Der 2. Absatz.

Von dem Magen und dem Bauch.

[246] Der Magen ist gleichsam die Kuchel oder Speiß-Kammer / in und von welcher die Speisen für die Nahrung des Menschen zubereitet werden.15 Dann zu wissen ist / daß / nachdem die Speiß von denen Zähnen zermahlen und verkäuet worden / da wird sie durch den Schlund in den Magen eingeführt / allda verdäuet und in den chylum oder sogenannten Milch-oder Nahrungs-Safft vewandlet / und dann ferners durch die untere Oeffnung des Magens ausgeführt: der besser- und subtilere Theil endlichen in Blut und Fleisch verwandlet / der gröbere und überflüßige aber in die Excrementa oder den Auswurff verkehrt / und durch das Gedärm von dem Leib ausgestossen.

Der Magen aber ligt gleich unter dem Zwerch- oder Brust-Fell / und wird rechter Seits an der Leber /lincks aber an dem Miltz fest gemacht. Er wird abgetheilt in den Grund oder die Hölen / und 2. Mund-Löcher: das eine wird der Magen-Mund genennt; weilen die Speisen aus der Gurgel dardurch in den Magen kommen: das andere aber Pylonus oder der Portner; weilen durch selbes / als durch ein Porten die schon verkochte und verdäute Speiß in die anhangende Därm ausgelassen wird. Oberhalb ist der Magen enger / unterhalb aber weiter / rauh und geruntzlet oder gefältlet / die Speiß besser zu behalten / als wann er glatt und schlipfferig wäre etc.

Der Magen gibt uns durch seine Beschaffenheit in sittlichem Verstand zu verstehen / wie man die geistliche Speiß / das ist / das Wort GOttes oder die geistliche Lehr auf- und annemmen solle.16 Dann / gleichwie der Magen allzeit parat und offen stehet / die Speiß von dem Mund zu empfangen / und die empfangene aber nicht gleich wieder von sich giebt / sondern mit guter Weil verdäuet oder verkochet / und erstlich ihm selber zu Nutzen[246] macht / hernach aber auch seinen Mitgliederen austheilet / also solle der Mensch allzeit fertig und bereit stehen / das Wort GOttes von dem Mund des Predigers / der an statt GOttes redet (qui vos audit, me audit,17 der euch anhöret / höret mich) nicht nur annemmen / sondern auch sorgsam in der Gedächtnuß behalten: si verba mea in vobis manserint,18 wann meine Wort in euch bleiben / und durch reiffe Betrachung gleichsam verkäuen oder verkochen / ihme selber und anderen die geistliche Nahrung und Nutzen darvon zu verschaffen. Wann der Magen die eingenommene Speiß oder Artzney nicht bey sich behaltet / sondern gleich wiederum von sich gibt / da ist es ein schlimmes Zeichen einer gefährlichen Kranckheit: und wann der Mensch die gute Zusprüch und Ermahnungen alsobald so gleich ausser Acht und aus der Gedächtnuß lasset / da ist es ein Zeichen / daß die Seel geistlicher Weiß kranck und übel bestellt seye.

Wann der Magen gesund und hitzig ist / so hat er grossen Lust und Appetit zum Essen / er nimmt gern auch starck und rauhe Speisen an / und thut selbe leicht verkochen. Auch der Mensch / wann er wohl bestellt / und auf die Ehr GOttes und seiner Seelen Heyl hitzig und begierig ist / da nimmt er gern an /auch die harte Bestraffungen / er thut selbige leicht verkochen / wann ihm seine Fehler / Mängel und Verbrechen vorgehalten und verwiesen werden.

Die Verdäuung der Speisen in dem Magen / und folgends die Nahrung wird auf unterschiedliche Weiß verhinderet: benanntlich wann der Magen verkältet /wann er mit der Vile der Speisen überladen ist / wann er einen Eckel oder Unwillen ab dem Essen hat etc. auch die Verdäuung / und folgends der Frucht und Nutzen der geistlichen Speiß / des Worts GOttes wird verhinderet / wann der Mensch in der Liebe verkaltet ist / wann er von irdisch- und eitlen Freuden und Wollüsten schon überhäufft und eingenommen ist /wann er keinen Lust und geneigten Willen zu dem geistlichen Wesen hat etc.

Sonsten kan wohl auch in sensu politico durch den Magen die gemeine Cassa oder Rent-Kammer eines Lands oder Fürstenthums verstanden werden: dann /glelchwie fast alle Ständ einer Provinz oder Landschafft von ihrem Hab und Gut ein gewisses Quantum in die gemeine Cassam eintragen und liefferen müssen / und das gemeine Beste zu erhalten und zu beförderen sich bemühen: der Baursmann zwar mit seinem Feld- und Acker-Bau: der Handwercksmann mit seiner Hand-Arbeit / der Kauffmann durch seine Handelschafft / der Soldat mit Wachen und Fechten etc. da hingegen der Lands-Fürst oder regierende Herr für alle Ständ sorgen / und aus der gemeinen Cassa die gemeine Kösten bestreiten solle / als da seynd zur Sicherheit des Lands / die Kriegs-Trouppen und Vestungs-Wercker unterhalten / die gemeine Straß- und Brucken / die Wasserleitungen und offentliche Gebäu etc. im gutem Stand ehalten: Eben also / sage ich /müssen die Glieder des menschlichen Leibs alle zusammen helffen und geflissen seyn / daß die nöthige Lieferung von Speiß und Tranck in den Magen richtig geschehe.19 Dieser aber hingegen muß auch das Seinige thun / er muß die Speiß verkochen / und die Materi præpariren / aus welcher das Fleisch und Blut formirt wird / wie auch die Lebens-Geister / worvon die Glieder ihre Krafft und Stärcke bekommen / die gewöhnliche Functiones zu verrichten etc.

