Der 1. Absatz.

Von dem Halß und der Gurgel.

[243] Der Halß und Gurgel ist der jenige Theil / so das Haupt und übrigen Leib mit einander verknüpffet: an dem Halß seynd 4. Musculi oder Mäußlein zu finden /auf einer jeden Seiten 2. die zu seiner Bewegung dienen / und werden theils flexores, theils extensores genennt: von welchen ein mehrers bey denen Anatomisten zu ersehen.1 Die Gurgel ist gleichsam ein Canal oder doppletes hohles Rohr / in einer cröspligen Materi bestehend / durch eines derselben wird die Speiß und das Tranck in den Magen hinab gelassen / durch das andere aber der Lufft zum Schnauffen an sich gezogen / und von sich gegeben. Dieser zweyfache Zugang wird von einem fleischenen Deckelein unterschieden / welches das Zäpfflein oder Athem-Zünglein genennt wird / und die Lufft-Röhre bewahret /damit im Schlucken nichts hinein falle.

Durch den Halß können erstlich verstanden werden die Prediger und geistliche Vorsteher / als welche das Mittel und Mittler seynd zwischen dem Haupt und dem sittlichen Leib der ihnen anvertrauten Kirchen oder Gemeind: und gleichwie die natürliche Speiß dem Leib durch den Halß oder die Gurgel zukommet /also kommet die geistliche Speiß des Worts GOttes von der heilsamen Lehr / von dem Haupt / das ist /Christo / denen Glaubigen zu. Derowegen / gleichwie der Halß an einem hohen Ort des Leibs gesetzt ist /und sich gerad gegen dem Haupt erhebet / also sollen auch die Prediger und geistliche Vorsteher durch die Tugend und Geschicklichkeit über die andere gemeine Glieder erhöhet seyn / und sich den geraden Weg /ohne Umschweiff auf die Seiten / das ist / auf die Creaturen / durch die Betrachtung und himmlische Begierden gegen GOTT erheben. Sie sollen gleich seyn dem Halß der geistlichen Braut in denen hohen Liederen Salomonis / wo er mit dem Thurn David und mit einem helffenbeinenen Thurn verglichen wird /das ist / hoch / gerad / starck und rein.

Der Halß / wann er wohl und recht bestellet ist /thut sich leichtlich biegen / lencken und wenden auf alle Seiten / wie es die Noth erforderet / und durch ihne gehet ein helle laute Stimm aus. Eben also sollen auch die Prediger und geistliche Vorsteher nach Gestalt der Sachen / und Erheischung der Umständen sich auf alle Seiten wenden / das ist / nach allem sich schicken und richten können / nach dem Exempel des Apostels: flere cum flentibus, & gaudere cum gaudentibus,2 weinen mit den Weinenden / und frölich seyn mit Frölichen / auf daß sie allen alles werden / und alle Christo gewinnen. Zu dem End sollen sie auch / als wie der Halß / eine laute / helle Stimm von sich geben / das ist / keck und frey die Wahrheit sagen / im Predigen straffen und ermahnen / damit sie nicht seyen canes muti, stumme Hund / die sich nicht zu bellen trauen.[243]

Aber gleichwie / wann ein Cathar / oder die Angina, ein Halß-Geschwulst ansetzet / da wird der Halß an dem Reden / Schlinden und Athmen verhinderet /er kan die Stimm nicht wohl herauß / und die Speiß nicht wohl hinein bringen: Eben also / wann der Prediger oder geistliche Vorsteher mangel- oder tadelhafft ist / da kommen die Wort und Reden / oder vilmehr die Werck und Exempel nicht wohl herauß. Eben so hart kommet durch ihne die Speiß der Seelen / die geistliche Nahrung dem Leib und den Gliederen seiner Gemeind oder Untergebnen zu: ja er kan auch selbsten nicht wohl athmen / das ist / den Geist der himmlischen Gnaden an sich ziehen.

Ferners kan auch durch den Halß oder die Gurgel der Fraß und die Schlemmerey verstanden werden; weilen alle Speiß und Tranck durch diese Straß in den Magen eingeführt wird / ein Schlemmer aber oder gefräßiger Mensch auf nichts mehrers als auf die Zu-und Einfuhr bedacht und geflissen ist.3 Deßwegen auch von solchen kan gesagt werden: sepulchrum patens est guttur eorum,4 ihr Schlund oder Rachen ist ein offnes Grab. Dann / gleichwie ein offnes Grab allzeit parat stehet die Todten-Cörper auf- und einzunemmen / also ist der Schlund eines Schlemmers allzeit offen und bereit / Speiß und Tranck zu empfangen / er ruffet gleichsam immerdar laut auf: affer, affer, bring her / bring her. Es wird auch der Wollust / so man hierauß geniesset / nirgends als in dem Durchzug durch die Gurgel empfunden: deßwegen ein gewisser Schlemmer einstens einen so langen Halß /als wie ein Kranich zu haben ihm gewunschen hat /nur damit er das Kosten und den Geschmack von Speiß und Tranck länger geniessen kunte; inmassen die gefräßige Schlemmer nicht den Nutzen oder die Nothdurfft / sondern vilmehr den Wollust im Essen und Trincken suchen / von welchen der Apostel sagt: quorum Deus venter est,5 der Bauch seye ihr Gott /deme sie nemlich die Zeit / Mittel und Kräfften aufopfferen.

