbaren Blut Christi gefärbte Creutz-Baum / wann man selben durch fleißig und[136] ehrenbietiges Angedencken bey sich im Hertzen tragt / die Krafft habe / den Donnerkeil des Göttlichen Zorns von uns abzuwenden / und von tödtlichen Kranckheiten der Seelen zu befreyen.11

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 133-137.
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