Der 4. Absatz.

Von dem Kranich.

[497] Der Kranich / Grus auf Lateinisch / ist ein grosser ansehnlicher Vogel / er hat sehr hohe Füß / einen langen Hals und Schnabel / aber einen kurtzen Schweiff: Von der Farb ist er mehrentheils weiß-grau / oder Aschen-farb / doch an der Seiten / oder an den Schwing-Federen / wie auch am Hals / und Kopf etwas schwartz mit einem rothen Fleck an dem Kopf gezeichnet.25 Die Kranich halten sich gern auf in moßechtig- oder sümpffigen Orten bey den Wässeren / sie gehen auch ins Wasser: Von den Tartaren werden die Kranich hoch geschätzt / sie zehlen deren 5erley Gattungen / und fürnehme Herren stecken ihre Schwing-Federen in Silber oder Gold gefaßt auf ihre Hüt / oder Hauben. Wann man ein Kranich vom Anfang des Schnabels biß zu End der Füssen abmessen will / da wird er wohl eines Manns lang seyn: er kan auch / wann er noch nicht gefiedert ist / stärcker lauffen als ein Mensch.

Die Kranich bleiben insgemein nicht lang an einem Ort / sondern fliegen zu[497] unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Ländern herum: doch lieben sie warme Orth / und begeben sich im Winter gemeiniglich von uns hinweg: Ich sage gemeiniglich / weilen Albertus schreibt / in seinem Vatterland (so bey Cöllen ware / wann mich nicht irre) die Kranich auch im Winter bleiben / ob wohl es sehr kalt. Die Kranich seynd jederzeit billich unter die gescheidiste Thier gerechnet worden. Grues multa prudenter faciunt, sagt Aristoteles lib. 9. de avibus c. 10. Die Kranich handlen in vilen Sachen gar klug / und gleichsam vernünfftig. Absonderlich ist an ihnen zu verwunderen die schöne Ordnung und Behutsamkeit / die sie gebrauchen / wann sie Schaaren-weiß von einem Land in das andere fliegen.26 Dann erstlich kommen sie bey rechter Zeit zusammen / und gehen gleichsam zu Rath wegen ihres Abzugs / wann / und wohin der Weeg zu nehmen sey / wo sie ins Künfftig ihren Aufenthalt haben / und ihr Nahrung finden mögen / es heißt da bey ihnen / nun ist es Zeit zu wandern / von einem Ort zum andern / und wann sie dessen einig worden / da bestellen sie ihnen einen Führer / und Commendanten / dem sie forthin fleißig folgen / und seiner Anweisung nachkommen: Diser dann flieget voran / dem sie alle in grosser Anzahl / nicht confus, oder untereinander / sondern in beständiger guten Ordnung nachfolgen / und zwar in der Form eines Triangels / theils damit sie ihren Führer alle füglich sehen können / und theils daß sie den Lufft desto kommlicher durchschneiden / oder zertheilen / und durchstreichen mögen. Sie fliegen schnell und hoch / damit sie in die Weite aussehen / wohin sie abzielen sollen / oder in was für einer Landschafft sie sich befinden / auch damit sie das Ungewitter zeitlich vorsehen. Ja damit sie der Wind nicht leicht wider ihr Vorhaben hin und wieder treiben möge / und daß sie einen steten Flug haben / beschwehren sie sich selber / und nehmen ein Stein in den Schnabel / oder in den Fuß: wie andere sagen / sie schlucken vil Sand in sich / und gebens hernach wiederum von ihnen. Sie haben auch ihre Retro-Garde, welche Achtung giebet / daß keine dahinden bleiben / sondern alle zugleich miteinander fort kommen: ja wann eine ermüden / oder zu schwach werden / und erliegen müssen / da werden sie von anderen unterstützt / es wird ihnen fort geholffen. Die Alte / nicht die Junge fliegen voran (sondern dise werden in die Mitte genommen / und es darff keiner aus seinem Glied / oder aus seiner Ordnung weichen) weilen sie wohl erkennen / daß die Junge / als noch starck / und bey Kräfften gar zu eyffrig wurden fort eylen / und auf die Alten nicht warten / dise aber nicht nachkommen wurden / gleichwie es zu geschehen pflegt / wann junge / und alte Leuth mit einander über Feld gehen.

Dises alles zeigt ein trefflich gutes Regiment / und ein gute Policey-Ordnung an.27 Aber noch mehr was folget: Dann wann der Führer / oder Regent der Kranichen erachtet / daß es Zeit seye zu rasten / und zu fütteren / da siehet er einen bequemen Platz aus / er giebet ein Zeichen / und da lassen sich alle zugleich auf die Erden nieder.

