Der 6. Absatz.

Von dem Zucker.

[143] Sacharum, der Zucker / ist ein süsser fetter Safft oder Marck eines gewissen Rohrs / welches etliche Knotten oder Absätz und grosse stechende Blätter hat / ein oder zwey Daumen Dick ist / und gemeiniglich 7. biß 8. Schuh hoch aufwachset.35

Wann man aber den Zucker aus disen Röhren sammlen und zubereiten will / da werden sie aus dem Boden gezogen oder abgeschnitten in kleine Stuck /etwan einer Hand breit zerschnitten / und der Safft /so sich darinn befindet / durch ein gewisse Preß heraus getruckt. Dise Preß bestehet in zwey auf einander gehenden Waltzen / die von der Zucker-Mühle stets mit grossem Gewalt umgetriben werden. Die Mühle selbsten aber wird von dem Wasser / Menschen oder Pferd getrieben. Aus dieser Pressen laufft der süsse Safft durch ein Rinnen oder Canal in einen grossen Kessel / in welchem er mit wenig Wasser vermischt wird / und gewisse Stunden lang gesotten / biß daß er schaumt / die wässerige Feuchtigkeiten ausdämpfen und einkochet. Alsdann schüttet man ihn in irrdene Gefäß / welche obenher weit / unten aber eng oder zugespitzt seynd / in welchen er als wie ein Saltz erhartet: und biß dahin bleibt der untere Theil dises irrdenen Geschirrs verstopffet: hernach aber wird es eröffnet / damit der grobe schleimige Safft heraus lauffe /der gute Zucker aber durch dessen Absonderung gereiniget werde. Uber diß wird der obere Theil mit Thon oder gewissem Leim zum öfftern geschmieret /welches den Zucker noch reiner und weisser machen soll.

Dises ist nun die erste Arbeit / so man mit dem Zucker hat: aber es verbleibt noch nicht darbey / sonder damit er vollkommen weiß und rein werde / macht man eine Laug von ungelöschtem Kalch und Wasser /giesset solche mit Eyerweiß auf den Zucker: alsdann siedet und rührt man ihn beständig / biß er den noch überbliebenen Schleim ausschaumet: damit aber die gemelte Laug wider sauber darvon komme / so wird der schon gesottne Zucker durch ein Tuch gesiegen /und wider aufs neu so lang und fleißig gesotten / biß daß die Laug sich gäntzlich verliehrt / und verzehrt ist. Alsdann thut man ihne abermahl in die oben breite und unten enge irrdine Geschirr / bestreicht sie wie zuvor zum öfftern / und also wird er endlich zu seiner Vollkommenheit gebracht.

Nachdem nun der Zucker besser oder schlechter zubereitet ist / oder aus einem Orth herkommt / nachdem wird er auch unterschiedlich benahmset: als der gemeine Koch-Zucker / der Melliß / und Canarien- Zucker etc.

Das Zucker raffiniren / oder die Kunst Zucker zu sieden / ist den Alten nicht bekant gewesen / sondern sie haben[143] mit dem Zucker müssen für lieb nemmen /wie ihn die Natur gebracht hat / und wie er aus den Rohren geschweißt oder getropffnet / und alsdann wider verhartet ist. Auch ist noch zu wissen / daß der ausgepreßte Zucker-Safft kein Tag-lang dauren könne / daß er nicht saur wurde / wann nicht gleich nach dem Auspressen das Kochen oder Sieden folgen thäte: aus dem versäurten Safft aber mag kein Zucker mehr zuwegen gebracht werden / sondern vilmehr / wann man ihn nur ein paar Tag lang aufbehielte / wurde er in einen scharffen Eßig verwandlet werden.

Den Candi-Zucker oder Zucker-Candi insonderheit belangend / wird selber nicht also genennt von der Insul Candia / wie eine vermeint haben / noch à candore von der Weisse: sondern der Crystall-hell und weisse Cand oder Candi-Zucker wird von anderen /aber allerbesten Zucker bereitet: der braune Zucker-Candi aber kommt von dem so genannten Thomas-Zucker / wie sein braun- oder gelblechte Farb anzeiget; massen aus St. Thomas-Insul niemahl ein klarer oder recht weisser Zucker kommt.

Es wachsen aber die obgemelte Zucker-Röhr häuffig in America an unterschiedlichen Orthen: die Portugiesen haben selbige aus den Canarischen Insulen in West-Indien gebracht / und werden gantze Ried darmit angebaut / jährlich abgeschnitten und wiederum neue gepflantzet. Dergleichen Zucker-Ried gibt es auch in China und Ost-Indien / meisten an den Pfülen und Morasten: auch in Guinea / bey Alkayr in Egypten / und bey Tripoli in Syrien / doch mit etwas Unterschied des Gewächs.

