Der 4. Absatz.

Von der Gall des Menschen.

[273] Die Gall des Menschen ist eigentlich ein schweflichter und saltziger Auswurff des Geblüts / welcher in der Leber von dem guten Geblüt abgesönderet wird /und hernach aus dem Gallen-Säcklein theils in den Magen / alldorten durch ihre Hitz die Verkochung der Speisen zu beförderen / übergehet / theils aber in die Intestina, in das Gedärm / allwo sie vermittelst ihrer Schärpffe die Fœces, das Uberflüßige und Unreine von den Speisen austreiben hilfft. Die Gall ist hitzig /dürr und bitter / ihre gewöhnliche Farb ist gelb. Sie ist nutzlich / ja nothwendig zu des Menschen Leben und Gesundheit. Doch wann sie überhand nimmt /oder sich ausser ihres ordentlichen Gangs in den Leib ergiesset / da verursachet sie Grimmen / Lähmung der Glieder / und andere Ungemach: neben dem / daß sie den Menschen zum Zorn bewegt.

Durch die Gall kan sittlicher Weiß die Trübsal und Mortification oder Abtödtung verstanden werden: dann so wohl diese als jene ist bitter und saur / sie kommt den Menschen hart an / aber sie ist sehr nutzlich / ja nothwendig die Gesundheit und den Wohlstand der Seelen zu erhalten / als wie die Gall zu Erhaltung des Leibs.34 Sie reiniget und sönderet ab das böse unreine Geblüt von dem guten und reinen / ich will sagen / die gute Affectiones oder Anmuthungen von denen bösen und unordentlichen. Sie macht verdäuen oder verkochen / das ist / reifflich betrachten und zu Gemüth führen das Zeitliche und Ewige / und treibet aus dem Menschen die Fœces[273] oder schädliche Uberflüß der eitlen Freuden und Wollüsten / durch Erleuchtung des Gemüths / und durch die Erkanntnuß der Zergänglichkeit derselben. Dessen ist ein Figur gewesen jene Gall / welche der junge Tobias auf seiner Reiß aus Befehl des Engels hat müssen von dem Wallfisch nemmen / um darmit die Augen seines Vatters zu bestreichen / und von der Blindheit zu curiren: dann die Trübsal und Abtödtung oder Bußfertigkeit erleuchtet den Menschen innerlich / und macht daß er siehet oder erkennet / was er von dem falschen Schein der Wohlfahrt und des zeitlichen Lebens verblendet /niemahl gesehen oder erkennet hatte.

Aber so bitter die Gall immer ist / so thut sie gleichwohl indirectè eine Süßigkeit verursachen; dann / indem sich die Bitterkeit der Humorum oder flüßigen Theilen inner dem Menschen an ein Ort zusammen ziehet / und bey der Gall versammlet / da bleiben die andere Theil desto mehr versüsset. Eben also ist auch unter der Bitterkeit der Trübsal und Buß ein heimliche Süsse verborgen; dann so vil der Bedrangte und Bußfertige Leyd und Schmertzen empfindet wegen begangenen Sünden / so vil geniesset er Freud und Süßigkeit wegen des innerlichen Trosts und der Verzeyhung. Ja wie der Heil. Augustinus sagt: Dulciores sunt lachrymæ pœnitentium, quàm gaudia theatrorum: die Zäher der Büssenden seynd annehmlicher / als die Lustbarkeiten der Schauspieler.

Ferners / weilen ein häuffige Gall der Ursprung und ein Ursach des Zorns ist (indem sie das Blut bey dem Hertzen erhitzet und aufwallen macht) so wird durch die Gall auch der Zorn selbsten verstanden / und gallsichtig oder zornmüthig seyn / fast für eines genommen.35 Es ist aber der Zorn eigentlich nicht nur ein Verdruß oder Unwillen / sondern wie die Lehrer sagen: inordinatus vindictæ appetitus, ein unordentliche Begierd zur Rach / oder wie andere reden: irrationabilis perturbatio mentis, ein unvernünfftige Verwirrung des Gemüths. Wie der Heil. Gregorius anmercket / so gibt es drey- oder vierley Gattungen der Zornigen: dann einige erzürnen sich leichter Dings und geschwind / sie werden aber auch bald und leicht wiederum befriediget: andere hingegen erzürnen sich zwar nicht so leicht und geschwind / aber wann sie einmahl zornig seynd / da legen sie den Zorn nicht leicht wiederum ab: wiederum andere werden bald zornig und bleibens lang / welches die schlimmste seynd: endlichen noch andere erzürnen sich nicht leicht / gleichwohl seynd diese die bessere / dann sie werden gleich und leicht wieder besänfftiget.

