Der 2. Absatz.

Von dem Hirn des Menschen.

[198] Das Hirn ist ein weisse feucht- und linde Materi /ohne Blut / es hat viel Geist und Marck in sich. Es ist / wie der fürtreffliche alte Medicus Joan. Guinterius de medicin. vet. & nova fol. 190. anmercket / von GOtt zu obrist in den menschlichen Leib / als in einem vest und starcken Schloß gesetzt / auf daß es von aller Gefahr und Gewaltsamkeit desto sicherer seye: Es ist mit 2. Häutlein überzogen / deren das eine zart und dünn ist / und von denen Herren Medicis Pia mater, ein gütige Mutter genennt wird / das andere aber gröber und dicker / dura mater, eine harte Mutter benamset: fornenher ist es von der Hirnschalen geschirmet und bewahret / hintenher aber von dem Nacken oder Genick. Das Hirn ligt in 3. Behaltnussen / es ist in 3. Theil abgetheilt / den rechten / lincken und hinderen Theil / welcher appendix ein Anhang des Hirns / oder cerebellum das kleine Gehirn genennt wird. In dem einen Theil befindet sich die Imaginatio oder Einbildungs-Krafft / in dem 2ten die Vernunfft /und in dem 3ten die Memori oder Gedächtnuß. Ubrigens obwohlen das Hirn an ihm selber unempfindlich ist / enspringet doch von ihm die Empfindlichkeit und Bewegnus aller Sinnen.

Durch die Beschaffenheit des Hirns wird abermahl angezeigt / wie ein Regent oder Vorsteher soll beschaffen seyn und sich gegen seine Untergebne verhalten.12 Dann gleichwie das Hirn in einer weiß und weichen Materi ohne Blut bestehet / aber viel Geist und Marck in sich hat / also soll die Regierung einer Obrigkeit weis und weich / ich will sagen / glimpflich oder gelind / rein und unsträfflich / ohne Blut / das ist / nicht nur ohne Grausamkeit / ohne Rach und Blutgierigkeit / sondern auch ohne allzugroß und unordentliche Neigung zu Fleisch und Blut / zu seinen Befreunden / und Blutsverwandten / ohne Partheyligkeit und Absehen auf die Person. Hingegen soll auch ein Obrigkeit erfüllt seyn mit dem Geist der Weißheit und des Verstands / des weisen Raths und der Discretion oder Unterscheidungs-Krafft / auch mit dem Marck der Stärcke / des Gemüths / der Andacht / der Pietät und Gütigkeit / die Klagen und Beschwerden der Untergebnen williglich und gütig anzuhören.

Das Hirn ist mit 2. Häutlein einem zarten und groben eingewicklet und beschützet: auch das Gemüth oder die Regierungs-Art eines Obern soll mit der Zärte / und der Räuhe auf allen Fall versehen seyn /das ist / mit der Strenge oder Ernsthafftigkeit / und mit der Mildthätigkeit nach dem Rath des Apostels 2. Tim. c. 4. argue, increpa, obsecra, straffe / ermahne /bitte etc. doch ist anbey zu mercken / daß die Pia mater die gütige Mutter dem Hirn näher ist als die dura, die harte / und dardurch wird zu verstehen geben / daß die Mild- und Gütigkeit bey denen Oberen / so lang es sich immer thun lasset / prævaliren /und der Schärpfe oder Strengheit vorbiegen solle: wie uns der Heil. Vater Bernardus gar schön dessen erinnert / indem er denen Obern zuspricht und sagt: sie sollen sich befleissen / mehrers Mütteren als Herren ihren Untergebne zu seyn / mehr geliebt als geforchten zu werden: die Mütterliche Güte soll der Vätterlichen Strengheit vortringen / sie sollen ehender die Brüst als die Streich anerbieten.

Ferners / gleichwie in denen 3. Cellulis oder Kämmerlein des Hirns die fürtrefflichste Kräfften die Einbildung / die Vernunfft und Gedächtnuß sich befinden / also solle ein Regent oder Vorsteher durch die Imaginationem oder Einbildungs-Krafft ihme selbst lebhafft vorstellen und betrachten / die zukünfftige Ding / die sich ereignen mögen: durch die Rationem judiciariam aber oder guten Verstand / soll er die gegenwärtige Ding urtheilen und unterscheiden / und endlich durch die Pupim reservatoriam oder Hinterhaltnuß das vergangne in der Gedächtnuß behalten;[199] dann dieses seynd die 3. Theil der Vorsichtigkeit / welche ein sittliches Hirn der Seelen ist / und sich auf das Vergangene / Gegenwärtig- und Zukünfftige erstrecken soll: in massen der weise Seneca sagt: Si prudens fuerit animus tuus, tribus temporibus dispensetut: futura præcave, præsentia ordina, præterita recordare:13 Wann du wilst klug und weißlich handlen / so theile deine Weiß- und Klugheit auf 3. Zeiten aus: fürsehe das Zukünfftige / ordne das Gegenwärtige / und gedencke an das Vergangene.

Das Hirn ertheilt dem Leib den Sinn und die Bewegnuß; derowegen / wann das Hirn wohl disponirt /da ist auch anderes in dem Leib wohl beschaffen und geordnet: Eben also / wann die Obrigkeit wohl bestellt / klug und sorgfältig ist / da ist auch der sittliche Leib oder untergebne Gemeind wohl bestellet: hingegen / wann es in dem Hirn / das ist / an der Obrigkeit fehlet / da stehet es auch bey denen Unterthanen nicht wohl.14

Die jenige / die viel Hirn und darinn viel Feuchtigkeiten haben / seynd gemeiniglich dem Schlaff mehrers ergeben / sie seynd vergessen und flüßig: hingegen die ein truckneres Hirn haben / seynd wachtbar /und was sie begriffen haben / das behalten sie steiff. Eben also seynd die jenige Obrigkeiten / die mit viel zeitlichen Güteren versehen / und denen Sinnlichkeiten oder Gemächlichkeiten ergeben / diese seynd schläfferig / oder saumseelig und sorgloß in Verwaltung ihres Ampts / und Beförderung des gemeinen Nutzens: sie seynd vergessen / flüßig oder unbeständig in Ausführung guter Räth und Vorsätzen etc. Die geistliche Wachtsamkeit wird bey ihnen verhinderet; dann sie ruhen und schlaffen in ihren sinnlichen Gelüsten und Anmuthungen tieff ein. Hingegen / wann sie dürr und trucken / das ist / wann sie mäßig seynd in dem Gebrauch der zeitlichen Güter / und der Abtödtung ergeben / da seynd sie behutsam und wachtsam /und fleißig ihres Ampts / ihrer Pflicht und Schuldigkeit ingedenck.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 198-200.
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