Der 1. Absatz.

Von dem Haupt.

[196] Gleichwie das Haupt das oberste Ort in der Stellung des menschlichen Leibs bekommen hat / also ist es auch ausser allem Zweifel das edliste und fürnehmste aus allen Gliederen / in welchem die Seel / als in einem Thron vorsitzet / alles dirigirt und anordnet; dann in dem Haupt hat oder übet sie ihre fürnehmste Verrichtungen / als da seynd das Verstehen / das Gedencken / Sehen / Hören etc.1 Da befinden sich die äusserliche und innerliche Sinn / die Species sensibiles, oder Gestalten der empfindlichen Dingen / die thierliche Kräfften / der Ursprung der Nerven etc. Die Figur oder Gestalt eines wohl proportionirten Haupts ist nicht gäntzlich rund wie ein Kugel / sondern etwas länglächt / und der Länge nach ist es der achte Theil des gantzen Leibs: es ist auch mit starcken Bein und Nerven unterstützt und versehen / auf daß es vest und aufrecht stehe etc.

Es wird der Mensch nach seiner Leibs-Gestalt ein umgekehrter Baum genennet / dessen Kopff und Haar gleichsam die Wurtzel seynd / die Händ und Füß aber / so abwärts gegen der Tieffe stehen / die Aest machen etc. und demnach ist das menschliche Haupt die Wurtzel oder der Ursprung / von welchem die Sinn ihre Bewegnussen und andere Kräfften / so in den gantzen Leib fliessen / empfangen. Ja / wann das Haupt wohl bestellt und wohl beschaffen ist / da befinden sich gemeiniglich auch die andere Glieder wohl: wann aber das Haupt mangel- oder schadhafft ist / da müssen es auch die andere Glieder entgelten /sie befinden sich übel auf.


Dum caput ægrotat, cætera membra dolent.


Wanns am Haupt selbsten fehlen thut /

Stehts um Glieder auch nicht gut.


Dieser Ursachen seynd im sittlichen Verstand durch das Haupt des Menschen zu verstehen die geist-und weltliche Vorsteher / Regenten und Origkeiten /welche das Haupt ihres sittlichen Leibs / das ist /ihrer Gemeind oder Unterthanen seynd; wessentwegen auch Christus der HERR Petrum Cephas genennet /als er ihne zum Vorsteher seiner Glaubigen gemacht hat: Tu autem vocaberis Cephas,2 du sollest Cephas heissen; welches Sprichwort auf Lateinisch so viel heißt / als Caput, ein Haupt / wie Berchorius und andere anmercken; deßwegen der David zu GOtt gesprochen hat: Constitues me in caput gentium,3 du wirst mich zum Haupt unter denen Heyden / denen Völckeren / setzen: und der Prophet Samuel zu dem Saul: du wurdest das Haupt unter dem Stammen Israel seyn. Dann erstlich / gleichwie das Haupt den obristen Platz in dem Leib deß Menschen hat / worvon es auf die andere Glieder herab siehet / also ist der Obere und Vorsteher an das höchste Ort der Dignität oder Würde gesetzt / auf daß er desto füglicher auf seine[196] Mitglieder oder Untergebne sehen und sie dirigiren möge. Aber gleichwie der Regent oder Vorsteher der Oberste ist in der Würde / also soll er auch der Oberste seyn / und andere übertreffen in der Klugheit / in denen Verdienst- und Tugenden.