Ubrigens ist der Zucker nicht nur zur Delicatez oder einem Schleck / sondern auch zur Gesundheit und Artzney gewidmet.36 Er ist nutzlich und gesund /wann man ihn mäßig gebraucht: insonderheit ist er für die Augen-Schäden / für die Hitz der Leber und Nieren gut. Weilen aber der Zucker so vielerley Veränderungen austehen muß / so verliehrt er seine natürliche oder erste Krafft und Kühle zimlicher massen: ja er nimmt zum theil ein andere Eigenschafft an / die zwar dem Mund annehmlicher / aber eben nicht so gesund ist / als wie die vorige: dann er wird durch jene scharffe Laug zwar schön / weiß / rein und süß / behält aber gern etwas Schärffe von derselben / die dem Haupt und Ingeweid nicht wohl thut. Demnach ist es besser und zur Gesundheit gedäulicher / daß man zu den Speisen und Artzneyen solchen Zucker brauche /der nicht so off und starck gereiniget worden: dann je gereinigter und süsser und älter er ist / je hitziger und schärffer ist er / und wird desto leichter in Gall verwandlet: hingegen wann er nur ein wenig gereiniget /und noch frischer ist / da hat er noch ein mehrers von seiner natürlichen Krafft / ist dem Magen und der Brust gedeylich etc.

Wann es erlaubt ist die gröste und fürtrefflichste Sachen auch mit klein- und geringen Dingen in etwas zu vergleichen / so sage ich / daß der Zucker wegen seiner Reinigkeit / Weisse / Süsse und und Lieblichkeit einiger massen die himmlische Freuden andeute.37 Dann dise seynd unbeschreiblich süß / das ist /lieblich und annehmlich: ja sie seynd ein lauterer Zusammen-Fluß / ein überhäuffte Menge aller ersinnlich- und erwünschlichen Güter / Wollust und Freuden / so wohl des Leibs als der Seelen. Status omnium bonorum aggregatione perfectus. Wie die HH. Vätter und Lehrer reden: Ein Stand / in welchem alle wahre Güter vollkommen versammlet seynd: und welche die irrdische Güter / die zeitliche Freuden und Wollust / so weit als der Tag die Nacht / der Diemant das Glas / das Gold ein Bley / die helle Sonn ein schwartze Kohlen / ja so weit als der Hmmiel die Erden übertreffen: dann sie seynd auf alle weiß unermessen groß in der Herrlichkeit / in der Fürtrefflichkeit / in der Zahl oder Menge / und in der Daurhafftigkeit.

Ferners / gleichwie der feine Zucker von allem Schleim / Faum / und allem / was unsauber ist / muß gereiniget und geläuteret seyn / also / ja unvergleichlich[144] mehr seynd die himmlische Freuden / befreyt und gereiniget von allem / was nur im geringsten betrüben / beschweren / oder verdrüßlich fallen mag. Viel ehender wird man ein Mackel und Finstere in der Sonnen / als etwas Widerwertig- oder unangenemmes in den himmlischen Freuden finden. Sie seynd ein Freud ohne Leyd / ein Sicherheit ohne Gefahr / ein Tag ohne Nacht / ein Liecht ohne Schatten / ein Süsse ohne Bitterkeit / ein Vergnügen ohne Mangel / ein Ruhe ohne Abmattung / ein Schönheit ohne Mackel /ein Erkandtnuß ohne Unwissenheit / ein Fried ohne Verstöhrung / ein Leben ohne Todt.

Der materialische Zucker / wann man ihn wohl applicirt / so ist er ein gutes Mittel für schadhaffte Augen / und macht ein gutes Gesicht: auch / und noch viel mehr der sittliche Zucker der himmlischen Freuden / wann man selbe nur in der Hoffnung / und in der Gedächtnuß hat / da seynd sie gut für die Augen / das ist / für den Verstand; dann sie erleuchten denselben /daß er die Eitelkeit und Nichtigkeit der zergänglichen Welt-Freuden und Wollüsten erkennt. Widerum den Zucker brauchet man nicht nur in der Kuchel die Speisen / sondern auch in der Apotheck ein manche bittere Medicin darmit zu versüssen / auf daß esdie Patienten selbige einzunemmen nicht gar zu hart ankomme: und eben also soll man auch den geistlichen Zucker brauchen / das ist / die himmlische Freuden betrachten und hoffen / die Bitterkeit des Creutz und Leydens / der Trübsal und Widerwärtigkeiten dardurch zu versüssen / damit sie dem Betrangten nicht gar zu sauer und bitter seyen.

Also hat es unter anderen der Heil. Ertz-Martyrer Stephanus gemacht; dann als er in seiner Marter und Versteinigung das Hertz und die Augen gen Himmel erhebt / und die himmlische Glory betrachtet hat / da seynd ihme die bittere Pillulein / die er einnehmen müssen / verstehe die tödtliche Steinwürff / wie die Cathoiische Kirch von ihm bezeuget / gantz süß und lieblich vorkommen. Lapides torrentis illi dulces fuerunt etc. Aber gleichwie es viel Zeit und Fleiß braucht / biß man den Zucker schön und gut / weiß und rein machet / also kost es auch viel Mühe und Arbeit / biß man die himmlische Freuden erwirbet; dann wie der gedultige Job gesprochen / und auch selbst erfahren hat: Militia est vita hominis super terram:38 Das menschliche Leben ist ein immerwährender Streit auf der Erden: Streiten und kämpfen muß man wider die unsichtbarliche Feind der Seelen /wider das Fleisch / die Welt / und den Teuffel / wider die eigne Lieb / wider die Begierd und Anmuthungen. Der Heil. Apostel Paulus aber sagt: Non coronabitur, nisi qui legitimè certaverit.39 Niemand wird gecrönt mit dem Sieg-Kräntzlein der ewigen Glory / der nicht zuvor ritterlich gestritten und obgesiget hat.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 143-145.
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