Der 4. Absatz.

Von dem Blut des Menschen.

[253] Das Blut ist ein fürtrefflicher rother Safft oder Humor, feucht und warm zur Nahrung der Glieder verordnet / in welchem der Lebens-Geist seinen eigenthumlichen Sitz hat.45 Das Blut ist ausser dem Hertzen theils in denen Pulß- theils in den anderen Aderen: jenes ist dinner / wärmer und röther / dieses aber kälter / dicker und blaicher. Wann man das Blut durch die Distillir-Kunst auflöset / da ziehet man aus demselben einen flüchtigen Spiritum, der sehr penetrant ist. Das Blut wird mehrentheils von der Leber ausgekocht / und fliesset alsdann in die Aderen: wann es aber aus denen Aderen in einen anderen Theil innerhalb des Leibs sich ergiesset / da gehet es zusammen / oder wird gestocket / dann es ist mit vil Zäherlein oder zarten Fäßlein vermenget / ohne welche es nicht möchte in Fleisch verwandlet / noch der Leib darvon ernähret werden. Sonst empfangt das Blut sein mehriste Hitz von dem Hertzen / als von einem Feur-Ofen / damit es also erwärmet in die andere entfernte Theil des Leibs gelange / und ohne welche Wärme es zu seinen Verrichtungen nicht tauglich wäre.

Das Blut ist dem Menschen also nothwendig / daß er ohne dasselbe durchaus nicht leben kan: ja es ist gleichsam der Ursprung und eigentliche Wohnsitz des Lebens / wie geschrieben steht: Anima omnis carnis in sanguine est,46 die Seel alles Fleisches / das Leben ist in dem Blut. Und eben darum kan das Blut wohl mit der Gnad GOttes verglichen werden: als welche auch die Ursach und der Ursprung des geistlichen Lebens ist / und ohne welche die menschliche Seel nothwendig geistlicher Weiß des Tods sterben muß / nach Zeugnuß des Propheten Ezechielis: Anima quæ peccavit, ipsa morietur:47 welche Seel gesündiget / dieselbe soll sterben.

Die Effect oder Würckungen des häuffigen Bluts oder Eigenschafften eines blutreichen Menschen werden durch folgendes Verslein angezeigt:


Largus, amans, hilaris, cantans, rubeíque coloris,


Welches so vil sagen will / daß / der vil Blut hat /seye hitzig und roth von Angesicht / freygebig / fröhlich und sinnreich /[253] ein Liebhaber und gütig. Gleichwie nun das Blut in dem Leib eine Hitz verursachet /eine Röthe in dem Gesicht / in dem Würcken eine Stärcke / in dem Verstand eine Subtilität / in der Affection eine Zartigkeit / in der Hand eine Freygebigkeit / und in der Stimm eine Lieblichkeit: also und noch vilmehr verursachet die Gnad GOttes in der Seel die Hitz der Liebe in dem Angesicht / die Röthe der Schamhafftigkeit / die Krafft und den Nachdruck in denen guten Wercken / die Klarheit oder den Glantz der Bescheidenheit / die Süßigkeit der Andacht / die Willfährigkeit denen Bedürfftigen beyzuspringen /und eine annehmliche Frölichkeit. Ein gutes Geblüt bringt mit sich und verursachet eine gute Constitution, oder die Gesundheit des gantzen Leibs / sie macht ihne starck / ansehnlich / hertz- und lebhafft: und die Gnad GOttes verursachet die gute Beschaffenheit der Seel / sie zieret sie / und gibt ihr das über natürliche Leben / Schönheit / Krafft und Stärcke.

Es können auch durch das Blut die zeitliche Güter oder Habschafft- und Reichthumen verstanden werden: dann gleichwie das natürliche Leben ohne Blut nicht bestehen kan / also kan man auch nicht wohl leben ohne zeitliches Gut und Habschafft; deßwegen diese Güter insgemein Media oder Mittel / das ist /Mittel wohl zu leben genennt werden: und gleichwie die Menge des Bluts den Leib schön / frisch / munter und starck machet / also machen die zeitliche Güter und Reichthumen den Menschen ansehnlich / frölich und mächtig; durch solche Mittel kan man alles zuwegen bringen.48 Pecuniæ obediunt omnia.49


Das Gut und Geld regiert die Welt /

Wer keines hat / der ist Schach matt.


