Der 2. Absatz.

Von dem Adler.

[408] Rex Leo Quadrupedum est, Aquila est Regina Volucrum.


Im Wald der starcke Löw regirt /

Im Lufft der Adler Scepter führt.


Der Adler ist gleichsam ein König unter den Vöglen /oder ein Königlicher Vogel / der so wohl in Heil.12 Schrifft als in weltlichen Geschichten[408] berühmt und angesehen ist. Von ihm steht geschrieben: Flieget der Adler so hoch auf dein Befehl / daß er sein Nest in der Höhe macht? in Felßen wohnt er / und bleibt auf den Klüfften an Felßen / und in festen Orten /zu deren niemand kommen kan: Von dannen schaut er nach der Speiß / und seine Augen sehen fern / und wo ein Aas ist / da ist er bald.13 Von dem Propheten Isaia werden die / so auf GOtt vertrauen / den hochfliegenden Adleren verglichen: Assument pennas sicut Aquilæ.14 Auch in der heimlichen Offenbahrung Johannis seynd einem Geheimnus-reichen Weib 2. grosse Adlers-Flügel geben worden /damit sie sich salviren kunte vor dem Drachen. Neben dem / daß der Adler dem Heil. Evangelisten Johanni /als der von den Göttlichen Geheimnussen am höchsten und subtilisten geschrieben hat / zugeeignet wird: More volans Aquilæ verbo petit astra Joannes.


Er fliegt als wie ein Adler hoch /

So weit kommen kein Lehrer noch.


Es haben auch vor uralten Zeiten viel mächtige König und Potentaten bey unterschidlichen Völckeren in ihren Schilden und Wappen / Fahnen und Standarten etc. mit dem Adler als recht Königlichem Vogel gepranget / absonderlich die alte Römer / deßwegen er auch der Römische Adler genennt wird / und annoch heutigen Tags die Ehr hat / in des Römischen Kaysers und des H. Röm. Reichs Wappen zu erscheinen: daß also der Adler bey allen Völcker und Ländern ein berühmter Vogel ist oder seynd.

Einen dopleten oder zweyköpfigen Adler aber führet der Römische Kayser / wie einige wollen / darum in seinem Wappen / weilen seines Ambts ist so wohl die geistliche als weltliche Jura oder Recht zu defendiren: Oder / wie andere wollen / weil ein Römischer Kayser von rechts wegen über Orient und Occident herrschen solle.

Es seynd auch vor alten Zeiten unterschidliche berühmte Männer und Helden / als wie Aiax, Pindarus etc. Städt oder Landschafften von den Adleren benamset worden / oder haben ihren Zunahmen vom Aquila oder Adler bekommen: Zugeschweigen der aberglaubischen Opfer und Wahrsagereyen / zu welchen die Adler der alten Heydenschafft vielfältig gedient haben.

Was die Leibs-Gestalt des Adlers anbetrifft / so gibt es zwar dessen unterschidliche Gattungen / wie bey Aldrovando Ornitologiæ lib. 2. à fol. 61. und in D. Gesneri Vogel-Buch à. fol. 8. weitläuffitig zusehen ist / doch ist er insgemein ein ansehnlich grosser (doch nicht der gröste) und starcker Vogel / 5. Spannen / oder anderthalb Elen lang / und schier eben so hoch: Die Flügel der Adler seynd sehr groß / in welchen die gröste Federen bey 3. Spannen lang seynd: Die Farb des Adlers ist unterschidlich / nemlich schwartz / braun-roth oder graulicht.15 Alle Adler haben einen starcken krumen theils gelb / theils schwartzen Schnabel / dessen unterer Theil hohl / und kürtzer ist als der obere / auch scharpfe / krumme /schwartze Klauen / schier wie die Löwen: einen langen Halß und kurtzen Schweiff: Die Augen der fürnemsten Adler seynd mittelmäßig groß / einer lebhafften Röthe / tieff und hohl (welche Beschaffenheit ihr Gesicht so sehr schärpfet) daß (wie man insgemein von ihnen schreibt) sie die hellgläntzende Sonn mit unverwendeten Augen können anschauen / und auch zu höchst in dem Lufft die kleine Fischlein in dem Meer schwimmen sehen / auf die er alsdann alswie ein Pfeil herab schiesset: Ihre Bein / Füß dick mit Federen biß auf die Zähen hinab (welche gelb und wie geschupet seynd) besetzt.

Die Wohnung der Adler betreffend / so haben sie dieselbe auf den höchsten Berg- und Felßen / auch des Teutschlands / benanntlich in dem Hochgebürg des Schweitzerlands und Pündens / sonderlich aber und häuffig auf dem Berg Tauro und Caucaso: Doch machen sie auch ihre Nester auf den höchst- und grösten Bäumen (selten aber lassen sie sich in die Tieffe oder Fläche herab / ausgenommen[409] wegen des Raubs) und dieses aus Fürsichtigkeit / damit ihre Jungen vor den Jägern / wilden Thier und Schlangen sicher bleiben. Von solcher Höhe aus betrachten sie die umligende Gegend / wo sie etwas rauben mögen / und zur Speiß oder Nahrung mit ihren Klauen erhaschen / es seyen gleich vierfüßige Thier / als Haasen / Lämmer /Fisch oder Vögel etc. Ihre gewohnte Wohnplätz und Nester verlassen oder veränderen sie niemahl / sie trincken nicht / sonder löschen den Durst mit dem Blut des Raubs / können auch zimlich lang ohne Speiß seyn / und werden alt darbey.