Das Hinabschlinden der Speiß und des Trancks verhinderet das Athmen oder Schnauffen; dann so man würcklich etwas isset oder trinckt / da kan man nicht schnauffen oder Lufft schöpffen; weilen die obere Oeffnung des Lufft-Rohrs / welches zum Athmen oder Schnauffen gewidmet ist / zugehet und geschlossen wird / gleichwie hingegen / wann man Athem schöpfft / der Schlund / durch welchen die Speiß und das Tranck eingehet / sich zuschliesset. Daher kommt es / daß / wann ungefehr etwas von der Speiß oder dem Tranck an statt des Schlunds in das Lufft-Rohr (die gemeine Leuth heissen es in den unrechten Halß) kommet / da macht es Ungelegenheit /es nimmt den Athem / und wann es die Natur nicht alsobald mit Gewalt wiederum herauß stossen und auswerffen thäte / so müßte der Mensch versticken; dann er kan nicht wohl über den zwantzigsten Theil lang von einer Stund ohne Athem oder Schnauffen seyn. Eben eine solche Beschaffenheit hat es im sittlichen Verstand: dann die Gefräßigkeit oder wollüstige Schlemmerey verhinderet / daß der Mensch geistlicher Weiß nicht athmen oder Lufft schöpffen / daß die himmlische Tröstungen und Gnaden des H. Geistes nicht an sich ziehen kan / und folgends in dem übernatürlichen Leben nicht lang bestehen. Dann wie der Apostel bezeuget:6 animalis homo non percipit ea, quæ sunt Spiritûs: Ein sinnlicher wollüstiger Mensch vernimmt nicht die Ding / so vom Geist GOttes seynd. Schon in unseren ersten Elteren hat das Essen der verbottenen Frucht den Geist des übernatürlichen Lebens ausgelöscht / und sie samt allen Nachkömmlingen des Tods schuldig gemacht. Ja auch dem zeitlichen Wohlstand ist die Schlemmerey zuwider / und ein Ursach viler Kranckheiten. Die beschwerliche Fettigkeit des Leibs löschet aus die natürliche Hitz / sie verstecket die Lebens-Geister / und vermehret die schädliche und überflüßige Feuchtigkeiten: sie verhinderet die nutzliche Ubungen des Leibs und des Gemüths / und[244] und machet gleichsam stumpff die Schärpffe des Verstands.

Es ist aber der Fraß und Füllerey eigentlich immoderatus appetitus cibi & potûs, wie der Heil. Thomas von Aquin und Albertus M. lehret: das ist / ein unordentlich- oder unmäßige Begierd zur Speiß und Tranck.

Das Laster der Gefräßigkeit aber wird auf fünfferley Weiß begangen / die in folgenden Verslein begriffen seynd:


Præproperè, lautè, nimis ardenter, studiosè.


Essen z'fruhe und auserlesen /

Gar zu kostbar / vil und gschwind /

Deß Fraß gewohnte Laster sind.


Auf solche Weiß hat erstlich im Essen excedirt oder zu vil gethan der Esau / indem er aus unmäßiger Begierd zum Linsen-Muß seinem jüngeren Bruder Jacob die Erstgeburt um selbes verkaufft hat.7 Es haben excedirt die Israeliter in dem Auszug von der Egyptischen Dienstbarkeit / da sie des Manna oder Himmel-Brods überdrüßig / sich mit gebratnen Wachtlen also ageschoppet / daß sie GOTT schwerlich darbey beleydiget haben.8

Es haben excedirt die Bœotii, welche die gefräßigiste aus allen Griechen seynd gehalten worden / die sich nach den Mahlzeiten pflegten auszuleeren / und wiederum von neuem anzufüllen: sie wurden aber billich von allen Weisen als unnutz- und thorrechte Leuth verachtet und verlachet.9

Es hat im Essen und Trincken gewaltig excedirt ein gewisser Timocreon mit Namen / welchem man deßwegen folgende Grabschrifft gesetzt hat:


Multa bibens tum multa vorans, malè plurima dicens

Multis, hic jaceo Timocreon Rhodius.


