Der 5. Absatz.

Von den Zähnen.

[204] Was die Zähn anbelangt / so werden sie auf Lateinisch dentes, das ist / quasi dementes genennet / weilen sie nach und nach von der Speiß etwas hinweg nemmen: und seynd kleine sehr harte Knochen / welche in des Menschen Mund in denen Grüblein stecken / die sich in dem Kiffer und Zahnfleisch befinden: sie haben ihre gewisse kleine Aederlein / die in das dinne Bein-Häutlein / welches die Wurtzel der Zähnen innwendig bekleidet / gehen / und denen Zähnen die Empfindlichkeit mittheilen. An der Zahl seynd der Zähnen gemeiniglich oben und unten 15. oder 16. bey denen Männeren / und bey denen Weiberen 14.35 Sie werden in dreyerley Gattungen abgetheilt: die erste werden genennet incisores, zerlegende oder Schaufel-Zähn / sie seynd breit und schneidig / die Speisen bequem zu zertheilen: die andere heißt man caninos, Hunds- oder Augen-Zähn / etwas schärpffer und spitziger / deren seynd nur 2. die dritte molares, zermalende Zähn / die alles / was hart ist / zerbeissen. Die erste haben nur ein Wurtzel: die andere 2. und die dritte 3. Was die erste nicht können zerschneiden /das schicken sie zu denen anderen / und was die andere nicht vermögen / überlassen sie denen dritten.

Sittlicher Weiß können die Ordens-Geistliche mit denen Zähnen verglichen werden: dann erstlich /gleichwie die Zähn zwar in dem Zahnfleisch sich befinden / und vest darinn stecken / so seynd sie doch über selbes erhebt / und gehen für dasselbe herauß: sie leyden es nicht gern / wann in oder zwischen ihnen etwas stecket / was nicht hinein gehört / sie haben keine Ruhe / biß daß es wieder herauß ist.36 Eben also die Ordens-Geistliche seynd zwar von Fleisch und Blut / so wohl als die Welt-Menschen: sie müssen in dem Fleisch leben / und seynd an der Welt angehefftet: aber mit dem Geist und mit dem Gemüth sollen sie sich über das Irrdische erheben / und durch exemplarischen Tugend-Wandel sich vor anderen herfür thun / auf daß an ihnen erfüllet werde / was der Heil. Gregorius von einem H. Bischoff und Beichtiger ins gemein sagt / nemlich: er habe sich in der Wanderschafft dieses zeitlichen Lebens mit dem Leib alleinig / mit denen Gedancken und Begierden aber in dem himmlischen Vatterland aufgehalten.37 Sie sollen auch nichts in oder zwischen ihnen gedulten / was sie von einander absönderet /oder die brüderliche Lieb und Einigkeit verstöhret etc.

Für das andere / weilen die obere und untere Zähn richtig zusammen gehen / und zusammen halten in Zermahlung der Speiß: die schwächere Zähn zerbeissen das Lindere / und die stärckere was härter ist. Also sollen auch in einer geistlichen Gemeind die Untergebene mit denen Oberen in allem richtig übereins kommen / und einhellig in Ubertragung der Beschwerden / und Beförderung des gemeinen Nutzens arbeiten: doch also / daß von dem / der grössere Kräfften / oder mehr Talenten von GOtt empfangen hat / ein mehreres erforderet werde / als von dem / der nicht so viel empfangen hat; cùm enim augentur dona, rationes etiam crescunt donorum, sagt der H. Greg. hom. 9. in Evangelia, gleichwie auch die stärckere und schärpffere Zähn mehr und härtere Brocken verbeissen müssen als die schwächere.

Drittens seynd die Zähn von GOtt und der Natur gar schön und ordentlich in den Mund eingesetzt /keine irret oder verhinderet den anderen: und eben dieses ist zu der Stimm und Red verhülfflich. Gleichfalls solle es in einem Closter oder geistlichen Gemeind alles recht und ordentlich her- und auf einander gehen / nach der Ermahnung des Apostels: omnia honestè & secundùm ordinem fiant in vobis:38 alles solle ehrbar und ordentlich unter euch zugehen. Dann / wie der Apostel Paulus weiters anmercket / so müssen die Stärckere die Gebrechlichkeit der Schwächeren übertragen.39 Ja eben darum wird die Religion[205] ein Orden genennet. Aus einer solchen guten Ordnung wird auch erfolgen / daß keiner den andern hindere oder beleydige / und die Stimm des Lobs GOttes und der auferbaulichen Reden wird einhellig bey ihnen erschallen.