Ferners / gleichwie das Haupt mit 7. Löcher oder Oeffnungen versehen ist / nemlich der Augen / der Ohren / der Nasen und des Munds / durch welche theils die Speiß und Tranck / theils die Gestalten der jenigen Dingen / so man siehet / höret etc. eingehen /theils die fœces oder Excrementen / als wie der Speichel etc. ausgehen / also soll ein Regent oder Vorsteher mit denen 7. Gaaben und Gnaden des H. Geists begabet seyn / Krafft deren er das Gute an sich ziehet und das Böse von sich ausschliesset.4 Wiederum gleichwie fürnemlich 6erley Ding sich in dem Haupt befinden / nemlich das Gebein / das Hirn / die Nerven / die Sinn / die Haar / und ein wenig Fleisch / also solle in einem Regenten oder Vorsteher sich befinden das Gebein der Stärcke und Standhafftigkeit / das weiche Hirn der Mildigkeit / die Nerven der zusammenhaltenden Lieb und Freundschafft / die Sinn der Discretion und Vorsichtigkeit / die Haar des äusserlich erbaren Wandels / aber nicht viel Fleisch / das ist / keine starcke Neigung zu Fleisch und Blut / oder zu denen Bluts-Verwandten / damit er auf dieselbe nicht zu viel verwenden thue / ihnen nicht zu viel zuschiebe / und ohnmäßig bereichen thue. Absonderlich gleichwie die Natur das Haupt versehen hat mit denen Augen / Ohren / Nasen und Zungen etc. auf daß es sehen / hören / riechen und reden möge / also soll ein Oberer oder Vorsteher / bevorab ein geistlicher Vorsteher in sittlichem Verstand mit guten Augen der Klugheit und Vorsichtigkeit begabt seyn: mit einem guten Gehör / welches allzeit offen stehe die billiche Klag und Beschwerden seiner Untergebnen anzuhören; hingegen verschlossen seyn denen falschen Verläumdungen / Ohrenblasen / und Schmeichlereyen. Er solle begabt seyn mit einem guten Geruch und Geschmack eines exemplarischen Lebens und der Behutsamkeit das Gute von dem Bösen / die Wahrheit von dem Betrug und der Falschheit zu unterscheiden: auch mit einer guten Zungen das Wort GOttes denen seinigen vorzutragen. Ein geistlicher Vorsteher warhafftig alles / was von denen Seinigen geschieht / so viel es möglich ist / sehen und erforschen / hören und nachsinnen / alles riechen und verkosten / so wohl den Wohlstand als die Betrangnuß seiner Untergebnen /das Leid und die Freud / ihme nicht nur erzehlen lassen / sondern auch selbst verkosten und behertzigen: er solle nach dem Exempel des Apostels sich erfreuen mit den Frölichen / und trauren mit denen Traurigen: und auf solche Weiß wird an ihme erfüllt werden der Spruch Salomonis / der Seegen des HErrn ist auf dem Haupt des Gerechten.5

Aber es gibt eben bey jetziger Zeit wenig solche Häupter / die mit allen diesen Tugenden begabt und gezieret seynd.6 Viel sehen nicht / weil sie verblendt seynd von dem Hochmuth / von der eignen Lieb: oder wan sie zwar sehen / was zu verbesseren / oder abzustraffen wäre / so sehen sie doch nur durch die Finger / und dissimuliren aus menschlichem Respect, aus eitler Forcht und Kleinmüthigkeit. Viel hören nicht /weilen ihre Ohren verstopfft oder eingenommen seynd von falschem Bericht oder Irrwohn / oder von eignem Lob etc. Andere haben den Geruch des guten Namens / oder den Geschmack der Discretion, oder der Unterscheidungs-Krafft verlohren. Anderen ist die Zung nicht gelößt / sie seynd canes muti non valentes latrare,7 wie sie der Prophet nennt / Stumme Hund /die nicht bellen mögen / das ist / die ihnen nichts zu sagen trauen / wann sie die Her GOttes und Gerechtigkeit beschützen / oder die Sünd und Laster bestreiten sollen.

