Der 3. Absatz.

Von dem Angesicht des Menschen.

[200] Das Angesicht ist der schönste Theil des menschlichen Leibs / der die Gestalt des Menschen absonderlich von denen unvernünfftigen Thieren unterscheidet: Es ist mit einer sonderbaren Lebhafftigkeit vor anderen Gliederen begabt und gezieret / und die Seel lasset sich / und ihre Würckungen fürnemlich in dem Angesicht verspühren: ja auch die Affectiones und Passiones oder Anmuthungen lassen sich in dem Angesicht vermercken; dann gleichwie man an dem Uhr-Zeiger die Stunden des Tags siehet / und die Würckung der inwendig verborgenen Räderen / und das gantze Uhrwerck erkennet / also kan man aus dem Angesicht abnemmen / wie der Mensch innerlich bestellt und beschaffen seye: und gleichwie die Seel ein Ebenbild GOttes ist / also ist das Angesicht einiger massen eine Abbildung der Seel; es stellet den innerlichen Stand als wie ein Spiegel vor.15 Das Angesicht ist ein herrliches Frontispicium des Haupt-Gebäus / ich verstehe des Haupts / worinn die Seel als eine Königin Hof haltet / die fürnehmste Aempter austheilet / und die herrlichste Verrichtungen auübet. Es ist der Wappen-Schildt / welcher denen Anschauenden vorweiset /wer der Besitzer oder Innwohner des so herrlichen Pallasts / das ist / des menschlichen Leibs seye.16 Vultus est animi janua, sagt der Römische Redner /das Gesicht ist die Thür / durch welche man zur Erkanntnuß des Menschen eingehet. Es bestehet aber die Schönheit fürnemlich in 3. Stucken / nemlich in der Unterschiedlichkeit der Theilen / in denen Farben /und in der Proportion. Man findet in dem gantzen menschlichen Leib keinen Theil / in welchem so vielerley Stuck zusammen kommen / und sich besser auf einander schicken / als in dem Angesicht. Es versammlen sich daselbst die 5. Sinn und ihre Organa: es gibt unterschiedliche[200] Crösplen / Gebein / Nerven /Mäußlein / Aderen / Haut und Haar / Fleisch und Blut. Wiederum gibt es mancherley Austheilungen /Sitz und Figuren: die Stirn besitzet das höchste Orth /als ein Thron des Verstands / die Augen seynd wie Stern oder Facklen / die das Angesicht erleuchten /die Ohren das Audienz-Zimmer / die Nase der Canal /durch welchen der Geruch eingehet / und die überflüßige Feuchtigkeiten ausgeführt werden. Der Mund /samt Zähn und Zungen ist das Red-Hauß / in welchem die Stimm und Sprach formiret wird. Das Kin und die Wangen seynd dem Menschen vor allen anderen Thieren verlyhen / sie geben dem Angesicht eine Zierd und Ansehen. Was aber die Farben des Angesichts belanget / so seynd selbige unterschiedlich /bald ist es weiß / bald roth / bald braunlecht / bald schwartz / bald gelblecht nach Beschaffenheit und Complexion des Menschen. Endlich die Proportion oder Gleichmäßigkeit der Theilen des Gesichts betreffend / ist selbe gleichfalls wunderbarlich; dann ein jeder Theil schauet gleichsam den anderen mit rechter Maaß an: ein Aug / ein Ohr etc. ist gleich dem anderen. Mit einem Wort / die Schönheit / Gestalt und Proportion des menschlichen Angesichts zeiget die Fürtrefflichkeit des Göttlichen Baumeisters an.

Aber das menschliche Angesicht hat nicht nur die gemeldte Schönheiten / sondern es ist auch eine Anzeigung der innerlichen Eigenschafften und Gemüths-Neigungen / die man darinn / als wie in einem Spiegel (wann es nicht simulirt / oder sich fälschlich verstellet) ersiehet. Es haben auch deßhalben die Alte vor Zeiten offentliche Schulen und Lehrmeister angestellt / welche sie Physiognomos, diese Kunst oder Wissenschafft aber Physiognomiam genennet haben: das ist eine Kunst / die Natur und Art des Menschen aus denen Lineamentis der Gliederen / absonderlich des Angesichts / zu erkennen.17