Aber ein hefftig- und recht zorniger Mensch gleichet in seinen Sitten und Gebärden mehr einem unvernünfftigen Thier oder wilden Bestien / als einem vernünfftigen Menschen: wann er nemlichen wütet und tobet als wie ein grimmiger Löw / Beer oder Tigerthier / wann er schaumet wie ein hitziges Pferdt; wann er die Zähn wetzet und blecket als wie ein bißiger Hund; wann er so voller Gifft ist des tödtlichen Hasses als wie eine Schlang; wann das Angesicht gantz verwirret ist / die Augen verstellt / die Leffzen verbleicht / die Stimm gebrochen / wann die Glieder zitteren / das Hertz entzündet ist / und das Blut in Aderen aufwallet. Billich derowegen hat der weise Seneca gesagt: Ira brevis quædam insania est: Der Zorn ist ein kurtze Wuth oder Raserey / und daß ein Zorniger sich anstelle / oder in Gebärden eben wie ein Unsinniger sich verhalte. Aristoteles hat denen Zornigen weißlich gerathen / sie sollen sich selber in einem Spiegel betrachten / auf daß sie ihre häßliche Verstellung ersehen / sich derselben schämen / und darvon abstehen. Ja der weise Salomon selber mahnet: Ne sis velox ad irascendum, quia ira in sinu stulti requiescit:36 Seye nicht gäh zum Zürnen / dann Zürnen ruhet in der Schoos eines Narren. Deßgleichen spricht der Prophet David einem jeden zu: Desine ab ira, & derelinque furorem, noli æmulari, ut maligneris:37 Stehe ab von dem Zorn / und lasse [274] den Grimmen / erzürne dich nicht / daß du auch übel thust. Dann der Zorn ist in der Wahrheit ein Peiniger und Mörder des Gemüths / ein Zerstöhrer des Friedens / ein Gifft des Lebens / ein Beförderer des Todts / ein blutdurstiger Wüterich / ein Rauber des Verstands / ein Verkehrer des Willens / ein Zundel der Feindschafft / eine Schul der Gottlosigkeit / ein wütende Wasser-Fluth / so alles hinreisset / ein Weeg des Verderbens / eine Porten und Vorspiel der Höllen. Unaussprechlich groß ist der Schaden / so von dem Zorn verursachet wird / unzahlbar seynd die Ubel / so er in der Welt pflegt anzustifften / Fluchen / Lästeren / Brand und Mordthaten etc. nicht nur Privat-Personen / sondern gantze Städt und Länder richtet er zu Grund / wann es ihm an Kräfften nicht ermanglet.38

Ein recht zornig- und rachgieriger Mensch greifft an und verletzt drey auf einmahl: nemlich GOTT durch die Sünd / den Nächsten / über welchen er den Zorn oder die Rach ausgiesset / und sich selbsten. Ja er verletzt sich selbsten mit einer dreyfachen Lantzen /er versetzt ihm drey Wunden auf einmahl / er schadet der Seel durch die Sünd / die er begehet / der Ehr durch die Verschämung und bösen Ruff / in den er gerathet / der Gesundheit und dem Leben / das er verliehrt oder abkürtzt. Zelus & iracundia minuunt dies:39 Eyfer und Zorn kürtzen die Täg ab. Es sagen auch die Artzneykundige / es seye dem Menschen höchst-schädlich / wann er im würcklichen Zorn essen oder trincken thue / massen die Speiß im Magen corrumpirt / und gleichsam zu einem Gifft werde. Ventus est ira pestilens hominis interiora depascens, schreibt Senertus: Der Zorn ist ein gifftiger Blost / der das Innerste des Menschen verzehret. Ich will geschweigen / daß der gähe Zorn gemeiniglich eine grosse / aber spate Reu nachziehet / und tausenderley Thaten verübet / deren Schaden unersetzlich ist. Also hat der grosse Alexander im gähen Zorn einen seiner getreuesten Feld-Obristen mit einer Lantzen erstochen / weil er ihme die Wahrheit etwas freyers gesagt hat. Der Kayser Commodus hat einen Bad-Meister aus Zorn in einen feurigen Ofen werffen lassen / nur weil er ihme das Bad nicht eben recht gewärmet hat. Wenceslaus, der König in Böhmen / hat aus Zorn seinen Koch / weil er einen Caponen nicht recht gebraten hat / selbst an Spiß stecken / und lebendig braten lassen etc.

Der Zornige hat das Unglück / daß / wann ihm endlich der Zorn über andere vergangen ist / da fangt er erst an auch über sich selber zu zürnen / und zu bereuen die Fehler / so er begangen hat. Zuvor aber /weilen das Liecht der Vernunfft durch die finstere Wolcken des Zorns verduncklet oder ausgelöscht ware / nicht erkennet hat: Der gesunden Vernunfft ist nichts mehrers zuwider / sagt der weltweise Bias, als die Gähschutzigkeit und der Zorn; dann / weil ein Zorniger nicht bey ihm selber ist / kan er ja nicht vernünfftig handlen. Quemadmodùm per nebulam corpora, ita per iram majora videntur, quæ commissa sunt:40 Gleichwie durch oder in dem Nebel alles grösser scheinet / als es an ihm selbsten / also kommt auch in dem Zorn einem alles grösser und schwerer vor / was ihm Leyds geschehen ist.

Der Zorn und die Rachgierigkeit ist zwar ein hefftiges wütendes Feur / so alles / auch den Zornigen selber verzehret: aber es ist gleich dem höllischen Feur /welches zwar grausam brennet und rauchet / aber im geringsten nicht erleuchtet / sondern vilmehr verfinsteret / ja stockblind machet.41 Per iram sapientia perditur, ut quid vel quo ordine agendum sit, nesciatur,42 sagt der H. Gregorius M. durch den Zorn gehet die Weißheit und die Vernunfft verlohren / also / daß man nicht weiß was zu thun oder zu lassen ist. Obwohlen bey dem Zornigen alles brennt und voller Feur ist / Feur in den Drohungen und Scheltworten /Feur in denen Gebärden / Feur in denen blitzenden Augen / Feur in dem aufwallenden Blut / Feur in dem entzündeten Hertzen (inmassen der Zorn auch definirt[275] wird eine Entzündung des Geblüts gegen dem Hertzen) so ist doch in dem Hirn des Zornigen alleinig alles dunckel / ja ein lautere Finsternuß / Irrthum und Thorheit.

Ein grosse Thorheit hat aus Zorn begangen der Persianische König Cyrus, indem er einen grossen Fluß /weil ihm sein liebstes Leib-Pferdt darinnen ertruncken ist / selbes zu rächen / in 380. Aerm oder Wasser-Bächlein hat zertheilen lassen / also daß auch die Kinder ohne Gefahr über ihn setzen möchten.43 Eben ein dergleichen Thorheit hat aus Zorn begangẽ der so mächtige Xerxes, indem er einem gewissen Wasser /auf welchem er Schaden gelitten / etlich hundert Brügel-Streich hat geben lassen: und wiederum / als er vil Schellen und Fußeisen in das Meer zu werffen befohlen hat / mit denen Worten: das sollest du haben zur Straff von deinem Herrn / den du beleidiget hast: dem hohen Berg aber hat er einen Brieff zugeschrieben /mit Bedrohen / daß / wofern er ihm zu seinem vorhabenden Bau nicht taugliche Stein werde geben / so wolle er ihne lassen abbrechen / und in das Meer werffen.

Ja was sage ich von alten heydnischen Geschichten / wie vil dergleichen Thorheiten begehen nicht täglich die Catholische Christen / indem sie wegen geringsten Ursachen sich also vereyferen und erzürnen / daß sie ihren unbändigen Zorn nicht nur über die Menschen ausgiessen / sondern auch über die unvernünfftige und unschuldige Thier / ja auch so gar über leblose Ding /über Stein und Holtz / wann es ihnen in dem Weg umgehet / oder sich in der Arbeit nicht recht schicken will.

Es ist der Zornmuth ein so fast allgemeines Laster /daß es schier alle Menschen / auch gottseelige / ja heiligmäßige Männer anfechten und anfallen thut.44 Auch der H. Franciscus Salesius ware von Natur zum Zorn geneigt / er hat ihn aber durch die Vernunfft und durch die Gnad GOttes allzeit trefflich zu bemeisteren und zu überwinden gewußt. Als er einstens gefragt wurde: warum er doch einem groben und unverschamten Menschen / der mit vilen Schmach- und Läster-Worten höchst-ungebührlich heraußgebrochen ist / nicht rechtschaffen über das Maul gefahren seye /und bestverdienter massen gestrafft habe? Da gab er zur Antwort: eben darum / weilen er gesehen habe /daß der andere gantz erhitziget und vereyferet seye /auch ihm selbsten die Gall ein wenig aufgestiegen /und etwas unwillig gemacht / habe er still geschwigen / und die Bestraffung auf eine andere bequemere Zeit mit besserem Nutzen vorzunehmen aufgeschoben: welches auch geschehen ist / massen jener Schuldige seinen Fehler erkennet / und reumüthig beweinet hat. Wie hart aber diese und vil andere dergleichen gewaltsame Unterdruckungen des Zorns diesen H. Mann seyen ankommen / das hat sich gezeigt nach seinem Tod: dann als man seinen Leib eröffnet hat / da haben die Herren Medici befunden / daß in dem Gall-Säcklein an statt der natürlichen Gall mehr als 300. Steinlein / einer kleinen Erbis groß / von unterschiedlichen Farben in einem Creyß herum gelegen: welche wunderbarliche Begebenheit sie nichts anders / als dem ihme selbst so vilfältig angethanen grossen Gewalt in Bezwingung und Unterdruckung des aufsteigenden Zornmuths haben zuschreiben können. Es ist diser Heilige in der Gedult / Tugend und Vollkommenheit so weit kommen / daß er einstens bekennet / wann ihm einer aus Haß beede Augen solte ausstechen /und er andere bekommen thäte / so wolte er ihn mit diesen eben so freundlich und liebreich anschauen /als wann er allzeit sein bester Freund gewesen wäre. O verwunderliche Sanfftmuth und Gedult!

Ein geweßter Kriegsman ware von hitziger und zornmüthiger Natur: Er begabe sich aber in ein Closter / und wurde ein frommer Ordens-Bruder. Einstens übete und probirte ihn sein Abbt gar starck in der Demuth und Gedult / er gab ihme offentlich einen gar scharpffen Verweiß / welches ihn heimlich über die massen schmertzte /[276] doch hat er es mit Stillschweigen gedultig übertragen: beynebens aber seiner zornmüthigen Natur einen solchen Gewalt angethan / daß ihm vor Hefftigkeit ein Ader in dem Leib gesprungen ist /und er vil Blut vergossen hat. Darauf begab er sich zu einem Crucifix-Bild / warffe sich auf seine Knye / und sprache wehmüthig zu Christo: Siehe / O HERR! was ich dir zu lieb / und deinetwegen leide: Christus aber gabe von dem Creutz deutlich ihme zur Antwort: Siehe auch du / O Mensch! was und wie vil ich für dich unschuldig gelitten habe.

Auch die heydnische Weltweise haben gar wohl gewußt den Zorn zubändigen und innzuhalten. Als einstens Diogenes vil und nachdrucklich von der Sanfftmuth und Gedult zu dem Volck geredet hatte / da wolte ein muthwilliger Jüngling es probieren / ob Diogenes auch im Werck selbsten übe / was er mit Worten lehrete / und spye ihm offentlich ins Angesicht: Diogenes wurde durch diese grosse Schmach und Unbild gantz nicht verstöhrt / er wischte den Speichel ab / und sagte nichts anders / als: non quidem irascor, dubito tamen, an oporteat irasci: Ich zürne zwar nicht / aber ich zweiffle doch / ob ich nicht zürnen solle.

Plato, Socrates und Architas, als ihr Knecht einen mercklichen Excess und Verbrechen begangen / sagten zu ihm: Es solle dir gut seyn / daß ich erzürnet bin / wann ich nicht erzürnet wäre / so wolte ich mit Streichen gegen dir verfahren.45

Von diesen Heyden haben die Christliche Elteren /Lehrmeister und Vorgesetzte zu lernen / daß sie ihre Kinder / Dienstbotten oder Untergebne niemahl im Zorn oder aus Zorn straffen sollen / sondern mit heiterem ruhigem Gemüth: dann wie Cicero anmercket: cum ira nihil rectè, nihil consideratè fieri potest:46 in dem Zorn kan nichts recht und wohl geschehen: und was mit Verwirrung des Gemüths geschieht / thut niemahl gut. Ja / wie sollest du des anderen Fehler verbesseren können in einem solchen Stand / in welchem du selber der Besserung vonnöthen hast? da dir billich kan gesagt werden: Ejice primùm trabem de oculo tuo etc.47 Ziehe am ersten den Balcken aus deinem Aug / hernach siehe / wie du das Stüpfflein /den Spreißen aus dem Aug deines Bruders bringest.

Ubrigens / obwohlen die aufrührische Gall so vil Zorn / und der Zorn so vil Ubels verursachet / wie bißhero gesagt worden / so ist gleichwohl zu Zeiten ein mäßiger und billicher Zorn erlaubt / ja löblich und nothwendig: wann es nemlichen die Ehr GOttes / und die Gerechtigkeit zu beschützen / oder die Laster abzustraffen einen Eyfer und Ernst erforderet.48 Auf dieses zihlet ab der H. Apostel Jacobus / indem er sagt: Tardus ad iram, man solle langsam seyn im Zürnen / je langsamer je besser. Er sagt nicht / daß man gar nie oder gar nicht zürnen därffe / sondern er will nur haben / daß es wohl bedacht / und mit guter Vernunfft / auch zu einem guten Zihl und End geschehe / auf daß die Wort des Prophetens erfüllet werden: Irascimini & nolite peccare:49 Zürnet und sündiget nicht. Auf solche Weiß haben auch vil Heil. Männer gantz löblich so wohl des Alten als Neuen Testaments gezürnet und geeyferet.

Der Zorn ist ein natürliche Anmuthung / welche an ihr selbsten indifferent, und gut oder böß seyn kan nach Unterschied der Umständen und Beschaffenheit. Der Zorn soll gleich seyn einem wohl abgerichteten Hauß-Hund / der das Hauß zu hüten verordnet ist: wann dieser nie zürnen oder bellen thäte / wann er jederman ohne Unterschied ins Hauß hinein liesse / so wäre er ja nichts nutz: hingegen wann er jederman /auch gute Freund und bekannte Leuth thäte anbellen /oder gar anfallen / da wäre es wiederum nicht zu gedulten: wann er aber weiß unter den Leuthen einen Unterschid zu machen / wann er sich von seinem Herrn regieren und ihm abwehren läßt / alsdann ist er gut und nutzlich. Eben also / wann der Zornmuth und[277] billich-mäßige Eyfer sich gar niemahl verspühren laßt / auch in Gelegenheiten / wo es vonnöthen wäre / und einen rechtschaffnen Ernst brauchte / da ist er als wie ein todter Hund / der nicht bellen kan / unnütz- und vergeblich. Wann er hingegen gar zu geschwind / gar zu offt oder zu starck ausbricht / ohne Noth und Nutzen / oder ohne Bescheidenheit / da ist er gleich einem bösen rasenden Hund / vor deme niemand sicher ist /und welchen man nothwendig muß an die Kette legen / ich will sagen / durch die Vernunfft und Bescheiden heit anbinden / damit er nicht ausreissen / und niemand schaden könne.

Von dem Meer sagt GOTT bey dem Job: Circumdedi illud terminis meis, & posui vectem & ostia, & dixi, usque huc venies, & hîc confringes tumentes fluctus tuos:50 Ich hab es umfangen mit Marcken / und setzte ihm Rigel und Thüren / und sprach: biß hieher solt du kommen / und nicht weiter / hie sollest du verstossen deine stoltze Wellen. Eben also solle auch der Mensch dem ungestümmen Meer des Zorns sein gewisses Zihl und Schrancken setzen /und sagen: biß anhero / so weit es vonnöthen ist / sollest du kommen / und weiter nicht / die Schrancken der Vernunfft und Bescheidenheit sollest du nicht überschreiten: da sollest du die Wellen / das ist / deinen tollen Kopff zerstossen.

Ich schliesse es mit dem / was der H. Greg. M. lib. 21. moral. anmercket / nemlichen / ein anders ist es /wann der Zorn von der Ungedült erwecket wird / und wiederum ein anders / wann er aus einem Eyfer der Gerechtigkeit herkommt / jenes ist schädlich / und Scheltens werth / dieses aber ist löblich und gut.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 273-278.
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