Vierdtens / die Zähn in dem Mund des Menschen bemühen sich offt und viel / sie müssen einen manchen harten Brocken verbeissen und zertheilen / nicht wegen ihnen / oder für sich selbsten allein / sondern für den Magen / und folgends zu Nutz und Gutem des gantzen Leibs. Eben also die Ordens-Geistliche in denen Clösteren laboriren offt und viel / sie lesen und schreiben / betten / psalliren und studieren nicht für sich selbst allein / sondern auch für den Neben-Menschen / zu Nutz und Gutem des gantzen Leibs / ich will sagen / des sittlichen Leibs Christi und der Catholischen Kirchen. Es kan in der Wahrheit von ihnen gesagt werden: dentes tui sicuti greges tonsarum:40 deine Zähn seynd wie die Herden / die beschoren seynd. Sie lassen nicht nur bey Tag und bey Nacht die Stimm des Lobs GOttes hören in dem Chor / sondern sie geben auch die Milch und Woll her / sie theilen reichlich mit die Milch der heilsamen Lehr / auf der Cantzel und in dem Beichtstuhl / in denen hoch-und niederen Schulen etc. ja auch die Woll der zeitlichen Güteren und Habschafften ihrer Fundation oder Stifftung / deren sie einen grossen Theil zur Bedienung der Gästen / und zur Verpflegung der Armen aufwenden.

Fünfftens / obwohl die Zähn / weilen sie an sich selber ein hartes unempfindliches Bein seynd / nicht leiden thäten / so leiden sie doch offt Schmertzen und Ungemach wegen dem Zahnfleisch / wegen denen Nerven und Aederlein / mit welchen sie nächstens verbunden und angehefftet seynd. Eben also geschieht es auch öffters / daß die Ordens-Geistliche / die sonst unempfindliche Bein seyn solten / nur gar zu empfindlich seynd / Schmertzen und Ungemach leiden /nicht directè wegen ihnen selber / sondern wegen dem Fleisch und Blut / Nerven und Aederlein / mit welchen sie so starck verknüpfft und verbunden seynd: ich will sagen / wegen ihren Bluts-Verwandten / Befreundten und bekannten weltlichen Leuthen / mit welchen sie allzugrosse und unnutzliche Gemeinschafft pflegen / welchen sie gar zu starck und unordentlich zugethan seynd / in alle ihre Geschäfft sich einmischen / all ihre Händel richten und schlichten wollen / ihre Process und Heyraths-Contract führen helffen / sie zu Dienst und Aempter promoviren etc. wann es aber fehl schlaget und übel gelingt / wann sie den erwünschten Effect nicht können erreichen / da werden sie deßwegen verstöhrt und betrübt / sie empfinden frembdes Leid und Schmertzen / dessen sie sich selber theilhafftig machen.

Ubrigens ist es bekannt / daß / wann man Zahn-Schmertzen leidet / und kein Mittel helffen will / oder wann schon der Schmertzen ein wenig gestillet worden / aber gleich wiederum anhaltet / da pflegt man den schmertzhafften Zahn gar auszureissen / und leidet lieber einen obwohl grösseren / doch kurtzen Schmertzen / als die immerwährende Ungelegenheit: absonderlich / wann der Zahn an sich selber vitios, hohl oder faul ist / und auch die andere inficiren oder anstecken will.41

Ebenfalls / wann ein Mensch in einer Communität boßhafft und schädlich ist / wann nach vorher gangener genugsamer Ermahnung und Abstraffung keine beständige Besserung erfolgt / ja noch über das ein Gefahr ist / daß auch andere verderbt und angestecket werden / da soll man das ferrum abscissionis brauchen / ein solches schädliches Mitglied abhauen / oder wenigist in einen solchen Stand setzen / daß es nicht mehr schaden könne. Abscindantur, qui vos conturbant,42 sagt der Apostel Paulus / die euch verwürren / sollen ausgereutet oder abgehauen werden. Und von solchen Unruhigen und Aufrührischen kan man wohl mit dem Psalmisten sagen: dentes eorum arma & sagittæ, & lingua eorum gladius acutus43: ihre Zähn seynd Spieß und Pfeil / und ihre Zungen scharpffe Schwerdter etc.[206]

Merckwürdige Begebenheiten haben sich mit denen Zähnen zugetragen / unter anderen folgende: In Ost-Indien in dem Zeilandischen Reich wurde in einem heydnischen Tempel ein Abgott oder Götzen-Bild in Gestalt eines weissen Affens / so mit Gold und Edelgestein gar reichlich gezieret war / angebetten und in so grossen Ehren gehalten / daß die heydnische Fürsten mehr als 100. Meil weit jährlich eine Gesandtschafft dahin schickten / welche ihnen von dieses Affens Zahn aufs wenigist ein in Wachs abgedrucktes / und mit vielem Geld erkaufftes Contrafait überbringen mußte.44 Nun kame dieses Götzenbild in den Gewalt und in die Händ der Portugeser zu gröstem Leid und Bestürtzung der heydnischen Fůrsten und Herren: welche inständigist anhielten / daß man ihnen ihren Abgott wiederum zuruck stellte / aber vergebens. Endlich anerbotten sie ein übergrosse Summa Geld von viel tausend Ducaten / daß sie aufs wenigist nur einen gewissen Zahn von dem besagten Affen wiederum erhalten möchten. Diese gewaltige Summa Geld stache zwar freylich die Portugeser starck in die Augen / bevorab / weilen sie damahls Mangel an Geld erlitten / und darfür hielten / daß sie mit so grosser Summa in diesen Landen so wohl den Catholischen Glauben / als die Ehr ihres Königs mercklich promoviren kunten. Aber die PP. S.J. haben ihnen so kräfftig zugesprochen / und das Geld anzunemmen mißrathen (weilen sie nemlich glaubten / man wurde auf solche Weiß zu fernerem Götzendienst denen Heyden Ursach und Anlaß geben) daß sie sich ent schlossen haben / den teuflischen Affen-Zahn in einem Mörser zu verstossen und in das Wasser zu werffen / gäntzlich verhoffend / es werde die Göttliche Allmacht und Vorsichtigkeit ihre siegreiche Waffen mit anderwärtigen glücklichen Progressen seegnen /wie auch in der That erfolgt ist / inmassen sie so vil Land und Leuth in Indien eroberet haben.