Aristoteles hat ein eignes Buch geschrieben / in welchem er lehret / wie man die verborgene Eigenschafften des Menschen / durch die Anschauung der Glieder / und sonderlich des Angesichts / erkennen möge. Viel Grichische und Lateinische Scribenten haben diese Materi fleißig tractirt / und einer jeden Qualität oder Eigenschafft ihren gewissen Sitz an einem Orth des Angesichts verordnet / darauß man die gut- und böse Eigenschafft / wie auch unterschiedliche Anmuthungen / als Zorn und Sanfftmuth / Freud und Leyd / Forcht und Hoffnung abnemmen könne: und dieses nicht ohne Grund / massen der weise Syrach spricht: Cor hominis immutat faciem illius, sive in bona sive in mala:18 das Hertz des Menschen änderet das Angesicht / es seye in Gutem oder Bösen. Doch ist diese Kunst der Physiognomi nicht allerdings gewiß und unfehlbar; dann ein böses Naturel oder Humor kan wohl durch Fleiß und Tugend verbesseret werden / oder hingegen eine gute Natur durch Laster und Unfleiß verschlimmeret. Homo videt in facie, DEUS autem in corde: Der Mensch sihet zwar was von aussen her ist / GOTT aber alleinig durchtringet das innerste des Hertzens.

Deßwegen kan das Gesicht wohl mit dem Gewissen verglichen werden: dann / gleichwie ein Mensch den anderen aus dem Angesicht kennet / ob er dieser oder jener / häßlich oder wohl gestalt seye / also kennet GOTT den Menschen aus dem Gewissen / ob er fromm oder gottloß / gerecht oder ungerecht seye.19 Das Angesicht lasset sich nicht bergen vor denen Augen der Menschen / und das Gewissen nicht vor denen Augen GOttes.

Wann das Angesicht bey dem Menschen schön ist /da wird der gantze Mensch für wohl gestalt gehalten /und wenig auf die andere Glieder Achtung geben: und wann das Gewissen gut und rein ist / da hat auch alles Thun und Lassen seinen Werth und Schönheit.

Keinen Theil des menschlichen Leibs hat man besser in Ehren / keinen thut man durch fleißiges und öffteres Abwaschen[201] von aller Mackel und Unflath säuberen / keinen vom Ungewitter und Verletzung sorgsamer beschirmen / als das Angesicht. Eben also soll man das Gewissen vor allem behutsam in Obacht nemmen / von aller Mackel der Sünd und Laster reinigen und säuberen / und vor allem / was es verletzen mag / fleißig bewahren. Ein schönes Angesicht ist ein Lust und Freud der menschlichen Augen / und ein reines Gewissen ist ein Lust und Freud der Augen GOttes. Hingegen / wann das Angesicht häßlich ist / da hat man ein Abscheuen von dem Menschen / und wann das Gewissen böß ist / da ist der Mensch ein Greuel vor GOTT und seinen Englen.

Der Prophet Ezechiel hat in einer himmlischen Offenbahrung 4. wunderliche Thier gesehen / deren ein jedes viererley Gesichter hatte: nemlich das Gesicht eines Menschen / eines Löwen / eines Ochsen / und eines Adlers.20 Auch der Mensch absonderlich ein Oberer / solle diese 4. Gesichter haben: das Gesicht eines Menschen / welches bedeutet die Reinigkeit des Gewissens: das Gesicht eines Adlers / welches bedeutet die Hoch- und Klarheit eines scheinbaren Tugend-Wandels: das Gesicht eines Ochsen / welches anzeiget die Freundschafft oder Gutwilligkeit / dem Nächsten zu helffen / und in der Nothdurfft beyzuspringen /nach der Ermahnung des frommen alten Tobiä / da er sagt: noli avertere faciem tuam ab ullo paupere etc.21 wende dein Angesicht von keinem Armen ab / so wird auch GOTT von dir sein Angesicht nicht abwenden. Endlichen das Angesicht eines Löwen / welches bedeutet die Strenge und Gerechtigkeit wider die Ubelthäter; dann wie der weise Ecclesiastes sagt: Per tristitiam vultus corrigitur animus delinquentis:22 durch ein trauriges oder finsteres Angesicht wird das Hertz des Sünders gebesseret.