Dieses alles wird durch folgendes sinn- und lehrreiches Gedicht erkläret.

Es begab sich einstens / daß die Glieder des menschlichen Leibs sich beklagten und beschwehreten wider den Magen des Menschen / mit Vermelden: daß sie alle ihre gewisse Functiones oder Geschäfft verrichten / und in Verschaffung der täglichen Nahrung / der Speiß und des Trancks sich vilfältig bemühen müssen / er aber der Magen allein / gehe müßig /lasse ihm wohl seyn / und verzehre alles in guter Ruhe: Der Kopff sagte: er müsse[247] offt speculiren und studiren / wo die nothwendige Mittel / das Essen und Trincken aufzubringen: Die Augen sagten: sie müssen in der Nähe und in der Weite umsehen / wo etwas zu bekommen / und die Ohren gleichfalls gespannet stehen: Die Händ aber sagten und klagten / sie müssen so manchen schweren Last heben und tragen / etwas zu gwinnen / und die Füß einen manchen hart- und sauren Tritt thun: deßwegen dem Magen mißgünstig und unwillig haben sie einhellig beschlossen ihme den Dienst aufzukünden / und keine Speiß noch Tranck ihme zu verschaffen.20 Aber O wohl ein thorrecht- und und unbesonnener Rathschlag ware dieses /dann so bald der Magen nichts mehr zu essen und zu verkochen gehabt / da wurde folgends auch kein Blut mehr von der Leber gebracht / keine Lebens Geister mehr ersetzt / denen anderen Gliederen keine Krafft und Stärcke mehr mitgetheilt / sondern alles ware gantz schwach / krafftloß und erkrancket / und also mußten die Glieder mit eignem Schaden gewitziget lernen / daß ihnen an dem Wohlstand des Magens so vil als an ihrem eignen gelegen seye.

Der Bauch ist die jenige Höle des menschlichen Leibs / welche die Partes nutritias oder ernährende Theil in sich begreifft / die Nieren / die Blase / und all die jenige / so zu der Generation beyderley Geschlechts gewidmet seynd; darinn befindet sich auch das Gedärm oder Ingewaid: und daher haben gemeiniglich die fleischliche Begierd und Neigungen ihren Ursprung.

Der Bauch ist gleichsam ein Senck-Grub des Unflats in dem menschlichen Leib / in welche der Uberfluß der Speisen von dem Magen ausgestossen werde.

Es kan deßwegen wohl durch den Bauch die Unmäßig- und Unlauterkeit verstanden werden: und wann dieser Bauch der fleischlichen Begierlichkeit durch die Vernunfft / Gnad und Tugend nicht constringirt oder ingehalten / und von unzuläßlichen Dingen abgehalten wird / so thut aus ihme vil Schand und Ubels entspringen.21 Welches der weise Mann wohl erkennt hat / da er zu GOTT gebeten: Aufer à me concupiscentias carnis:22 Nimme hinweg von mir die Lust des Bauchs. Das Widerspiel thun die jenige / von welchen ich oben gemeldet / quorum Deus venter est, die ihren Bauch für einen Abgott halten / deme sie täglich so vil Opffer schlachten / als vil Schüßlen und Kannten sie ausleeren. Von welchen des weisen Manns Sprüch melden: Justus comedit, & replet causam suam, venter autem eorum insaturabilis est:23 Der Gerechte isset und erfüllet sein Seel / aber der Gottlosen Bauch ist unersättlich. Wiederum der gedultige Job: Divitias, quas devoravit, evomet, & de ventre illius extrahet eas Deus:24 Die Reichthum / so er gefressen hat / wird er wieder ausspeyen / und Gott wird sie aus seinem Bauch reissen.s

So lang das Kind noch in Mutterleib liget / und in dem Unflat stecket / weinet und trauret es nicht / weil es sein Elend noch nicht erkennet: wohl aber so bald es an des Tags Liecht kommt / und auf die Welt gebohren wird. Eben also der verblendete Sünder / so lang er in der unreinen Welt vertiefft ist / und in dem Unflat der sinnlichen Wollüsten gleichsam als wie in dem Bauch seiner Mutter stecket / da geduncket er sich vergnügt und glückseelig zu seyn: aber wann er durch die Gnad GOttes herauß gezogen und erleuchtet wird / da erkennet er es erst / und gibt GOTT die Ehr und den Danck / mit dem König David sprechend: Tu es, qui extraxisti me de utero matris meæ,25 du hast mich aus meiner Mutter Leib gezogen.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 246-248.
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