Auch der Geruch ist bey dem Adler also starck /daß er / wie die Naturkündige sagen / etwas auf viel Meil weit riechen kan: Sein Stimm oder Geräusch solle anderen Vöglen erschröcklich vorkommen (obwohlen einige / wie bey Aldrovando fol. 19. zu lesen / denen Adleren alle Stimm ablaugnen / und sagen: sie seyen gantz stumm) also daß wann sie selbe hören / darab erstaunen / und sich gantz still halten. Der Flug endlich des Adlers ist so schnell / daurhafft oder langwürig und hoch / daß ihm hierinnen bey weitem kein anderer Vogel gleichet; dann er fliegt so hoch /daß ihne das menschliche Aug nicht mehr erreichen mag.

Albertus M. schreibt: Er habe einen Adler mit einem anderen grossen Vogel im Lufft kämpfen gesehen / welche nach und nach so hoch geflogen / daß selbe niemand mehr habe sehen können / und seyen beyde erst nach 2. Stunden ermüdet wieder herab gefallen.

Der Adler ist von Natur ein sehr listig- und arger /aber auch starck- und hertzhaffter Vogel / also daß ihm nicht leicht ein Raub entrinnt / den er einmahl ersehen hat / da man hingegen ihme nicht leicht zukommen / ihne hintergehen und ermeisteren kan / er aber thut auch groß- und starcke Thier / zum Exempel Hirschen oder Gämbs etc. mit List und Vortheil überwinden / dann er treibt ihn zu äufferst eines Berg oder Felßens / da sitzt er auf ihn / hencket sich mit seinen scharpfen Klauen ein / und schlägt dem Thier so lang mit seinen Flüglen in die Augen / wirfft ihm Staub und Aschen / so er mit den Flüglen gefast / darein /oder pickt und beißt ihne so lang und hart / biß daß er vor Ungemach sich selbsten in die Tieffe stürtzt / und verfällt / alsdann frißt ihm der Adler genug daran.16 Die Adler geben auch immerdar fleißig Achtung auf ihre Klauen (als die beste Waffen und Werckzeug zum Rauben) daß selbe nicht verletzt / abgebrochen oder stumpf werden / und wann sie etwan stumpf oder unbrauchbar worden / da thun sie selbige wiederum mit dem Schnabel schärpfen / oder an den Steinen wetzen etc.

Durch die und dergleichen List und Vortheil deuten uns die Adler an die schlaue und arglistige Menschen / welche frech und vermessen darneben seynd / und ohne Scheu andere angreiffen / überlisten und verblenden / beissen und stechen als wie der Adler den Hirschen so lang und hart / biß daß sie dieselbe in ein solche Tieffe stürtzen / woraus sie nicht mehr kommen mögen / sonder ungehindert von diesen rauberischen Adleren ihr substanz, ihr Haab und Gut verzehrt wird.

Wann Adlers-Federen zu den Federen von anderen Vöglen gelegt werden / so thun sie diese verderben /und werden verzehrt: eben also / wann die Schwache und Einfältige in die Gesellschafft der Starcken und Arglistigen kommen / so werden sie von ihnen gäntzlich verderbt und verzehrt.

Was die Bruth der Adler anbelangt / so wird unterschidlich darvon gesprochen.17 Die meiste behaupten / daß sie insgemein nicht mehr als 3. Eyer legen / 2. Junge ausbruthen / und nur eines auferziehen / theils weilen die Adler von Natur so dürr und hitzig seynd /daß sie die Eyer im Bruthen halb sieden oder kochen: Theils weil sie der Aufferziehung bald überdrüßig werden / und diese ihnen zu beschwärlich ist; dann zur Zeit der Bruth nehmen ihre Federen und Klauen ab /[410] sie werden geschwächt / und zum Rauben untüchtig.

Dieses solle gewiß seyn / daß die Adler ihre Junge beyzeiten zum Fliegen und Rauben gewöhnen oder anführen / und wann sie zu rechter Zeit nicht hinauß wollen und ausfliegen / so treiben sie selbe mit Gewalt hinauß / oder führen sie weit vom Nest hinweg /und leiden sie nicht mehr in der Nähe / auf daß sie den Alten nicht überlästig seyen / und sie von dem Rauben verhinderen.

Es legen auch die Aldler 2. Stein / Oetites genannt / in ihre Nester / weil diese ihre Geburt beförderen /und die Hitz mäßigen sollen: wann aber die Junge kranck und schwach seynd / so thun sie die Alte mit dem Blut der geraubten Thieren nähren / laut der H. Schrifft: Pulli ejus sanguinem lambent.18

Auch die Christliche Elteren sollen bey Auferziehung ihrer Kinder in ein und anderem Stuck denen Adleren nachfolgen: die Mühe und Arbeit zwar / so hierzu erfordert wird / sollen sie sich nicht reuen lassen / doch selbe beyzeiten zum Fliegen / das ist / zum Arbeiten anweisen und anführen / und wann sie anfangen ihre Schwingfederen zu haben / ich will sagen / wann sie ein freye Kunst oder Handthierung gelernet / und ihr Stuck Brod gewinnen können / da sollen sie selbe nicht mehr lassen müßig zu Hauß sitzen / sondern hinauß schaffen / ihre Nahrung selbst zu suchen. Bey Auferziehung der Kinder aber sollen die Elteren auch 2. gewisse köstlich- und kräfftige Stein in dem Nest / in dem vätterlichen Hauß parat oder in Bereitschafft haben: diese 2. Stein seynd Timor & Amor, Forcht und Liebe: diese beförderen gewaltig die gute Auferziehung der Kinder / und mäßigen die grosse Hitz / ich will sagen / den allzu grossen Eyfer oder Strengheit / und die gar zu groß- und närrische Kinder-Lieb.

Obwohlen der Adler von Natur böß und grausam ist / so hat er doch auch eine Lieb gegen den Menschen / und stellt sich danckbar ein gegen seinem Gutthäter / wie aus folgenden Geschichten erhellet.19

Ælianus schreibt / daß einstens bey grosser Sommer-Hitz etlich Männer in einer Scheur das Korn getroschen haben / und weil sie grossen Durst litten /schickten sie einen Knecht mit einem grossen Geschirr / beym nächsten Bronnen frisches Wasser zu hohlen: als aber der Knecht in der Hand ein Sichel /und auf der Achsel einen Wasser-Krug tragend zum Bronnen kam / traff er daselbst einen Adler an / welcher mit einer großmächtigen Schlangen / auf die er zugeflogen war / kämpffete / und der von selber also umwicklet und gefeßlet war / daß er sich unmöglich von ihr können loß machen / und gewiß wäre erwürgt worden / wann nicht dieser Knecht sich seiner erbarmend das Hertz gefaßt / und mit seiner Sichel die Schlang entzwey gehauen / und den Adler erlediget hätte.20 Hierauf begab er sich mit seinem Wasser in die Scheur zuruck / und überbrachte den Trescheren den Trunck. Diese trancken mit grosser Begierd / und löschten ihren Durst mit Freuden. Als aber der Knecht / so das Wasser gehohlet / zuletzt auch trincken wolte / sihe / da kam der Adler eilends daher geflogen / und stossete mit Gewalt auf das Trinck-Geschirr / also /daß es ihme aus der Hand gefallen / zerbrochen / und das Wasser alles verschüttet wurde. Der Knecht erzürnte sich hierüber / dann er ware durstig / und sprach mit Unwillen zu dem Adler: du boßhafft- und treuloser Vogel! ist das der Danck / daß ich dich allererst von dem Todt errettet habe? Als er aber kaum dieses geredet hatte / da sahe er mit Verwunderung /wie daß die andere Männer alle / die von dem Wasser getruncken / gantz erbleicht und erzitterend / unmächtig dahin fallen / und auf der Stell alle dahin sterben. Aus welchem er hat abnemmen und urtheilen können /daß wahrhafftig das Wasser von jener Schlang müsse vergifftet gewesen seyn / und der Adler / dieses vermerckend / ihme wohlmeinend / ihne[411] habe warnen /und von dem gifftigen Trunck bewahren wollen.

Lerne hierauß / Christlicher Leser / daß du dich nicht erzürnen / sondern vilmehr bedancken sollest /wann man dich wohlmeinend von einem vergiffteten Trunck / ich will sagen / von einer unzuläßlich- oder sündhafften Freud oder Lustbarkeit abhaltet und verhinderet / in Bedencken / daß ein solcher gifftiger und höchst-schädlicher Trunck deinen Leib zwar kürtzlich ergötzen / die Seel aber ewiglich tödten wurde.

Einem Knaben ward ein junger Adler geschencket /mit dem er eine grosse Freud hatte / ihn sehr liebte /und mit unterschiedlicher Nahrung fleißig speisete /und als der Vogel erkranckete / thate er ihm gar embsig pflegen und abwarten / als wann er sein Bruder wäre. Hingegen liebte auch der Adler den Knaben sehr / und sie wuchsen miteinander auf. Als aber auch der junge Mensch erkranckte / da stunde ihm der Adler unabläßlich bey / und wann der Krancke nicht essen kunte / da wolte auch der Vogel nicht essen. Als er aber gestorben / und sein Leib zum Grab getragen /und nach dem Gebrauch derselbigen Zeiten zu Aschen verbrennt wurde / da ist ihm der Adler nicht nur nachgefolgt / und hat die Leich begleitet / sondern sich auch selbsten auf den Scheitterhauffen in die Flammen begeben / und samt dem Todten-Cörper verbrennt.21

Ein gleiches hat sich mit einem anderen Adler und einer Jungfrauen begeben / die ihn auch ernährt und auferzogen hat / dieser aber hingegen Vögel und andere Thier / so er gefangen / ihr zugebracht: als man ihren verblichenen Cörper eingeäscheret / sich selbsten gleichfalls samt ihr verbrennt hat. Diese Exempel lehren uns / daß wir unsere Gutthäter nicht nur bey Lebens-Zeiten mit leeren Worten und Complimenten /mit Dancksagung- und Contestirungen / sondern auch / ja absonderlich nach ihrem Ableiben biß in das Feur / das ist / in das Fegfeur mit unserem Gebett und Andachten begleiten sollen / allwo sie unserer Hülff am meisten bedürfftig seynd / und uns wehmüthig zuruffen: Miseremini mei etc.22 Erbarmet euch meiner etc.