Ein zweyfaches verstelltes Gesicht haben die Gleißner: und an diesen wird nicht erfüllet / was der Heil. Isidorus sagt / nemlichen: Facies est quædam mentis imago, daß Angesicht seye eine Abbildung des Gemüths: dann der innerliche Zustand kommt mit dem äusserlichen Ansehen gar nicht übereins.23 Sie seynd gleich einem s.v. Misthauffen / der im Winter mit Schnee bedeckt ist / und schön weiß aussiehet /oder einem faulen Apfel / der von aussen noch schön roth / innerhalb aber schandlich / faul und stinckend ist. Sie haben kein aufrichtiges Menschen- oder Adlers-Gesicht / sondern vielmehr das Gesicht eines Chameleons / welches Thier / wie Plinius und Aristoteles sagen: theils einem Schwein / theils einem Affen gleichet: dann sie stellen sich zwar äusserlich als wie ehrbare Menschen / innerlich aber seynd sie unflätige Schwein. Sie seynd gleich denen hoffärtigen Weiberen / welche ihr schwartzes oder geruntzletes Angesicht mit einem falschen Anstrich färben und schön machen: aber wann ein Wind oder Regen an sie kommt / da verschwindet alle Schönheit / und verbleibet ihnen nichts als ihre schwartze Runtzlen. Eben also die Gleißner / wann sie schon ihre Boßheit und sündiges Leben mit dem falschen Anstrich der Ehrbarkeit und Tugend-Wandels anstreichen / so hat es doch kein langes Dauren / und keinen Bestand: sondern wann ein Wind oder Regen der Versuchung oder Widerwärtigkeit an sie kommet / da ist alle ihre fingirte Schönheit aus / und bleibet nichts übrig / als ihre eigne häßliche Gestalt / ihre eigne Boßheit. Von solchen Gleißneren können gesagt werden die Wort des Propheten Jeremiä: Candidiores nive, nitidiores lacte, saphiro pulchriores,24 sie seyen zwar dem äusserlichen Ansehen nach weisser als der Schnee /und schöner als der Saphir-Stein: aber gleich darauf folget: denigrata est super carbones facies eorum, ihr Angesicht / ich will sagen / ihr Gewissen / seye schwärtzer als Kohlen.

Ferners kan durch das menschliche Angesicht auch die Barmhertzigkeit und Gerechtigkeit GOttes zugleich verstanden werden: dann / gleichwie ein Mensch den anderen mit eben dem[202] Angesicht bald freundlich / bald unfreundlich / bald sanfft / bald zornmüthig / bald freudig / bald traurig ansiehet /nachdem er nemlich ihm geneigt ist: also thut auch GOTT uns bald gnädig mit denen Augen der Barmhertzigkeit / bald ungnädig mit der Straff und strengen Gerechtigkeit ansehen / nachdem es unsere Verdienst oder Mißhandlungen erforderen.25 Mit dem Angesicht der Güte und Barmhertzigkeit hat GOTT angesehen den bußfertigen David / Magdalenam / Petrum /und viel tausend andere: mit dem Angesicht der strengen Gerechtigkeit aber siehet er an alle verstockte und unbußfertige Sünder. Um das Angesicht der Barmhertzigkeit sollen wir mit dem David zu GOtt bitten: ostende faciem tuam, & salvi erimus,26 zeige uns dein Angesicht / so werden wir genesen. Wider das Gesicht der Strengheit aber: averte faciem tuam à peccatis meis,27 wende ab dein Angesicht von meinen Sünden. Absonderlich wird dieses doppelte Angesicht Christi erscheinen an dem Tag des Jüngsten Gerichts / wann er zu denen Auserwählten mit liebreichen Worten wird sprechen: Kommet her ihr Gebenedeyte meines Vatters / besitzet das Reich etc. Zu denen Verworffenen aber mit zornigen Worten: Gehet hin ihr Vermaledeyte in das ewige Feur etc. Entzwischen sollen wir fleißig unser Angesicht zu GOTT wenden durch die Andacht und Ehrerbietigkeit / durch die Liebe und das Vertrauen / so wird er auch sein Angesicht zu uns wenden durch Ertheilung seiner Barmhertzigkeit / seiner Gaben und Gnaden.


Hingegen / wann wir unser Angesicht / das ist / unsere Gedancken / unsere Lieb und Neigung von ihme ab / und nur immer auf das Zeitliche / und auf eitle Creaturen wenden / so wird er uns den Rucken seines Zorns wenden / und nicht würdigen gnädig anzuschauen / wie er bey dem Propheten Jeremia bedrohet: dorsum & non faciem ostendam eis in die perditionis eorum,28 an dem Tag / so sie verderben / will ich ihnen den Rucken / und nicht das Angesicht zeigen.

Die Königin Esther hat sich so sehr geforchten vor dem zornigen Angesicht des Königs Assueri, daß sie als ohnmächtig darnider gesuncken / weil sie gesorget hat / es möchte sein Zorn sich auch über sie / als wie über andere ihres Geschlechts / oder ihrer Religion ergiessen. Hingegen hat die Königin von Saba glückseelig geschätzt die jenige / welche allzeit vor dem Angesicht des Salomons stehen kunten / seine Herrlichkeit anzuschauen / und seine Weißheit anzuhören. Eben also solle einer menschlichen Seel nichts erschröcklichers seyn / als das erzürnete Angesicht Christi des höchsten König und Richters: hingegen nichts Annehmlichers und Erwünschters / als einen liebreichen Anblick zu geniessen von dem jenigen /der da ist Speciosus præ fillis hominum, der Schönste unter denen Menschen-Kinderen / in quem Angeli desiderant prospicere, welchen anzuschauen die Engel selber die gröste Lust und Begierd haben.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 200-203.
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