Das natürliche Hauptwehe kommt aus unterschiedlichen Ursachen her / als von aufsteigenden bösen Dämpfen / von überflüssigen Feuchtigkeiten / oder aus Mangel der Verdäuung / oder von grossen Hitzen und allzustarcker[197] Bemühung etc. Auch das sittliche und politische Hauptwehe / ich will sagen / das Ubelaufseyn und schlimme Beschaffenheit der Geistlich-und Weltlichen Oberhäupter kommet her bald von aufsteigenden bösen Dämpfen des Hochmuths / des Ehr- und Geld-Geitzes / von denen Feuchtigkeiten der zeitlichen Gelüsten und des Wohllebens / aus Mangel der Concoction, weil sie keinen harten Bissen / das ist / keinen Verdruß oder Widerwärtigkeit verdäuen und verkochen können / oder wollen / von der Hitz des gähen Zorns und Eyfersucht / und gar zu grosser Sorg und Bemühung um das Zeitliche etc. Alsdann heist es auch im sittlichen Verstand:


Dum caput ægrotat, cætera membra dolent.8


Wanns am Haupt selbsten fehlen thut /

Stehts um Glieder auch nicht gut.


Alsdann kan sich ein Land oder ein Gemeind wohl in der Wahrheit beklagen und sagen: Caput meum doleo, caput meum doleo.9 Mein Haupt thut mir wehe / mein Haupt thut mir wehe. Das ist mein vorgesetzte Obrigkeit / durch ihre üble Verwaltung verursachet mir Leid und Schaden.

Alle Glieder des menschlichen Leibs / ja auch die Gebein in den Gliedern / werden vermittelst der Nerven / so aus dem Haupt herab gehen / aneinander gehefft und zusammen gehalten / und wann die Krafft oder der Einfluß des Haupts / so durch die Nerven geschieht / aufhört oder verhinderet wird / da hört auch die gute Constitution auf / es werden auch die Sinn von ihrer Bewegung und Würckung verhinderet. Vast eben also werden die Glieder eines sittlichen Leibs /das ist / einer geistlichen Gemeind / durch kräfftigen Einfluß ihres Haupts / das ist / durch die Lehr und gutes Exempel ihres Oberen in guter Harmoni oder Verstandnuß und Einigkeit erhalten / und zur Würckung des Guten vermöcht. Wann aber diser Einfluß die gute Anweisung und Vorsorg abgehet / da ist in dem gantzen Leib / in der gantzen Communität ein lautere Confusion und Zerrüttung / es wird nichts rechtschaffnes mehr ausgericht.

Sonsten kan durch das Haupt des Menschen auch die rechte Intention die gute Meynung verstanden werden / als von welcher der Werth alles Thun und Lassens dependiret / gleichwie die Glieder von dem Haupt dependiren.10 Wann dise auf GOtt und der Seelen Heyl gerichtet ist / da seyn alle sittliche Glieder / das ist / alle Werck auch wohl disponirt. Das Haupt des Menschen stehet gerad und aufrecht gegen dem Himmel: und auch die Meynung alles Thun und Lassens solle gerad aufwerts auf GOtt und den Himmel gehen. Da heist es: Respicite & levate capita vestra,11 Sehet auf / und erhebet euere Häupter. Aber es gibt gar viel Häupter / die vast niemahl übersich gen Himmel / sondern allzeit nur auf die Erden / oder das Irrdische sehen: ich will sagen: böse Meynungen /die nicht das rechte / sondern ein verkehrtes Zihl und End haben.

Dises Haupt / die gute Meynung / solle bedeckt seyn / mit denen Haaren der Demuth und Niderträchtigkeit nach dem Rath des Heil. Gregorii hom. 22. in Evang. da er sagt: Unser Liecht oder Leben solle also leuchten / daß die Menschen zwar unsere gute Werck sehen / und den himmlischen Vatter deßwegen preisen / aber die gute Meynung solle in der Still und verborgen bleiben. In Göttlicher H. Schrifft werden wir ermahnt das Haupt zu waschen / zu salben / und auch mit Aschen zu bestreuen. Auch das sittliche Haupt die gute Meynung solle gewaschen oder gereiniget seyn von der eitlen Ehr / von der eignen Lieb etc. gesalbet mit dem Oel der Gnad GOttes / und besprengt mit der Aschen der Demuth und der Gedächtnuß des Todts /auf daß die Werck / so aus der guten Meynung entspringen / gut und verdienstlich seyen.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 196-198.
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