Was GOTT zum öffteren durch die Adler seinen treuen Dieneren zu Gefallen für Wunder gewürcket habe / das ist hin und wieder in den Leben der Heiligen zu lesen. Laurentius Surius schreibt von einem gewissen H. Benedicto, daß sein von den Mörderen entseelter / und in einen Fluß versenckter Leib / nachdem er lang vergebens gesucht worden / von einem Adler seye entdeckt oder angezeigt worden / indem der Adler ein gantzes Jahr lang bey dem Fluß ist sitzen bliben / gleichsam als wann er etwas hüten thäte.

Von dem H. Stanislao, Bischoffen zu Cracau (der von dem Pohlnischen König Boleslao in der Kirchen ist erschlagen worden) wird gelesen / daß nach geschehener Mordthat 4. Adler einer ungemeinen Grösse sich haben eingefunden / und den Heil. Leichnam / biß er ist begraben worden / vor den Hunden und Rauben-Vögeln bewahret.

Dem H. Bischoff Cuthberto und seinem Reiß-Gespanen / als sie nichts zu essen hatten / hat ein Adler einen grossen Fisch aus dem Fluß zugetragen.23

In sittlichem Verstand aber kan absonderlich Christus der HErr füglich mit einem Adler verglichen werden.24 Von ihm kan gesagt und verstanden werden /was geschrieben stehet: Sicut Aquila provocans pullos suos ad volandum etc. expandit alas suas, & portavit eum etc.25 Wie ein Adler aufweckt seine Junge zum Fliegen / und über seine Junge schwebet / er streckt seine Flügel aus / er nahm ihn und trug ihn auf seinen Achslen. Dann der Adler pflegt seine Jungen beyzeiten zum Ausfliegen aufzumunteren und anzumahnen / ihnen vorzufliegen / den Weeg und die Weiß zu zeigen / wie und wohin sie fliegen /und ihre Nahrung suchen sollen: wann sie aber ihm nicht folgen wollen / sondern müßig im Nest sitzen bleiben / da lasset er sie ein Zeitlang Hunger leiden /und wann auch dieses nicht helffen will / da schlaget[412] er sie mit den Flüglen / und verkrätzt sie mit den Klauen / er treibt sie mit Gewalt zum Hinaußfliegen an. Fast eben also macht es Christus der HErr mit seinen Glaubigen und Auserwählten: er treibt und frischet sie an zum Fliegen / das ist / zum Arbeiten und Gutes zu würcken / er zeigt ihnen / wo und wie sie die Speiß ihrer Seelen / das ist / die Gnad GOttes und himmlische Gaaben suchen und finden mögen: Er geht ihnen mit dem guten Exempel vor (wie ein Adler seine Junge zur Nachfolg anreitzend) mit der Lehr und That / mit Worten und Wercken: er strecket die Flügel seiner Göttlichen Protection, seines Schutzes über sie aus: expandit alas suas: ja er traget sie auf seinen Schulteren / wann sie schwach seynd / portavit eum, als wie der gute Hirt das verlohrne Schaaf. Wann sie ihm aber nicht folgen und Gutes thun wollen / da lasset er sie Hunger leiden / das ist / er entzieht ihnen die geistliche Nahrung des himmlischen Trosts und absonderlichen Gnaden: ja er schlaget und sticht sie auch gleichsam durch Trübsal und Widerwärtigkeiten / auf daß sie zur Gebühr angehalten /und auf den rechten Weeg des Heyls gebracht werden.

Ferners / gleichwie der einzige Adler unter allen Vöglen / ja unter allen Thieren ein so scharpffes Gesicht hat / daß er mit unverwendeten und unverletzten Augen die Sonn anschauen kan / und hoch in dem Lufft die kleine Fischlein in dem Meer schwimmen sihet / also hat Christus über alle Menschen den allerschärpffisten oder den hocherleuchtisten Verstand /also daß er die Göttliche Gnaden-Sonn in ihrem vollen Glantz betrachten kan / und auch von dem hohen Himmel aus die kleinste Fischlein in dem tieffen Welt-Meer herum schwimmen sihet / das ist / die mindiste und innerste Gedancken des menschlichen Hertzens erkennet: Scrutans corda & renes DEus:26 Er durch forschet die Hertzen und Nieren. Oder die kleine Fischlein / das ist / die demüthige Menschen. Humilia respicit in cœlo & in terra. Seine Augen seynd so scharpff / seine Weißheit so allwissend / daß er das Zukünfftig- und Vergangne als wie das Gegenwärtige betrachtet: Omnia nuda sunt & aperta oculis ejus:27 Nichts ist seinen Augen verborgen. Intuetur abyssos: Er durchdringet den Abgrund etc.

Aber der Adler will haben / daß auch seine Jungen die Sonn mit unverwendeten Augen lernen anschauen / zu diesem End führet er sie in die Höhe / und haltet sie gerad gegen der Sonnen: wann sie aber dieses nicht thun wollen oder können / so erkennt er sie nicht für seine rechtmäßige Jungen / er verwirfft sie / er laßt sie in die Tieffe fallen. Auch der himmlische Adler Christus will haben / daß seine Kinder und Nachfolger ihre Augen und Hertzen auf und nach der Sonnen der Göttlichen Gerechtigkeit richten / ùt filii lucis ambulate, ruffet er ihnen durch den Apostel zu / wandlet als Kinder des Liechts / und wann sie sich von dieser Sonnen ab / und zu den eitlen Geschöpffen / zu denen verbottenen Wollüsten wenden / da erkennet er sie nicht für seine rechtmäßige Nachfolger / er wirfft sie aus dem Nest / von der Schoos seiner Lieb oder seiner Gnad / und lasset sie in die Tieffe fallen.

Der Adler ist einer hitzigen und trucknen Natur /aber starck / und fliegt so hoch / daß ihn das menschliche Aug nicht mehr erreichen kan: Ebenfalls unser Göttliche Adler Christus / als er auf dieser Welt wandlete / war hitzig und brennend vor Liebe / und trocken wegen Strengheit des Lebens und freywilliger Armuth: aber starck ja unüberwindlich / und in seiner Himmelfahrt ist er so hoch geflogen / daß ihn die Apostel nicht mehr sehen kunten: Nubes suscepit eum ab oculis eorum:28 Eine Wolck nahme ihn auf von ihren Augen / nemlich biß zur Rechten GOtt des Vatters / über alle Himmel und Engel.

Der irrdische Adler ist des Raubs sehr begierig / er setzt ihm mit grossem Eyfer und schnell nach / und wann er ihn erhaschet / lasset er ihn nicht mehr[413] aus seinen Klauen / sondern zerreißt und frißt ihn / er theilt ihn mit seinen Jungen / die er auch mit dem Blut der Thieren speiset / wann sie kranck seynd und nicht essen können. Ihm aber ist nichts über das Hertz der Thieren / das ist sein liebst- und bestes Bißlein. Auch der himmlische Adler der Sohn GOttes / ist in sittlichem Verstand des Raubs begierig: ja aus Begierd des Raubs ist er aus dem hohen Himmel in die Wildnuß dieser Welt herab gestiegen: er jaget und raubet gleichsam gantz begierig / aber zu einem gantz anderen Zihl und End / als der irrdische Adler; dann dieser raubet die Thier zu tödten / zu zerreissen und aufzufressen mit ihrem Fleisch und Blut / sich und seine Jungen zu ersättigen: Christus hingegen jaget den Menschen nach nicht selbe zu verderben und aufzureiben / sondern vilmehr zu salviren / in die wahre Freyheit und Sicherheit zu übersetzen. Venit quærere & salvum facete quod perierat:29 Er ist kommen seelig zu machen was da verlohren war. Absonderlich liebet er das Hertz seines Raubs / das will er vor allem haben: darum ruffet er einem jeden Menschen insonderheit zu: Præbe fili cor tuum mihi: Gib mir mein Sohn / meine Tochter / dein Hertz. Hingegen gibt er uns nicht frembdes / wie der Adler seinen Jungen / sondern sein eignes Blut darfür zum Besten /das er bereits an dem H. Creutz für uns vergossen hat.

Endlichen führet der natürliche Adler immerdar Krieg und Feindschafft wider die Schlangen und Dracken / mit diesen kämpfft er biß in den Todt (dann sie fressen ihm seine Eyer und Jungen) bald wird er überwunden / bald überwindet er / sie streiten um einen Raub. Auch Christus der himmlische Adler streitet mit der höllischen Schlangen und Dracken um den Raub / das ist / um die Seelen der Menschen / ein jeder will sie haben. Der Drack oder die höllische Schlang hat den Raub / die menschliche Seel bekommen / und ihr eigen gemacht / vermittelst der Erbsünd / gleich Anfangs der Welt in dem irrdischen Paradeys. Ja sie hat auch einiger massen und im gesunden Verstand wider den himmlischen Adler obgesiget / wie gar recht der geistreich- und gelehrte P. Procopius anmercket / nemlichen zur Zeit des Leidens Christi / da der Streit zwischen dem Sohn GOttes und dem höllischen Feind zum hefftigsten war: da hat der Teufel Christum (dem sterblichen Leib nach mit seiner selbsteignen Verwilligung) überwunden / und auf das äusserste / nemlich in die bitterste Peyn und Marter /in den grösten Hohn und Spott / in den schmählichen Todt gebracht: Hæc est hora vestra & potestas tenebrarum,30 hat Christus selbsten an dem Oelberg zu den Juden gesagt: Diß ist euer Stund und der Gewalt der Finsternussen / das ist / der Höllen. Aber als es die rechte Zeit ware / hat Christus der himmlische Adler der höllischen Schlangen mit dem Stab des H. Creutzes den Kopff also zerschmetteret und zerknirscht / daß sie alle Krafft oder Stärcke verlohren hat / und forthin keinen einzigen Raub mehr / das ist /keine Seel mehr bekommen kan / wann nicht der Mensch sich selbsten freywillig gefangen gibt.

Die Schlangen förchten die Adler sehr / absonderlich wann sie einmahl von ihnen seynd überwunden oder beschädiget worden / so bald sie nur das Geräusch von ihrem Flug hören / so fliehen sie schon und verkriechen sich. Noch vilmehr förchtet die höllische Schlang Christum den himmlischen Adler / von welchem sie hauptsächlich und gäntzlich ist überwunden und geschlagen worden: wann sie nur seinen Namen von Hertzen höret anruffen / oder sein Creutz sihet / da wird sie schon entkräfftet / und muß eilends darvon fliehen.

Aber die edliste und fürtrefflichste Tugenden oder natürliche Eigenschafften des Adlers seynd seine Großmüthigkeit / seine Leibs- und Gemüths-Stärcke /sein ungemein scharpffes Gesicht / und höchster Flug / wie auch sein Mäßig- und Freygebigkeit. Dieses seynd recht königliche Qualitäten[414] oder Tugend- und Eigenschafften: wegen diesen wird er insgemein für einen königlichen Vogel gehalten: und wegen diesen können auch füglich die König und Fürsten mit einem Adler verglichen / oder politische Adler genennet werden.31 Großmüthig / starck und hertzhafft ist der Adler / also daß er keinen anderen Vogel förchtet / die Gefahren nicht achtet / kühnlich angreifft / und des Siegs begierig ist: um klein- und schlechte Ding nimmt er sich nicht an / sondern will nur mit rechtschaffnen Sachen zu thun haben: deßwegen achtet er es auch nicht vil / und erzürnet sich nicht leicht /wann schon die Krähe ihn bißweilen vexiren / oder zwicken und rupffen / er verachtet sie / und würdiget sich nicht mit ihnen zu streiten / sondern schwinget sich hoch mit seinem Flug über sie aus / doch wann sie es zu lang treiben / oder ihm zu grob machen / da wischt er wohl auch über sie her / und zerreißt sie. Aus solcher Großmüthigkeit thut er sich auch nicht würdigen von einem Raub oder Aas zu essen / welches schon faul oder stinckend ist (er leidet lieber Hunger) er ißt auch von keinem Thier / welches von einem anderen Vogel ist gefangen oder getödtet worden / sondern nur / was er selbsten erjaget und erlegt hat / das geniesset er / und lasset ihms schmecken. Eben also halten es ihnen die König und Potentaten für eine Großmuth und Hertzhafftigkeit / wann sie sich in einem solchen Stand befinden / daß sie niemand förchten / wohl aber von anderen geforchten werden / niemand um etwas bitten oder betten dörffen / wohl aber jederman zu befehlen haben / und gebetten werden: wann sie die Gefahren verachten / sich an die Spitz ihrer Kriegsheer stellen / den Feind hertzhafft angreiffen / heldenmüthig streiten und grosse Sieg erwerben: wann sie sich mit geringen Leuthen oder Privat-Persohnen nicht gemein machen / mit kleinen Sachen sich nicht beschäfftigen / sondern nur groß- und wichtige Geschäfft ausführen. Aus Generosität achten sie es nicht / wann schon der gemeine und unverständige Pövel übel von ihnen redet oder urtheilet. Wann schon ein Unterthan oder Bedienter aus Unbedachtsamkeit oder Unverstand einen Fehler wider den schuldigen Respect oder Unehrenbietigkeit begehet / nemmen sie es nicht so übel auf / daß sie ihn gleich den gantzen Last ihres Zorns empfinden lassen / welches mehr tyrannisch als königlich ist. Dann die jenige König und Fürsten seynd in der Wahrheit sehr großmüthig zu halten / welche nicht nur durch Gewalt Land und Leuth zu bezwingen / sondern auch durch die Vernunfft ihre eigne Passiones oder Anmuthungen zu bemeisteren wissen: die nicht nur mit den Waffen Städt und Vestungen / sondern auch durch Sanfftmuth und Milde die Hertzen und Gemüther der Menschen einzunemmen vermögen. Doch aber / wann man ihrem Respect und Authorität gar zu nah tritt /und ihre Ehr und Stärcke verletzet / da sollen sie auch wohl ihren Gewalt brauchen / und mit Ernst das Ubel abstraffen: dann einem Regenten stehet es zu / die Clemenz oder Milde mit dem Ernst und der Schärpffe also zu temperiren / daß jene von den Vermessenen nicht mißbraucht / und ihnen zum Muthwillen oder Ungehorsam der Weeg gebahnt und die Thür eröffnet werde.


Ein großmüthiger Regent oder Potentat soll auch die unziemliche Freuden und fleischliche Wollüsten verachten / als wie der Adler das faule Aas / und frembdes Gut / so andere mit ihrer Mühe und Arbeit erworben haben / unberührt lassen / und nicht zu geniessen oder zu verzehren begehren. Ferners / gleichwie der Adler alle andere Vögel in der Schärpffe des Gesichts gar weit übertrifft / und hoch über andere ausfliegt / also solle ein König oder Regent ein vil schärpfferes Gesicht haben / das ist / einen vil grösseren Verstand / und vil weiter aussehen / oder fürsichtiger seyn als die gemeine Leuth: er solle hoch über diese ausfliegen oder sich erheben / nicht durch Hochmuth und übermässigen[415] Pracht / sondern vilmehr durch Fürstliche Tugenden und herrliche Thaten etc.

Es wird endlich an dem Adler auch ein gewisse Freygebigkeit vermercket; dann wann er satt ist / so lasset er den übrigen Raub / den er nicht verzehren oder fortbringen kan / gleichwohl den anderen Raub-Vögeln / die ihn gemeiniglich deßwegen begleiten /zukommen / und sich darmit ersättigen.

Die Tugend der Freygebigkeit ist absonderlich denen König und Fürsten anständig: sie sollen die grosse Renten und Einkünfften ihrer Land- und Reichen nicht alleinig verzehren / nicht gar zu starck geflissen seyn / von dem Haab und Gut der Unterthanen grosse Schätz und Reichthumen zu hinterlegen / sondern zum Besten des gemeinen Weesens anwenden /und auch die arme Unterthanen etwas geniessen lassen. Nichts macht die Hochheit / das Ansehen und die Sicherheit der König und Fürsten besser bestehen /als wann sie sich gegen ihren Bedienten und Unterthanen gnädig und freygebig erzeigen / da hingegen die allzu grosse Strenge und Gesparsamkeit sie bey jedermänniglich verachtet und verhaßt machet. Die gute Affection, die Treu und Neigung der Unterthanen ist der Fürsten gröste und kostbarste Schatz / der über alles hoch zu schätzen ist / dieser thut den Thron der Königen bevestigen / und sie ihren Feinden erschröcklich machen.

Aber / obwohlen schon vil Schön- und Löbliches von dem Adler gesagt worden / so ist und bleibt er halt gleichwohl nichts anders als ein Raub-Vogel: Rauben / Würgen und Stehlen ist sein gröste Kunst /ja es ist sein Natur (wessentwegen er auch von den mehristen Thieren verhaßt ist) er ist niemands Freund / biß daß er satt ist: und obwohl er anderen Vögeln mittheilt / so ist es doch nichts anders als ein lauteres gestohlnes Gut / nemlich das Fleisch von anderen Thieren und Vögeln / die er gefangen und getödtet hat. In diesem Stuck sollen die König und Fürsten ihm nicht nachfolgen / sie mögen wohl reichlich ihren Beambten und Bedienten / als wie der Adler den kleineren Vögeln / mittheilen / aber von ihrem eignen /nicht von frembdem Gut: dann wie der Heil. Ambrosius sagt: Illa liberalitas non probatur, ubi ab altero extorquetur, ut alteri largiatur: Jene Freygebigkeit ist nicht zu loben / wann man dem einen nimmt / daß man es dem anderen geben könne.

Albertus M. schreibt / daß man einstens in einem einzigen Adler-Nest 300. Enten-Köpff / 100. Gäns-Köpff / 40. Haasen-Köpff / und ein gar grosse Menge Fisch-Köpff gefunden habe. Das heißt gestohlen! Aber wann man in manchem politischen Adler-Nest /ich will sagen / in mancher grosser Herren Schatz-Kammer visitiren dörffte / da wurde man zwar keine Haasen-Gäns- oder Fisch-Köpff finden / wohl aber vil guldene und silberne Eyer / die von anderen Vögeln seynd gelegt / von dem Adler ihnen weggenommen /und in sein Nest getragen worden / das ist / vil Beutel Thaler und Ducaten / welche den Unterthanen mit Gewalt und Unrecht seynd abgepreßt worden. Der rauberische Adler speiset mit den gestohlnen Eyeren seine Jungen / und die ungerechte Reiche speisen und kleiden kostbar mit dem ungerechten Gut ihre Frauen und Kinder etc.

Aber so starck und listig der Adler immer ist / so wird er gleichwohl zu Zeiten von einem schlechten Thierlein überwunden oder übervortheilt.32 Das hat sich gewiesen / als er einstens junge Füchslein gestohlen / und mit seinen Klauen selbe durch den Lufft in sein Adler-Nest geführet hat / da nun der alte Fuchs solches vermercket hat / lieff er ihm nach biß zu einem hoch- und grossen Baum / worauf der Adler sein Nest hatte / er veführte ein wehmüthiges Leidweesen und jämmerliches Geschrey: er bate inständig / er solle ihm doch seine junge Füchslein wiederum loß geben / der Adler aber wolte nicht / vorgebend /seine Jungen haben auf den Winter einen Beltz vonnöthen.33 Weil dann der Fuchs mit[416] Bitten und Betten nichts ausrichten kunte / hat er sich zu seiner gewöhnlichen Arglistigkeit gewendt / er hat rings um den Baum herum vil Stroh / Reiß und Spähn zusammen getragen: hernach ist er in das nechste Bauren Hauß geloffen / hat einen Stroh-Wisch angezindt / Willens die besagte Materi samt dem Baum und Adler-Nest in Brand zustecken. Als der Adler diß gesehen / und die Gefahr vermercket / hat er dem Fuchsen die beste Wort geben / und durch alle Götter gebetten / er solle nur von disem Mord-Brand abstehen / er wolle ihm gerne seine junge Füchslein wider geben / auch zugleich / allen Reichen und Mächtigen zur Wahrnung dienen / daß sie die Schwächere und Mindere niemahlen unbillicher Weiß beleydigen sollen / weil sie nicht wissen / wo sich gehlingen eine Gelegenheit ereignet /daß sich die Beleydigte an ihnen rächen mögen.