Aber / wann man gar zu Blut reich ist / da pflegt man Ader zu lassen / man lasset durch die Oeffnung einer Ader einen Theil des überflüßigen Bluts herauß / damit dem Hertzen Lufft gemacht werde / und das häuffige Blut dem Menschen nicht zu eng mache /oder ihne gar verstecke. Eben also der vil Gut und Geld hat / solle zu Zeiten die Aderen der Freygebigkeit eröffnen / und den Uberfluß seiner Reichthumen unter die Arme / Bedürfftige / und andere gute Freund lassen ausfliessen: dann sonsten wird das überflüßige Blut / oder vilmehr Gut und Geld ihme gar zu starck zu Hertzen dringen / ihme das Gewissen beschweren und eng machen / ja gar verstecken / und machen /daß er nicht mehr schnauffen oder athmen / das ist /keinen Lufft der Gnad GOttes / oder eines himmlischen Trosts mehr schöpffen kan: dann die überflüßige Güter und Reichthumen verursachen Mühe und Arbeit / wann man sie sammlet und zuwegen bringt /Sorg und Kummer / daß mans bewahre und erhalte /Leyd und Schmertzen aber / wann mans verliehret /und also lassen sie die Reiche und Geitzige niemahl ruhig schnauffen.

Ein anderes Mittel / das überflüssige Blut aus dem Leib zu bringen / ist / daß an der Haut einige Blut-Egel (seynd lange schwartze Würm / die sich in denen Pfützen aufhalten) ansetzet / die das Blut herauß / und sich so voll ansaugen / biß sie von selbsten herab fallen / und zu Grund gehen.50 Solche Blut-Egel im sittlichen Verstand gibt es nur gar zu vil: dann Blut-Egel seynd all die reiche Geitzhälß / die unmilde Obrigkeit- und Herrschafften / Geld-gierige Richter und Beamte / welche dem armen Baursmann und Unterthanen das Blut biß auf den letzten Tropffen aussaugen /ich will sagen / den letzten Kreutzer von ihnen erpressen. Aber dieses geschiehet offt zu ihrem selbst eignen / auch zeitlichen Schaden und Schand; dann wann sie sich voll angesogen / das ist / wohl bereichet haben / so fallen sie offt ab von ihrer Würde / von ihrem Amt und Ehren auf den Boden herab in einen verächtlichen Stand / in welchem sie von allen / die sie vorher geplagt und gepreßt haben / verhaßt und verlacht werden.

Ein solcher Blut-Egel ist gewesen jener reiche /aber ungerechte Edelmann / welcher einen gewissen H. Bischoff[254] in sein Schloß zu Gast geladen hat: dieser / obwohlen ihme um nichts wenigers als um Gastereyen ware / kame gleichwohl (damit er nemlich keine Gelegenheit eine Seel zu gewinnen verabsaumte) und als er in dem Tafel-Zimmer vor dem Essen mit diesem Edelmann discurirte / und der Tisch schon gedeckt ware / da nahm er / der Bischoff / ein Eck oder abhangenden Theil von dem Tischtuch / wicklet und trucket dasselbige zusammen / als wie man ein gewaschne oder nasse Leinwath auszuwinden pflegt / und sihe Wunder! alsobald lieffe aus dem schneeweisen und sonst gantz trucknen Tischtuch das helle und häuffige Blut herab.51 Aus diesem Wunder nahme der Bischoff Anlaß dem Edelmann zu verweisen / wie das meiste seiner Habschafft ein ungerechtes / von seinen Unterthanen mit Gewalt erpreßtes Gut seye etc. O wann heutiges Tags alles Servies oder kostbare Tisch-Geräth / so manche fürnemme Herren aus dem von ihren Unterthanen mit Gewalt und Unrecht erpreßten Geld haben machen lassen / so häuffiges Blut schwitzte / so wären die silberne Schüßlen und guldene Becher offt so voller Blut / als voll von Wein und Speisen.