Noch köstlicher und hochschätzbarer ist gewesen ein ausgefallener Zahn des Kayserlichen Generals Galas, als mit welchem er den Himmel selbsten erkaufft hat. Dann als dieser Herr Anno 1647. sich zu Lintz in Oesterreich aufhielte / da litte er grossen Zahn-Schmertzen / und wolte ihm deßwegen einen Zahn lassen ausreissen: aber der Medicus ware darwider / und mißrathete es. Als nun dieser General ein wenig eingeschlaffen / und bald wieder erwacht ware /da vermeckte er / daß der schmertzhaffte Zahn für sich selbsten ausgefallen seye / und würcklich in seinem Mund lige: er nimmt ihn herauß / und gibt ihn dem Medico zu besichtigen. Dieser stehet vor Verwunderung gantz erstaunet / nicht nur / daß der Zahn so gähling für sich selber ausgefallen / und aller Schmertzen verschwunden / sondern vilmehr über die seltzame Figur / so er darauf ersehen hat. Als der General die grosse Verwunderung merckte / nimmt er den Zahn wiederum zuruck / ihne recht zu besichtigen: und siehe Wunder! er findet / daß wahrhafftig auf seinem ausgefallenen Stock-Zahn eine Todten-Bahr samt dem schwartzen Tuch und weissen Creutz gantz deutlich verzeichnet seye: er ruffte alsobald laut auf: O das ist eben das jenige Zeichen / um welches ich GOtt so offt und inständig gebetten hab! das ist ein Zeichen und Vorbott meines bald herbey nahenden Tods. Wie es dann auch im Werck erfolgt ist / indem er den 25. April zu Wien an einem gewissen Zustand gottseelig und wohl bereitet verschieden ist.[207]

Fußnoten

1 Das Haupt ist das fürnehmste Glied des menschlichen Leibs.


2 Das menschliche Haupt bedeutet die geist- und weltliche Vorsteher / oder Regenten und Obrigkeiten.


3 Ps. 17. v. 44.


4 Wie dieselbe sollen beschaffen seyn.


5 ad Rom. c. 12 v. 15.

Prov. c. 10. v. 6.


6 Uble Beschaffenheit untugenlicher Oberen.


7 Isaiæ c. 66. v. 10.


8 Der Wohlstand der Untergebnen dependirt von denen Obrigkeiten.


9 4. Reg. c. 4.


10 Die gute Meynung wird durch das Haupt verstanden.


11 Luc. c. 21. v. 28.


12 Das menschliche Hirn zeiget an die Qualitäten /welche ein Obrigkeit haben soll.


13 Die Vorsichtigkeit bestehet in 3. Stucken.


14 Die Gleichnuß zwischen dem Hirn und einem Oberen wird weiters fortgeführt.


15 Das Angesicht des Menschen zeiget den innerlichen Stand an.


16 Die Schönheit und Austheilung des Angesichts.


17 Was die Physiognomia seye.


18 Eccli. c. 13. v. 31.


19 Das menschliche Angesicht wird mit dem Gewissen verglichen.


20 Vierfaches Angesicht des Menschen im sittlichen Verstand.


21 Tob. c. 4. v. 7.


22 Eccli. c. 7 v. 4.


23 Falsches Gesicht der Gleißner.


24 Thren. c. 4. v. 7.


25 GOtt hat ein zweyfaches Angesicht.


26 Psal. 79. v. 8.


27 Psal. 50. v. 11.


28 Jerem. c. 18. v. 17.


29 Die Wangen seynd eine Zierd des Angesichts / und Anzeigen der Gemüths-Neigungen.


30 Was das Kin bedeute.


31 Matth. c. 24. v. 13.


32 2. Reg. c. 20.


33 Jud. c. 15. v. 18.


34 Das beschauliche und würckende Leben durch die Kinbacken angedeutet.


35 Was und wie vilerley Zähn in dem Mund seyen.


36 Die Ordens-Geistliche werden mit den Zähnen verglichen in vielen Dingen.


37 S. Greg. hom. 9. in Evang.


38 Ad Rom. c. 15. v. 1.


39 1. Cor. c. 4.


40 Cant. 4. v. 2.


41 Ein schlimmer Zahn solle ausgerissen werden.


42 Ad Gal. c. 5. v. 12.


43 Psal. 56. v. 5.


44 Denckwürdige Begebenheit von einem Zahn.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738.
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