Der 4. Absatz.

Von denen Wangen, und dem Kin.

[203] Genæ die Wangen seynd auch unter den fürnehmsten Theilen des menschlichen Angesichts / und machen viel zu dessen Schönheit / bevorab / wann sie mit lebhaffter / weiß und rother Farb vermenget seynd: wie dann auch die Wangen oder Backen der geistlichen Braut in den hohen Liederen wegen ihrer Schönheit gerühmet / und mit den schönsten Dingen verglichen werden.29 Sie seynd der eigenthumliche Wohnsitz der Schamhafftigkeit / der Zucht und Ehrbarkeit / absonderlich bey den Jungfrauen. Ja auch andere Passiones und Affectiones oder Gemüths-Neigungen / scheinen bey denen Wangen herauß / als da seynd Freud und Traurigkeit / Lieb und Haß / Hoffnung und Forcht. Aber sittlicher Weiß darvon zu reden / sollen die Wangen unserer Conversation,[203] unseres Verhaltens weiß seyn / durch die Aufrichtigkeit / Unschuld und Reinigkeit: roth aber durch die Liebe GOttes und des Nächsten: bleich hingegen wegen heilsamer Forcht: auch schwartzlecht durch die Demuth und Bußfertigkeit etc.

Mentum das Kin / ist so viel als mandibularum fundamentum,30 der Untersatz oder Grundveste der zwey Kinbacken: es ist starck und beweglich / dienet zu dem / daß man den Mund zum Reden und Essen könne auf und zu thun.

Es ist der letzte und unterste Theil des menschlichen Angesichts / und wann dieses abgienge / so wäre selbes sehr geschändet: deßwegen kan wohl geistlicher Weiß durch das Kin die Tugend der Perseveranz, oder Beständigkeit im Guten verstanden werden / ohne welche das Angesicht unserer Conversation oder unsers Wandels / keine wahre und daurhaffte Schönheit der Tugend haben kan. Sie macht das End an dem Tugend-Gebäu / und wann dieses gut ist / da ist alles gut; dahero das Sprichwort entstanden ist: in fine ne corrumpas,31 zu letzt verderb es nicht; dann /qui perseveraverit usque in finem, hic salvus erit: wer beharret biß ans End / wird seelig werden. Derowegen sollen wir dieses Kin der Beharrlichkeit im Guten wohl in Obacht nemmen / und uns nicht lassen darein greiffen / ich will sagen / von dem bösen Feind / unter keinem Vorwand von dem Guten lassen abwendig machen: damit es uns nicht ergehe / wie es dem Amasæ ergangen ist / welchen Joab gegrüsset /und bey dem Kin genommen hat / als wolte er ihn küssen / entzwischen aber hat er ihme den Dolchen in den Leib gestossen / und ermordet.32

Ein grosses Wunder hat sich in dem Alten Testament begeben mit des Esels Kinbacken / mit welchem Samson 1000. Philistäer erschlagen hat / und aus welchem ihme / seinen grossen Durst zu löschen / frisches Wasser geflossen ist / von welchem / als er getruncken hatte / wurde sein Geist erquicket / und er bekam wiederum die vorige Kräfften.33 Aber nicht weniger Krafft und Stärcke ligt in dem sittlichen Kinbacken / in der Perseveranz oder Beharrlichkeit verborgen; massen wir durch die Christliche Standhafftigkeit in dem Guten nicht nur 1000. Philistäer / als wie der Samson / sondern wohl unzahlbare höllische Feind erlegen und erschlagen können: und eben aus dieser Standhafftigkeit wird uns alsdann GOTT das süsse Wasser des häuffigen Trosts und reichlicher Vergeltung fliessen lassen.

Sonsten kan durch die Kinbacken auch das beschauliche und würckende Leben verstanden werden: das beschauliche zwar durch den oberen / das würckende aber durch den unteren Theil.34 Die Kinbacken seynd gleich einer Mühl / welche immerdar gehet / die Speisen zermahlet / und dem Magen dieselbe zubereitet: in dem oberen Theil seynd die obere Zähn / in dem unteren die untere Zähn eingesetzt. Also thut auch das beschauliche Leben sich aufhalten bey den oberen Dingen / ich will sagen / in Betrachtung GOttes und himmlischer Dingen: das würckende Leben aber thut die zeitliche und leibliche Nothdurfften verschaffen: beyde zusammen / versehen den Leib der Catholischen Kirchen mit geistlicher und leiblicher Nahrung / des Gebetts / der geistlichen Lehr / der leiblichen Speiß und des Getrancks. Doch mit diesem Unterschied / daß / gleichwie das obere Biß unbeweglich ist / das untere aber beweglich / also muß das beschauliche Leben still und ruhig seyn / das würckende aber sich bemühen und beschäfftigen.

Die Kinbacken bestehen in hart- und starcken Bein und Nerven: welches nothwendig ist / theils den Mund auf und zu zuschliessen / theils auch die härtere Speisen zu zertheilen und zu zermahlen. Eine solche Härte und Stärcke erforderet auch so wohl das beschaulich- als würckende Leben / alle Beschwerden /die sich hierinnfalls ereignen / zu überwinden.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 203-204.
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