Noch ärger / als diese Blut-Egel seynd die Blut-durstige Tyrannen / welche manchesmahl ihren Durst zu löschen grausame Blut-Bäder angestellt haben.52

Ein solches Blut-Bad hat in gantz Judäa angestellt der König Herodes / indem er 4000. unschuldige Kindlein hat ermorden lassen. Ein solches Blut-Bad haben angestellt die Heydnische Kayser / Decius, Nero, Diocletianus etc. und vil andere / welche so vil 1000. unschuldige Christen um des Glaubens willen haben hinrichten lassen. Ein grosses Blut-Bad haben auch aus gerechter Verhängnuß GOttes zu Jerusalem 40. Jahr nach der Creutzigung Christi angestellt Titus und Vespasianus, als sie mit dem Römischen Kriegs- Heer die Stadt so hart belägeret / mit Gewalt eingenommen / und 1100000. Juden nidergemacht haben /also daß gantze Bächlein von dem Blut durch die Gassen der Stadt geloffen / auch die Menschen und Pferdt tieff im Blut gewattet seynd: und als der Weltberühmte Tempel in Brand gesteckt wurde / haben sich ihrer vil bemühet mit Zugiessung lauter Bluts /an statt des Wassers / das Feur zu löschen. Als aber die Uberwinder mit Niedermetzgen der Juden ermüdet waren / und doch noch vil der Feinden übrig waren /da haben sie dieselbige um einen Spott / nemlich 30. Juden um einen Silberling verkaufft / gleichwie sie zuvor den Sohn GOttes um 30. Silberling vom Verräther Judas Ischarioth an sich erkaufft haben.53

Ein Blut-Bad und lauter Blut der unschuldigen Kinder ist auch von denen Artzten dem noch heydnischen Kayser Constantino zu brauchen gerathen worden / um dardurch von dem Aussatz / mit deme er behafftet ware / gereiniget zu werden. Aber die Heil. Apostel / Petrus und Paulus erschienen ihme in der Nacht / und vermahnten ihn von diesem gottlosen Vorhaben abzustehen / und vilmehr den H. Pabst Sylvestrum, der wegen der Verfolgung in einer Speluncen verborgen lag / zu beruffen / sich von demselben in dem Christlichen Glauben unterweisen und tauffen zu lassen: welches auch geschehen ist / und mithin der Kayser von dem Aussatz des Leibs und der Seel / das ist / dem Heydenthum ist gereiniget worden.

Ein grausames Blut-Bad haben die neidige Juden dem unschuldigen Heyland angerichtet / indem sie ihme theils durch den blutigen Schweiß an dem Oelberg / theils durch die Geißlung und Creutzigung das Blut biß auf den letzten Tropffen ausgepreßt haben.

In einem Blut-Bad hat das Leben müssen lassen Anneus Seneca, welcher im 114ten Jahr seines Alters / weiß nicht aus was Ursachen / von dem Kayser Nerone ist befelcht worden / ihme selbsten einen Todt zu erwählen und anzuthun. Er ließ ihm also selbst die Aderen öffnen / damit er sich gleichwohl zu todt bluten solte. Weilen[255] aber das erkaltete Blut des alten und ausgemergleten Greißen nicht recht fliessen wolte / so hat er ein Gifft eingenommen: und weilen auch dieses nicht operiren wolte / und nicht kunte zu seinem Hertzen dringen / indem die Pori oder Lufft-Löchlein seines Leibs verstopfft / und die Aderen eingestrupfft waren / da hat er sich in ein warmes Bad-Wasser gesetzt / worauf die Pori alsobald seynd eröffnet worden / das Gifft hat zum Hertzen gedrungen / und das Blut häuffig zu fliessen angefangen / mithin der Todt beschleuniget worden.54

Attila, ein König der Hunnen / als er in Italien zuruck kehren wolte / und sich in Pannonien verheyrathete / da hat er sich die erste Nacht nach der unglück seeligen Hochzeit starck bezechet / und zu todt geblutet; weilen in dem starcken Schlaff das Blut ihme so häuffig aus der Nasen in den Mund und Halß geflossen / daß es ihne versteckt hat / ehe daß es jemand vermerckte / welches ein billiche Straff des so vilen von ihm vergoßnen Menschen-Bluts ware.55

Athanaricus der Gothen König / nachdem er die Christen grausam verfolgt hatte / da ist ihme das Blut so häuffig aus dem gantzen Leib geflossen / daß ihme sein gottlose Seel samt dem Blut ausgangen ist.56

Die bißher Erzehlte haben ihr eignes und frembdes Blut häuffig vergossen. Hingegen andere haben das Blut nicht gesparsam getruncken / oder mit demselben sich verschrieben und unterzeichnet bey geschwornen Verbündnussen und dergleichen: anderemahl haben auch die Todten-Cörper Blut geschwitzt in Gegenwart ihrer Todtschläger.