Noch besser ist der hochmüthige Adler ausgezahlt worden / als er ein Häßlein verfolgte / welches sich in ein Höhle retirirt hatte / vor welcher Höhle ein Mist-oder Roß-Käfer Wacht gestanden / und den Adler für das Häßlein demüthig gebetten hat / er möcht ihm verschonen und das Leben schencken. Aber der Adler verachtete diese Fürbitt / er schmisse den Roß-Käfer zu Boden und zerrisse das Häßlein. Dieses hat den Käfer so übel verdrossen / daß er ihm vest hat vorgenommen / sich nach Möglichkeit an dem Adler zu rächen. Er trachtete also / wie er möchte dem Adler in sein Nest hinauf kommen / und als es ihm gelungen /da hat er ihm seine Eyer zum Nest heraus geworffen und verbrochen / welches ihn freylich sehr schmertzte. Er baute deßwegen sein Nest noch höher / und legte neue Eyer / der Käfer aber hat ihm es wiederum gemacht als wie zuvor. Der Adler wuste vor Wehmuth nicht mehr was er thun solte. Endlichen legte er seine Eyer dem obristen Gott Jupiter selbsten in sein Schooß / und batte ihn selbe zu bewahren: er sagte ihm es zu: und aber sihe der arglistige und rachgierige Koth- oder Roß-Käfer practicirte sich heimlich über den Gott Jupiter hinauf / und ließ ihm ein Kügelein Koth in die Schooß fallen. Jupiter kunte diese Unfläterey nicht leiden (welches der Koth-Käfer wohl vorsahe) er stunde also eilends auf / wolte das Koth von seiner Schooß ausschütten / mithin aber hat er aus Vergessenheit auch die Adlers Eyer zugleich ausgeschütt / und also seynd diese abermahl zu Grund gangen. Der Käfer lachte ihm die Haut voll / daß er sich so meisterlich gerochen hatte / und als ihn der Adler zerreissen wolte / flohe er in ein enges Loch / streckte nur den Kopf heraus / und sagte zum Adler nichts anders / als Hostis contemptus nocet. Ein Feind / so verachtet wird / schadet: hättest du mich nicht so verachtet / und meine Bitt erhöret / so wären dir deine Eyer gantz geblieben.

Ja also ist es: Hostis contemptus nocet. Keine Feind und keine Gefahren seynd grösser / als die man verachtet / als wann sie nichts zu schaden vermöchten: dann auf solche Weiß thut man sie nicht flühen /noch sich vor ihnen hütten: mithin gibt man ihnen Gelegenheit / daß sie sich unvermerckt desto sicherer einschleichen und biß auf das Innerste eindringen /und erkennt man erst alsdann den Fehler wann das Ubel überhand genommen hat / und die Wunden unheilsam ist.

Besser hat es dem Adler gelungen (er hat es auch kluger angestellt) als ihm an dem Ufer des Meers eine Schildkrott begegnete / da er eben einen grossen Appetit hatte Schildkroten-Fleisch zu essen / er kunte es aber nicht bekommen wegen der harten Schaalen /in welcher die Schildkrott / als wie in einem Harnisch stecket / diese redet ihn an zu ihrem Unglück und sprach: O wie glückseelig bist du / und von den Götteren mit so starcken Flüglen begabt / mit welchen du so hoch fliegen kanst / da ich armselige Schildkrot hingegen mein Lebtag nur in dem Wasser und Koth umkrichen muß! ich möchte so gern auch etwas[417] was sehen.34 Dises war dem Adler eben recht / er sagte ja / ich will dir gern disen Gefallen thun. Er nimmt sie also in feine Klauen / führt sie hoch in dem Lufft auf /und lasset sie ein Weil mit Lust und Verwunderung umschauen. Als sie aber grad einen harten Stein-Felsen unter ihnen hatten / da laßt der Adler die Schildkrott mit Fleiß auf den Stein herab fallen / also daß ihr harte Schalen zerschmetteret / und in Stucke zersprungen ist: im würcklichen Herabfallen hat die Schildkrott geruffen: O wäre ich in der Niedere bliben! O wie theuer muß ich meinen Fürwitz bezahlen! jetzt erkenn ichs wohl / aber zu spat / daß ich vielmehr zum kriechen als zum fliegen erschaffen bin! der Adler aber ist eilends auf sie herab geschossen / und hat sie sauber aufgefressen.

Vast eben also ergehet es einem manchen bey Hof /der mit seinem geringeren Amt / zu dem er fähig und bestellet / nicht zu frieden ist / sondern immerdar höher trachtet / und oben daran seyn will. Er ligt seinem hohen Principal / seinem König / oder Fürsten immerdar in den Ohren / er haltet mit Bitten und Schmeichlen an / als wie die Schildkrott bey dem Adler / daß er ihn doch erhöhen und zu einem fürnemmeren Dienst promoviren wolle. Es geschicht endlichen / er geniesset ein Weil die Freud: aber gehlingen laßt ihn der Adler auf einen harten Stein herab fallen /das ist / er fallt in die Ungnad seines Königs oder Fürstens und bricht den Hals: da greifft dieser politische Adler alsobald auf die Schildkrott / auf den Minister oder Beamten zu / und verzehrt seine Substanz, das ist / sein Haab und Gut wird dem Fisco, der Königlichen Rent-Kammer zugesprochen / unter dem Vorwand / daß er sein Amt nicht getreulich verwaltet / oder seine Rechnungen nicht richtig gestellt habe etc. Ja ein gewisser Heydnischer Kayser eines unersättlichen Geitzes / hat mit allem Fleiß gantz Untaugliche und Lasterhaffte zu den fürnehmsten Aemtern erhoben / (wohlwissend / daß sie selbe übel verwalten werden) nur damit er Ursach finde / sie um Haab und Gut zu straffen / und sich damit zu bereichen. Also wahr ist / was der Poet gesungen hat:


– – tolluntur in altum.

ut lapsu graviore ruant etc.


Die grosses Glück hoch hat erhoben /

Wirfft das Unglück bald zu Boden.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 408-418.
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