Zu Teutsch:

Ein Vilfraß bin ich g'wesen /

Ein Weinschlauch auch darbey:

Ein Schwätzer noch darneben /

Glebt hab ich wie die Säu.


Aristoxenus ist ein solcher Schlemmer gewesen /daß er das Kräutelwerck zu Abends im Garten mit Mett getränckt und begossen hat / auf daß es häuffiger wachse / und annehmlicher zu essen sey. Ravisius. Nisæus, der Syacuser Tyrann / als er von denen Wahrsageren vernommen hat / daß er bald sterben werde / da hat er die übrige Lebens-Zeit lediglich aufs Essen und Trincken gewendet. Idem. Astidamas Milesius wurde von Persa Ariobazane zu einem reichen Gastmahl eingeladen / und hat alles / was für sammentliche Gäst zubereitet war / alleinig aufgefressen. Idem. Phago ist ein solcher Fresser und Sauffer gewesen / daß er bey der Tafel Aureliani ein gantzes Wildschwein / 100. Brod / einen Hammel und Spanfercklein in einem Tag geessen / auch ein gantzes Schlauch-Fäßlein Wein darzu getruncken hat.10

Miltridates hat reiche Schanckungen aufgesetzt denen / so am meisten essen und trincken kunten / nur damit er mehr seines gleichen Schlemmer haben möchte: doch hat er im Trincken alle Menschen seiner Zeit weit übertroffen.

Heraclides Pyctes ware ein unmäßiger Esser und Trincker: Einige hat er zum Morgen-Essen eingeladen / andere zum Mittag- und wiederum andere zum Nacht-Essen an einem Tag / da er allzeit mitgehalten /ja anderen es weit vorgethan hat. Tyberius Nero der Kayser brachte einen Tag und zwey gantze Nächt in beständigem Essen und Trincken zu. Deßwegen er auch von seinen Soldaten Spott weiß Biberius Mero ist genennt worden.

Maximinus aber / so auf Alexandrum, Mammeæ Sohn gefolget ist / und ungemein groß und starck ware / der aß in einem Tag 40. Pfund Fleisch / und trancke einen gantzen Eymer Wein / wobey er also schwitzte / daß man mit dem aufgefangenen Schweiß einen grossen Becher anfüllen kunte. Sabell. lib. 10. c. 10.11 Endlich in dem Laster der Schlemmerey seynd versencket alle die jenige / welche immerdar jenes verfluchte Gesänglein anstimmen / und in der That üben / nemlichen:


Ede, bibe, lude, post mortem nulla voluptas.
[245]

Nur tapffer iß / nur trinck und spihl /

Der Todt dem Lust machts End und Zihl.


Laßt uns hören / was die H. Schrifft und Vätter darzu sagen: Væ vobis, qui saturati estis, wehe euch / die ihr voll seyd / dann ihr werdet hungeren.12 Luc. c. 6. v. 24. Filius vester, si commessationibus vacat & luxuriæ atque conviviis, lapidibus eum obruet populus: Wann euer Sohn lebt in Schwemmereyen / Unkeuschheit und Füllerey / so sollen ihn versteinigen alle Leuth derselben Stadt. Deut. c. 21. v. 20. Wann sie essen und satt und feißt werden / da werden sie sich wenden zu anderen Göt teren / und ihnen dienen / und mich lästeren / und meinen Bund fahren lassen. Deut. c. 31. v. 20. Sey nicht gefräßig in allem Schlecken / und schütte dich nicht aus auf alle Speiß: dann vil essen macht kranck / durch Füllerey seynd vil gestorben etc. Eccli. c. 37. v. 32. Lasset uns ehrbarlich wandlen / als am Tag / nicht in Fressereyen und Trunckenheiten etc. ad Rom. c. 13. v. 14.

Auf gleiche Weiß reden die HH. Vätter: Wer der Schlemmerey dienet / sagt der H. Ambrosius, der dient einer gar schlimmen Frauen: dann sie ist unersättlich / heut füllet sie sich an / Morgen will sie schon so vil wiederum haben / unterdessen saget sie aller Tugend und Ehrbarkeit ab.13 Wann der Fraß und die Füllerey überhand nimmet / da verliehrt der Mensch alles / was er Löbliches gethan hat: und wann man diesem Laster nicht Innhalt thut / so werden alle Tugenden vertriben. Dann die Schlemmerey führet unzahlbare Laster wider die Seel in das Feld.14 Idem. Niemand kan die hitzige Stachel der bösen Begierden hinterhalten oder zuruckhalten / der den allzugrossen Appetitt im Essen und Trincken nicht zu mäßigen weiß. Sagt Innoc. de vilit. condit. humanæ.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 243-246.
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