Das vergoßne Blut der unschuldig-Ermordeten hat ein gar starcke Stimm / es schreyet laut auf / also /daß es biß in den Himmel gehört wird / wann es Rach begehret.57 Also hat geschryen das Blut des Abels /der von seinem Bruder Cain ist erschlagen worden: wie GOtt selber bezeuget / zu dem Cain sprechend: Was hast du gethan? die Stimm des Bluts schreyet zu mir von der Erden.58 Wie auch das Blut des Propheten Zachariä / welcher um der Gerechtigkeit willen ist umgebracht worden zwischen dem Tempel und Altar. Also hat auch zu GOTT um Rach geschryen das Blut der unschuldigen Kindlein: usquequo non vindicas sanguinem nostrum etc.59 Um Rach hat geschryen das Blut des H. Königs und Martyrers Ladislai wider seinen mörderischen Bruder Boleslaum, indem die Kirchen-Mäur / die von seinem Blut seynd angespritzt worden / mit keinem Fleiß noch Mühe von denen Todtschlägeren haben können abgewaschen werden / sondern die immerwährende Merckmahl des Todtschlags verbliben seynd.60

Ja auch die truckne und dürre Todten-Beiner eines Heil. Thomæ, Herfortiensischen Bischoffs in Engelland / haben durch wunderbarliches und häuffiges Blutschwitzen um Rach geschryen / lang nach seinem Todt / in der Gegenwart des Golvernischen Grafens /der diesen gottseeligen Bischoff um des Glaubens willen aufs äusserist verfolgt hat. Dergleichen etwas hat sich auch begeben unfern von Wien in Oesterreich / da ein Messerschmidt von dem Geitz-Teuffel angetriben / seinen Reiß-Gespanen ermordet hat / und in dem Wald in einem dicken Gesträuß vergraben.61 Nach 20. Jahren begabe es sich / daß ein adelicher Herr in derselbigen Gegend jagte / und als seine Jagdt-Hund alles Gesträuß / alle Hecken und Stauden durchsuchten / kamen sie eben auf den Platz / allwo der Todten-Cörper des Ermordeten vergraben ware /welchen sie mit den Füssen herauß schareten / und mit starckem Bellen ihrem Herrn zu verstehen gaben /daß etwas verborgen lage: diser eilet herbey / und sihet mit Verwunderung den Todten-Cörper: weilen aber er einige Beiner desselben gar schön und weiß befunden / nahm er etliche zu sich / und trug sie nacher Hauß / willens Handheffter zu Messer und Gablen darauß machen zu lassen. Als er aber selbige zu eben dem Messerschmidt / der vor 20. Jahren[256] in höchster Geheim den Todtschlag begangen hat /brachte / und dieser die Bein zu besichtigen in die Hand nahme / da / sihe Wunder! ist alsobald häuffiges Blut von ihnen geflossen / und also haben sie den Thäter verrathen / und gleichsam überlaut wider ihne um Rach geschryen / der auch seine Mordthat bekennet hat / und von der Obrigkeit ist verurtheilt worden.62

Endlichen lise ich auch von einem leuchtenden Blut: dann ein Blut-Ampel / oder sogenannte Lebens-Kertz soll durch die Chymische Kunst aus Menschen-Blut verfertiget werden / welche nicht nur brinnet so lang der Mensch bey Leben ist / sondern auch durch ihren hellen oder duncklen Schein des Menschen Gemüths- und Geblüts-Aenderungen deutlich anzeige.63 Dergleichen solle Oliverius Arto, ein Engelländer /und Hieronymus Reiter, Burgermeister zu Leipzig eine gehabt haben / welche auch bey erfolgtem Todt dieser beyden Männer augenblicklich verloschen seyen. Wie Jo. Hybner schreibet in seinem curieusen Natur- und Kunst-Lexico. Aber lasset uns in nachfolgendem Titul hören und sehen / wie unvergleichlich heller leuchte und läuter ruffe das auf Erden annoch wahrhafftig anwesende allerheiligste Seiten-Blut Christi Jesu.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 253-257.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die tugendhafte Sara Sampson macht die Bekanntschaft des Lebemannes Mellefont, der sie entführt und sie heiraten will. Sara gerät in schwere Gewissenskonflikte und schließlich wird sie Opfer der intriganten Marwood, der Ex-Geliebten Mellefonts. Das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel ist bereits bei seiner Uraufführung 1755 in Frankfurt an der Oder ein großer Publikumserfolg.

78 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon