Der 7. Absatz.

Von dem Raaben.

[433] Der Raab ist / wie bekandt / ein zimlich grosser Kohl-schwartzer Fleisch-fräßiger unreiner Vogel / der von dem Aas der Menschen und Thier und auch von gifftigen Sachen isset: Er fanget und verzehret auch zu Zeiten lebendige Vögelein / als Lerchen / Spatzen / und wird billich den Raub-Vöglen beygezehlt.79 Er ist ein listig- und boßhaffter Vogel / hat einen gar starcken Schnabel / und insgemein schändliches Geschrey. Das Weiblein sitzt 20. oder 30. Täg lang beständig auf den Eyeren / und das Männlein tragt ihm das Essen zu. Die Junge verlasset der Raab / biß daß sie schwartze Federen bekommen / unterdessen aber stracken sie die Schnäbel auf / und werden von dem Himmels-Thau ernehret und gespeiset. Er nistet gern in dem hohen Gebürg / oder auf den höchsten Thürnen und Bäumen /[433] und wann er zu viel Junge hat / da wirfft er eine / aus Verdruß sie zu erziehen / zum Nest hinaus. Der Raab ist ein diebischer Vogel / er stihlt gar gern was glantzet / als guldene und silberne Müntzen / die tragt er in sein Nest / und hat ein Freud darab / wann er solche nur sihet / obwohl er selbe nit brauchen kan: als wie die reiche Geitzhälß ihnen Schätz von Gold und Silber sammlen / und ihnen doch dieselbe nicht zu brauchen getrauen.

In einigen mitternächtigen Länderen werden wol auch zu Zeiten weisse Raaben gesehen. Aristoteles thut auch die Krähen und Thulen zu dem Geschlecht der Raaben ziehen. Die Raaben werden sehr alt biß 30. oder 40. Jahr. Der Raab ist dem Ochsen und Esel feind / er verfolget und plaget sie; dann er sitzet ihnen auf den Rucken / beisset und krätzet sie mit dem Schnabel und Klauen: des Fuchsen aber ist er ein guter Freund / villeicht weilen er öffters von seinem Raub etwas geniesset. Der Haas förchtet den Raaben so sehr / daß er sich vor seiner Stimm verbirgt und verschliefft.

Wann man die Raaben / da sie noch jung seynd /fängt / da werden sie zahm / und lassen sich leicht auf unterschidliche Weis / auch zum Vogelfang abrichten. Der Raab hat eine breite und dicke Zung / und wann man sie ihm lößt / da nimmt er der anderen Vöglen /Thier und Menschen Stimm an sich / und lernet deutliche Wort aussprechen / wie Aristoteles bezeuget /also daß er die Stimm auf vil unterschiedliche Weiß veränderen kan.80

Als der Kayser Augustus ein grosse Feld-Schlacht gewonnen / und siegreich widerum zu Rom eingezogen ist / da kame ihm unter anderen Glückwünschenden einer entgegen / der einen Raaben gelehrt und abgericht hat / daß er dem Kayser gantz deutlich zu geruffen und gesprochen hat: Ave Cæsar Victor Imperator, sey gegrüßt O Kayser / du Obsieger!81 Dises hat dem Kayser so wol gefallen / daß er den Raaben an sich gekauft hat / und seinem Lehrmeister ein grosses Stuck Geld darfür bezahlen lassen. Eben also wol ist es auch noch einem und anderem gerathen / der auch einen Vogel also abgericht hat / und den Kayser grüssen gelehrt. Als dises ein armer Schuhmacher gesehen und erfahren hat / da gedencket er ihm / wann er nur auch das Glück hätte / und ein so schönes Stuck Geld von dem Kayser bekommen kunte. Er bemühete sich also mit möglichistem Fleiß auch einen Raaben ab zurichten / und ihn die obgemeldte Wort zu lehren. Aber der Vogel wolte es gar lang nicht fassen: Deßwegen ist der Schuster offt verdrüßig worden / und hat mit Unwillen gesaget: Oleum & operam perdidi: Es ist alle Mühe und Arbeit umsonst. Endlichen hat gleichwol der Raab den Spruch erlernt / und als der Kayser einstens auf offentlicher Gassen vorbey gezogen / da hat sich der Schuster mit seinem Vogel auf den Weeg gestellt / und ihm ein Zeichen geben / welcher dann auch seinen Spruch ordentlich gemacht /und deutlich gesprochen hat: Ave Cæsar victor Imperator! Sey gegrüßt O Kayser / du Obsieger! Aber weilen es eben nichts Neues mehr ware / so hat der Kayser kein grosses Wohlgefallen darob gezeigt /sonderen gesprochen: Er hab dergleichen theure Gruß schon genug gehöret: So bald er dises geredt hat / da seynd dem Raaben zu allem Glück auch die andere Wort / die er zum öffteren von seinem Lehrmeister gehört hat / eingefallen / und hat gantz deutlich gesagt: Oleum & operam perdidi, es ist alle Mühe und Arbeit umsonst / welches dann treflich à propos ware / und sich überaus wohl geschicket / auch dem Kayser so wol gefallen hat / daß er dem armen Schuster mehr als den anderen für den Vogel den Raaben hat bezahlen lassen. Plinius schreibet: Es seye zu Rom ein Raab erzogen und also gewöhnet worden / daß er alle Morgen aus dem Hauß auf den offentlichen Marckt-Platz geflogen / und sich auf die Cantzel / worauf die Römische Oratores oder Redner zu dem Volck gesprochen haben / gesetzt. Da habe er erstlich den Kayser Tiberium, den er auch mit Namen genennt habe / gegrüsset /[434] wann er sich in den Rath erhoben: Nach disem habe er auch Germanicum einen fürnehmen Kriegs-Obristen / alsdann Drusum des Kaysers Bruder / und endlich das gantze anwesende Römische Volck gegrüßt / und seye widerum nacher Hauß geflogen.

Es haben auch die Raaben ein gar gute Gedächtnus / und seynd sehr listig oder vortheilhafftig. Sie nehmen ihren Platz oder Wohnung an keinem Ort wo sie nicht sehen / daß für sich und ihre Junge genugsame Nahrung zu finden seye: Auf einen fruchtbaren Acker fliegen sie hauffenweis / auf einen unfruchtbarem Acker nur par und par / wie Ælianus lib. 12. anmercket. Wann sie aber ein Aas oder Todten-Cörper antreffen / der mit der Pest oder einer vergifften Sucht ist angesteckt gewesen / da werden sie ihn wol nicht anrühren / noch weniger etwas darvon essen / wann sie schon hungerig seynd / sie wollen den Gelust nicht so theur büssen / und mit dem Leben bezahlen: Da hingegen wir thorrechte Menschen so manches mal eines kurtzen sündigen Gelusts uns nicht enthalten /wann wir schon wissen daß selbiger uns höchst-schädlich seyn werde.

Ferners hat Plutarchus und Ælianus beobachtet /daß / wann die Raaben Durst haben / und ein Wasser-Geschirr antreffen / welches nicht voll genug ist / und sie das Wasser nicht erreichen können / da tragen sie mit dem Schnabel oder mit den Klauen Steinlein zu /und werffen so vil derselben in das Geschirr hinein /biß daß sich das Wasser aufgeschwellet oder erhebt /also daß sie es mit dem Schnabel erreichen können. Es kan auch dises einer sonderbaren Fürsichtigkeit zugeschrieben werden / daß die Raaben zu Zeiten einige Junge aus dem Nest werffen oder vertreiben (wann sie schon anfangen fliegen können) weil sie nemlich wohl vorsehen / daß sie nicht alle wurden erhalten oder ernähren können / mithin für besser erachten / daß sie selbige bey Zeiten fort treiben / und sie selber um das Essen zu schauen anstrengen.

Daß aber die junge Raaben / wann sie noch keine schwartze Federn haben / sondern vilmehr noch weiß seynd / von den Alten ein Zeit lang verlassen und nicht geätzt werden / das rühret daher / weilen die Alte / in dem ihnen die Junge nicht gleich sehen / vermeinen es sey nicht ihr eigne und rechtmäßige Zucht /und also tragen sie auch kein Lieb oder Neigung zu ihnen. Endzwischen aber schreyen die Junge und strecken die Schnäbel gegen Himmel auf / da dann das Himmels-Tau ihnen darein fallt / von welchem sie auch erhalten und ernähret werden wie einige wollen /oder es kommen ihnen auch Mucken und Würmlein zu / wie andere meynen: Und dises ist ein absonderliche Verordnung der göttlichen Vorsichtigkeit / von welcher der König David redet / wann er sagt: Qui dat jumentis escam ipsorum & pullis corvorum invocantibus eum.82 Der dem Vieh Speiß gibt / und den jungen Raaben / die ihn anruffen. In sittlichem Verstand aber gibt uns das zu verstehen / wie daß die menschliche Seel so lang sie weis / das ist /von Sünden rein und unschuldig ist / und den Mund im Gebett zu GOTT eröffnet / so lang haben die höllische Raaben ein Abscheuen ab ihr / sie nehmen sich nichts um sie an / sondern sie wird von GOTT mit dem himmlischen Gnaden-Thau ernähret und ergötzet / laut göttlicher Verheissung bey dem Psalmisten: Dilata os tuum & implebo illud.83 Thue deinen Mund weit auf / und ich will ihn füllen. Das ist / begehre nur reichlich / so will ich dir häufig geben. Aber wann die menschliche Seel schwartze Federen bekommt / das ist / wann sie von Sünd und Lasteren verschwärtzet und vergstaltet wird / da kommen alsobald die höllische Raaben / und speisen sie mit faulen Aas der weltlichen Freuden und fleischlichen Wollüsten / sie haben ein Wohlgefallen ob ihr / und erkennen sie gleichsam für ihr eigenthumliche Zucht / weilen sie ihnen gleich sihet. Hingegen wird ein solche[435] verschwärtzte oder sündige Seel des himmlisches Thaus /das ist / der göttlichen Gaaben und Gnaden beraubt /sie fliegt als wie die Raaben auf den Raub / sie geht dem Luder nach etc.

Der Raab ist wegen seiner diebischen Art ein verschreyter Vogel / das Stehlen ist ihm angebohren / er muß gestohlen haben / wann er es schon nicht brauchen kan.84 Zu Erfurt hat es sich begeben / daß ein zahmer Hauß-Raab / in dem er auf dem Tisch zum öffteren hat Geld ligen sehen / nach und nach so vil darvon gestohlen hat / und zwar an lauter Groschen /daß es 5. oder 6. fl. ausgemacht: Dises Geld aber hat er in dem nechst-gelegenen Garten alles ordentlich unter einem Stein vergraben / nicht anderst als wolt er ihm einen verborgnen Schatz sammlen.

In einem Kloster hat man auch einen Raaben auferzogen und gantz zahm gemacht / doch kundte er das Stehlen nicht lassen / er nahme hinweg / was er heimlich verwischen kunt. Einstens hat er dem Abbt desselben Closters einen Finger-Ring gestohlen und heimlich vertragen: Diser fragte und suchte dem Ring fleißig nach / er ermahnte alle seine Untergebne und Haußgenossen ernstlich / wer immer den Ring entfrembdet habe / solle doch in sich selber gehen / und ihn wieder heim stellen. Weil sich aber niemand wolte schuldig geben / noch schuldig wissen / da hat der Abbt die Schärffe gebraucht / und würcklich die Excommunication wider den heimlichen Dieb ausgesprochen / er möge seyn / wer er immer wolle: Und siehe Wunder! Die Excommunication oder der geistliche Bann hat auch in das unvernünfftige Thier ein solche Krafft und Würckung gehabt / daß der Vogel von Stund an gantz kranck und krafftlos ist worden /als wolte er gleich verrecken / er wolte nichts mehr essen / und wuste doch niemand / wo es ihm fehlte. Endlich aber wurde im Auskehren der Ring wieder gefunden / und da sahe man erst / daß ihn der Raab vertragen habe: Der Abbt hube die Excommunication wieder auf / und der Vogel wurde auch alsobald widerum frisch und gesund. Aus welchem die Irrglaubige lernen und erkennen sollen / daß die geistliche Censuren ja nicht zu verachten / sondern vilmehr billich zu förchten seyen. Was für ein grosses Unheil jener Raab angestifft habe / welcher der Heil. Iddæ einer Gräfin von Toggenburg ihren Braut-Ring gestohlen /und in sein Nest getragen hat / selbiger aber von einem Jäger gefunden worden etc. das ist in unserem Teutschland ein wohlbekannte Histori.

Wann aber der Raab ein Thier angreifft / es seye groß oder klein / so bemühet er sich vor allem / daß er ihm die Augen ausbicken oder auskratzen thue: dann hernach thut er es leichtlich gar ermeisteren. Eben also macht es in sittlichem Verstand der höllische Raab / der böse Feind / wann er den Menschen durch die Versuchung angreifft / und in schwere Sünden stürtzen will / da bemühet er sich vorderist / daß er ihm die Augen ausreiße / und um das Gesicht bringe /das ist / den Verstand verblende oder verwirre / oder daß er ihm das Licht des wahren und lebhafften Glaubens auslösche: Dann wann er dises zuwegen gebracht hat / da führet er ihn leicht in der Blindheit herum von einem Irrthum in den anderen / ja er stürtzet ihn von einem Abgrund der Gottlosigkeit in den anderen. Deßwegen wohl meynend der geistreiche Poet alle mit folgenden Verslein ermahnet.


Omnia si perdas, fidem servare memento,

Hâc semel amissâ postea nullus eris.


Wann alles auch zu Grund solt gehen /

So b'halt gleichwol den Glauben:

Dann ohne dem kein Christ kan b'stehen

Drum sucht ihn d'Höll zu rauben.


Ubrigens ist der Raab in Geist- und weltlichen Geschichten in so weit berühmt / daß sich aus sonderbarer[436] Schickung GOttes vil merckwürdige Begebenheiten mit ihme ereignet haben.85 Schon zur Zeit des allgemeinen Sünd-Fluß hat der Noë zu erst einen Raaben von der Archen ausfliegen lassen / und auszukundschafften gesandt / ob das Gewässer etwas nachgelassen habe oder nicht? ob oder wann ein Hoffnung seye / daß die Menschen und Thier wiederum von der Arch möchten ausgehen etc. Aber dieser unrichtige Bott ist nicht mehr zurück kommen / sondern er ist ausgeblieben / und hat seiner Gelegenheit gepfleget: er ist auf die häuffigherumschwimmende Todten-Cörper oder Aas gesessen / und hat ihm die Haut voll gefressen.86 Besser und fleißiger hat er sich eingestellt /als er aus Göttlichem Befehl dem Propheten Eliæ in der langwürigen und grossen Hungers-Noth gedient /und alle Morgen und Abend ein Brod und Fleisch gebracht hat.87 Auch dem ersten Eremiten dem H. Paulo hat 60. Jahr lang ein Raab täglich ein halbes Brod in dem Schnabel zugetragen / als ihne aber einstens der H. Antonius auch ein Einsiedler in der Wüsten hat heimgesucht / da brachte er ihme ein gantzes Laiblein. Meinem H. Vatter Benedicto hat auch ein Raab einen guten Dienst geleistet: dann ein Mißgönner in der Nachbarschafft schickte Benedicto unter dem Schein der Freundschafft ein Brod / welches aber vergifft ware / ihm darmit zuvergeben. Der H. Vatter nahme es zwar mit Danck an / er erkannte aber bald aus Göttlicher Eingebung den verborgnen Schalck und die Gefahr: er befahle derowegen einem Raaben /er solle das vergifftete Brod in seinem Schnabel weit hinweg / und an ein solches ödes Orth tragen / wo es kein Mensch finden / und ihm selbst darmit schaden möge / welches der Raab auch gehorsamlich vollzogen / mit dem Brod in die Wildnuß geflogen / und erst nach 3. Stunden wiederum zuruck gekommen ist. Jene 2. Mörder aber / welche den Heil. Meinradum in der Wüsten ermordet haben / seynd von denen Raaben /die der H. bey Lebs-Zeiten zuspeisen pflegte / beständig mit Fliegen und Schreyen verfolgt worden.

Nichtweniger merckwürdig ist in weltlichen Geschichten / was Plutarchus und Valerius Max. von Cicerone dem Römischen Wohl-Redner schreiben.88 Dieser gewaltige Mann hatte einen gar starcken Feind / nemlich den Marcum Antonium, einen mächtigen Römischen Feld-Herren / der ihm nach dem Leben strebte / und ihn aufzureiben suchte. Nun begabe sich einstens Cicero ausser Rom auf sein Lust-Hauß / oder Land-Gut hinaus / um frischen Lufft zuschöpffen /sich von Geschäfften ein wenig zuergötzen. Da hat ihn aber sein Widersacher der Marcus Antonius verkundschafftet / und ist auf ihn loß gangen. Cicero, weilen es heisse Sommers-Zeit ware / hatte sich auf ein Ruhe-Bettlein niedergelegt / und das Angesicht mit einem Kleid oder Mantel zugedeckt / willens ein Schläfflein zu thun / welches auch geschehen ist. Aber unter wehrendem solchem Schlaff kamen etliche Raben in sein Zimmer hineingeflogen / diese machten ein grosses Geschrey und Gerausch: Cicero kehrte sich nichts daran / und liesse sich nichts hindern: da floge ein Rab gar zu ihm / zupffte und rupffte ihn: ja er zoge ihm mit dem Schnabel den Mantel von dem Gesicht hinweg / er wolte ihn gleichsam zwingen aufzustehen / und in die Ohren schreyen / als seye nicht Zeit zuschlaffen / sondern eilends zufliehen / wann dir dein Leben lieb ist. Aber alles umsonst. Cicero ließ ihm nichts Böses traumen / er zog den Mantel wiederum über das Gesicht / und schlieffe fort. Es war ein Uhrwerck (oder etwas dergleichen nach dem Gebrauch derselbigen Zeiten) in dem Zimmer / ein Raab machte sich auch darüber / bewegte sie / und machte ein groß Geräusch / daß doch Cicero einmahl von dem Schlaff aufstehen und sich salviren solte / aber auch dieses umsonst. Seine Bediente hingegen vermerckten / daß es nicht richtig seye / es gienge ihnen nichts Gutes vor / sie besorgten ein groß Unglück. Sie rissen also mit Gewalt ihren[437] Herrn aus dem Bett /setzten ihn eilend in den Wagen / und wolten flüchtig mit ihm dem Meer zueilen. Aber es ware zuspath /seine Feind / die Soldaten des Marci Antonii setzten ihm zu Pferd eilend nach / sie erhaschten und ermordeten ihn in seinem Wagen. Hätte nun Cicero der getreuen Wahrnung der Raaben gefolgt / so wäre er nicht so elendiglich um das Leben kommen. O wie offt schicket uns GOTT solche getreue Wahrnung-und Ermahnungen / nicht kohlschwartze Raaben als wie dem Ciceroni, sondern vilmehr schneeweisse Tauben / das ist / die himmlische Geister / die Heil. Schutz-Engel / oder andere gute Freund / die uns gleichsam in die Ohren schreyen und an die Seiten stossen sprechend: Surge velociter, stehe eilends auf /und verlasse das Bett deiner Trägheit / mache dich aus der Gefahr / meide die böse Gelegenheit / widerstehe der Versuchung / und rette dein Seel / der Feind ist vor der Thür / und geht dir auf das Leben. Aber o Blindheit und Verstockung des menschlischen Hertzens! wir seynd in dem Sünden-Schlaf offt also vertiefft / daß wir solchen Zusprüch und Vermahnungen kein Gehör geben / und also unversehens von dem Feind unserer Seelen überfallen / und des Lebens der Gnad beraubt werden.

Besser hat ihm den erwiesenen Dienst und Beystand eines Raaben zu Nutzen gemacht / Valerius ein Römischer Zunfft-Meister / so hernach deßwegen mit dem Zunahmen Corvinus à Corvo vom Raaben ist genannt worden.89 Dann als ein mächtiges Kriegs-Heer der Frantzosen wider die Römer in Italien angezogen ware / und diese wegen der Macht und Menge des feindlichen Kriegs-Heers in Sorgen stunden / da præsentirt sich der Feld-Obrist oder Heer-Führer der Frantzosen / ein sehr groß- und ansehnlicher / auch hertzhafft- und streitbarer Mann / dieser tratte den Römern muthig unter die Augen mit von Gold glantzenden Waffen / er schwunge sein Schwerdt oder Lantzen gegen ihnen / er proglete sich seiner Künheit und Stärcke / und botte ihnen den Trutz / sie alle herausforderend (vast eben als wie einstens der hochmüthige Goliath) ob einer das Hetz habe sich mit ihm Handgemein zumachen / und in einen Duell oder Zwey-Kampf einzulassen. Das Römische Kriegs-Heer stutzte darüber / und stunde in Sorgen: Valerius aber der Zunfft-Meister anerbotte sich / mit diesem hochmüthigen Praller eines zuwagen / in Hoffnung ihne zuüberwinden / und die Ehr der Römer zuretten. Als er nun die Bewilligung seiner Feld-Herren hierzu erhalten / zog er seinem Feind hertzhafft entgegen; jedermann ware begierig und besorgt / wie der Streit ablauffen werde. Sie giengen hitzig aufeinander loß /und griffen an: da sihe Wunder! es kam eilends ein Raab daher geflogen / diser setzte sich dem Römischen Kämpfer auf den Kopf / auf den Helm oder Peckel-Hauben / da halff er ihm aus allen Kräfften wider den Frantzosen streiten / er schluge ihn mit den Flüglen in das Angesicht / er bisse ihn mit dem Schnabel /er kretzte ihn mit den Klauen auf die Händ / mit einem Wort / dieser Vogel setzte so starck in den Feind / daß er sich seiner nicht genugsam erwehren kunte / mithin hat Valerius der edle Römer theils durch eignen Heldenmuth / theils durch Hülff und Beystand des Raaben den gewaltig- und stoltzen Feld-Herrn der Frantzosen im Angesicht beyder Kriegs-Heeren glücklich überwunden / und auf die Haut gelegt. Es ist ihm auch zu einem ewigen Angedencken dieser seltsamen Begebenheit der Zunahmen Corvinus gegeben / und zu Rom ein Statua mit einem Raaben auf dem Haupt zu Ehren aufgerichtet worden. GOtt aber hat dieses geschehen lassen den Hoch- und Ubermuth des Frantzösischen Feld-Herrens / der alle Römer verachtet hat / durch diesen Vogel zu demüthigen und zuschanden zumachen.90

Es ist zwar der gemeine Wohn / daß die Raaben nicht vil Gutes / sondern gemeiniglich ein Unglück vorbedeuten:[438] was aber hierauf zuhalten seye / hab ich schon oben gemeldt / nemlich für ordinari wenig oder gar nichts.91 Sie bedeuten für sich selber weder Guts noch Böses / inmassen sie gar keine Connexion oder nothwendige Verbindnuß mit den zukünfftigen Glücks- oder Unglücks-Fällen haben / sondern nur zu Zeiten werden sie von GOtt diesen oder jenen Zufall anzudeuten verordnet. Weißlich derowegen hat geredt und gethan jener Feld-Obriste Papirius mit Nahmen /welcher als er ein gute Occasion oder vortheilhafftige Gelegenheit ersahe mit seinem Feind zuschlagen; da liessen sich Raaben in dem Lufft ob seinem Kriegs-Heer sehen / und machten ein greuliches Geschrey. Man wolte ihn bereden: das bedeute nichts Gutes / es sey ein schlimmes Zeichen / er solle sich für dißmahl in kein Treffen einlassen: aber / ja wohl sagte er: Raaben hin / Raaben her / mein Glück dependirt nicht von den Raaben sondern von GOtt allein der Himmel und Erden regiert. Er hat darauf seinen Soldaten tapfer zugesprochen / ritterlich gestritten / und einen herrlichen Sieg erhalten. Eben also solle auch sagen und gedencken ein Christlicher Kämpfer / wann er mit Trübsal und Versuchung zustreiten hat / und die höllische Raaben ihne schrecken und verstöhren wollen: er soll sich nicht lassen verhinderen oder verwürren /sondern sprechen: Dominus adjutor & liberator meus, non timebo, der HErr ist mein Beschützer und mein Erretter / ich will mir nicht förchten. Qui habitat in adjutorio altissimi etc. Der unter dem Schutz und Schirm des Allerhöchsten wohnet / und sich seiner Göttlichen Providenz gäntzlich überlasset / der dependirt von keiner Fortun, und hat keinen Glücks- oder unglücks-Fall zu achten / sondern mit dem David soll er sagen: In manibus tuis sortes meæ.92 Zu dir O GOtt steht all mein Hoffnung / all mein Glück stehet in deinen Händen.

Man liesse den Raaben schon für einen nahmhafften und ansehnlichen Vogel gelten / wann er nur stillschweigen thäte / und sein schandliches Raaben Geschrey sein / cras cras nicht hören liesse.93 Aber er will eben auch singen können als wie andere Vögel: sein Stimm gefalt ihm wohl / er vermeint / sie seye schön. Einem jeden Lappen gefällt seine Kappen /also geht es auch dem Raaben. Als er einstens ein gutes Stuck Käß gestohlen hatte / und selbes in dem Schnabel haltend mit Freuden seinem Nest zufloge /da setzt er sich unter Weegs auf einem Baum ein wenig nieder. Ein hungeriger Fuchs / der es gesehen /hätte überaus gern dem Raaben den Käß abgeschwätzt. Was macht er dann? er fangt ihn an zuloben und zurühmen im höchsten Grad / wie daß er ein so schöner / starcker / klug- und heroischer Vogel seye: das gefiele dem schwartzen Dieb überaus wohl. Aber eines / sagt weiters der Fuchs / eines geht dir ab / es ist wohl schad für dich / daß du kein Stimm hast / und nicht auch singen kanst. Was sagt der hoffärthige Raab / ich soll kein Stimm haben / ich soll nicht singen können? und den Fuchsen also auf der Stell zu überweisen / fangt er überlaut sein gewohnliches Liedlein anzustimmen / und sein schönes cras cras herab zuschreyen. Kaum aber hat er den Schnabel rechtaufgethan / da ist ihm der Käß auf die Erden herabgefallen / auf welches der Fuchs eben mit Verlangen gewartet hat / denselben hat er aufgefangen und ist eilends darmit seiner Höhlen zugeloffen. Da fieng der Raab mit spater Reu an zu klagen und sagen; jetzt erfahre ich es / daß die eitle Ehr / das Schmeichlen und Loben zwar wohl thue in den Ohren / aber übel in dem Bauch: wär ich nicht so ruhmsüchtig gewesen /so hätte ich jetzt Käß zuessen. Ja also ist es / wann man aus Ehr-Geitz ihm selbsten zueignet was man nicht hat (als wie der Raab die schöne Stimm) da verlihrt man auch dasjenige was man hat: und der falsche Schmeichler oder Lobssprecher sucht nichts mehr und nichts anders als seinen eigenen Nutzen / und zwar öffters auch mit bem Schaden des Gelobten.[439]

Fußnoten

1 Die Vögel seynd edle Geschöpff.


2 Der Vögeln seynd vil und unterschidliche.


3 Die Menschen mit den Vöglen verglichen.


4 Job. c. 14. v. 2.


5 Isaiæ c. 26. v. 6.


6 c. 59. v. 8.


7 Ps. 17. v. 46. 16. v. 5.


8 Die Gerechte und Gottseelige insonderheit seynd den Vöglen gleich.


9 Cant. c. 7. v. 8.


10 Nutzbarkeit der Vöglen.


11 Matth. c. 6. v. 27.

Jerem. c. 8. v. 7.


12 Der Adler ist ein fürnemm- und berühmter Vogel.


13 Job. c. 39. v. 30.


14 Apoc. c. 12. v. 14.


15 Gestalt uns Beschaffenheit des Adlers.


16 Sonderbare Eigenschafften des Adlers auf die Menschen appliciert.

Sein Arglistigkeit.


17 Auferziehung der jungen Adler.


18 Job. c. 39. v. 30.


19 Danckbarkeit des Adlers.


20 Geschichten.


21 Athenæus ex Philarcho.


22 Job. c. 19. v. 21.


23 Vener. Beda in vita.


24 Christus ist ein sittlicher Adler.


25 Deut. c. 32. v. 11.


26 Psal. 7. v. 10.


27 Hebr. c. 4. v. 13.


28 Act. c. 1. v. 9.


29 Matth. c. 18. v. 11.


30 Luc. c. 22. v. 53.


31 König und Regenten seynd politische Adler.


32 Sittliche Fabel-Gedicht.


33 Ein Feind der verachtet wird / ist schädlich.


34 Wer zu hoch steigt / fallt tief.

Gedicht.


35 Von der Natur und Beschaffenheit des Habich.


36 Psal. 102. v. 5.


37 Ungerechte Wucherern und Geitzhälß mit den Habichen verglichen.

S. Greg. M. hom. 30. in Evangelia.


38 Politische Habich wer sie seyen.


39 Der Teufel gleichet einem Habich.


40 Geschicht.


41 Wie die Sperber beschaffen seyen.


42 Fromme und häußliche Ehweiber mit dem Sperber verglichen.


43 1. Reg. c. 25.


44 Eccli. c. 8. v. 14.


45 c. 7. v. 29.


46 Art und Eigenschafft des Geyers.


47 Sinnlich- und fleischliche Menschen seynd gleich den Geyeren.


48 Kinderzucht wird recomendirt.


49 Fürsichtigkeit des Geyers ist zu imitiren.


50 Eccl. 4. v. 9. & 10.


51 Matth. c. 24. v. 20.


52 Gen. c. 46. v. 48.


53 Ad Thesial. c. 5. v. 22.


54 Ein guter Politicus solle langsam und bedacht in die Sach gehen.


55 Der Geyer ist ein Sinnbild der Neidigen.


56 Hom. 11. de Invid.


57 Des Falcken Gestalt / Art und Eigenschafft.


58 Falcken in sittlich- und politischem Verstand wer sie seyen / und wie sie sich verhalten.


59 Gen. c. 1. v. 19.


60 1. Cor. c. 15.


61 Luc. 19. v. 9.


62 Isai. c. 33. v. 1.


63 Lieb und Einigkeit ist von den Falcken zu erkennen.


64 Apud Aldrov. lib. 12. fol. 357.


65 Gehorsam der Falcken.


66 Prov. c. 30. v. 8.


67 Gestalt und Beschaffenheit der Nacht-Eul.


68 Der Teufel wird mit einer Nacht-Eul verglichen.


69 Ob die Nacht-Eul Guts oder Böses vorbedeute.


70 Geschichten.

Aldrov. lib. 8. f. 272.


71 Lib. 18. Antiq. c. 13.


72 Act. c. 12. v. 21. etc.

Lib. 9. Antiq. c. 7.


73 Geschicht.


74 Was Guts von der Nacht-Eul zuerlernen.


75 Wucherer und Geitzhälß seynd gleich einer Nacht-Eul.


76 Joan. c. 3. v. 20.


77 Die Nacht-Eul ist ein Sinn-Bild der Weißheit.


78 Gedicht.


79 Natur und Eigenschafft des Raaben.


80 Lib. de part. animal.


81 Geschicklichkeit und Witz der Raaben.

Geschichten.


82 Psal. 146. v. 9.


83 Die unschuldige Seelen seynd gleich denen noch gantz jungen Raaben.

Ps. 8. v. 11.


84 Das Stehlen ist dem Raaben angebohren.

Geschichten.


85 Seltzame Begebenheiten haben sich mit den Raaben zugetragen.


86 Gen. c. 8. v. 6. 7.


87 3. Reg. c. 17.


88 Die Wahrnung vor der Gefahr soll man annehmen.


89 Hochmuth wird zuschanden gemacht.

Historia.


90 Gellius apud Aldrov. lib. 12. c. 1.


91 Was die Raaben bedeuten.


92 Psal. 30. v. 6.


93 Sittliches Fabel-Gedicht.

Eitles Lob und Wohlgefallen ist schädlich.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738.
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