Wann sie ruhen und schlaffen / da stecken sie den Kopf unter einen Flügel / und stehen auf einem Fuß.28 Einige aber seynd für ein Schildwacht bestellt / (welche auf einem Fuß stehen / und in dem anderen einen Stein halten / damit wann sie etwan von dem Schlaff überfallen wurden / von dem abfallenden Stein alsobald erwachten) welche / sag ich / mit aufgerecktem Halß und Kopff überall umsehen / was in der Revier passire / ob kein Feind / oder Gefahr vorhanden von grossen Raub-Vöglen und Thier / oder Menschen: und so bald sie etwas solches verspühren /da gibt der Anführer den andern mit lauter Stimm ein Zeichen / sie sollen sich hüten / und vorsehen / und da ist alsobald alles in Bereitschafft: sie schreyen alle zusammen / munteren sich auf / und stellen sich eintweders mit ihren langen spitzigen Schnäbel in die Gegenwehr / als mit eben so vil Spieß / und Piquen den Feind zu empfangen /[498] oder aber sie salviren sich mit der Flucht / doch in guter Ordnung wie zuvor.

Nichts schöners und nichts nützlichers ist in einer Republic, oder gemeinen Wesen / als wann ein gutes Regiment / und ein gute Policey-Ordnung gehalten wird / wann die Obere wohl zu gebiethen / und die Untergebene zu gehorsamen wissen / wann alles zu rechter Zeit / und in seiner gewissen Maß geschiehet. Sine ordine nihil recte agitur, ordo est radix omnium actionum, ubi non est ordo, ibi confusio. Ist ein merckwürdiger Spruch: ohne gute Ordnung kan nichts wohl / oder recht geschehen: ein gute Ordnung ist die Richtschnur alles Thun und Lassens; wo kein Ordnung / da ist ein lauter Verwürrung.

Zu solchem End aber ist forderist der Fleiß / und Wachtbarkeit des Regenten / oder Vorstehers vonnöthen / diese sollen von dem Kranich ein Exempel nehmen / und ihre Untergebene nicht nur commandiren / oder anweisen / sondern auch selbsten mit ihrem Beyspiel vorgehen / und nach Proportion, nach Gestalt der Sachen selbst im Werck erweisen / was sie andern zuhalten gebiethen.

Unter den Kranichen wird ein grosse Lieb / und Ehrerbiethung der Gemeinen gegen ihren Führer / und Obristen verspühret / und hingegen eben so grosse Sorgfalt / Fleiß / und Wachtsamkeit des Führers gegen seine Truppen: eben also soll es auch bey den Menschen in dem sittlichen und politischen Wesen /in Civil- und Militar-Sachen hergehen / daß nemlich die Untergebene ihre Vorgesetzte lieben / und ehren /diese aber jene versorgen / und beschützen.

Ein solcher getreuer / fleißig- und wachtbarer Kranich ist gewesen der preißwürdige Kriegs-Fürst Epaminondus; dann als einstens die Inwohner der Stadt Thebas ein Jubel-Fest celebrirten / sich lustig machten / und räuschig trancken / auch darüber eingeschlaffen waren / da war Epaminondus alleinig gantz nüchter / und wachtsam / er gienge überall herum bey den Stadt-Porten / und auf den Wällen / er hielte gleichsam Schild-Wacht / und visitirte / ob alles versorget seye / ob kein Gefahr vorhanden / und dem Feind kein Zugang offen stehe.29 Als er aber befragt wurde / warum er nicht auch mithalte / und mit andern Leuthen sich lustig mache: da gab er zur Antwort: wisset ihr nicht / daß mein Ambt / und Schuldigkeit zu wachen seye / und für das gemeine Beste Sorg zutragen erfordere / wann ich sihe / daß andere schlaffen / und unachtsam seynd? daß ich nüchter bleibe / wann andere truncken seynd etc. Ein solcher sorgfältig- und wachtbarer Kranich ist auch gewesen der tapffere Lacedæmonische Kriegs-Fürst Seleucias, der mit Wahrheit gegen seinen Kriegs-Leuthen bey Mangel und Abgang des Proviants sich hat vernehmen lassen / er wolte lieber selbst 2 / oder 3 Täg fasten / als nur einen Tag lang seine Soldaten sehen Hunger leiden. O wohl schöne / aber rare Exempel der Kriegs-Obristen!

Auch der grosse Alexander war ein wachtsamer König; dann wann ihn der Schlaff starck hat angefochten / da hat er sich zwar ein wenig niedergelassen / aber zugleich ein silberne Kugel in die Hand genommen / und selbe über ein kupfer / oder ährines Becken gehalten / damit er durch den Fall / und Thon der Kugel / wann selbe ihm aus der Hand in das Becken entfiel / alsobald wieder erwachen solte.

Wann die Kranich auf ihrem March im würcklichen Flug begriffen seynd / da seynd sie gantz friedlich und einig / keiner greifft dem andern ein: keiner begehrt dem andern vorzubringen / oder den andern im Fliegen zuübersteigen / oder zuübervorthlen / sondern ein jeder ist mit seinem Platz zufrieden / und wann sie das nicht thäten / so wurden sie im Fliegen mit den andern nicht fortkommen / sondern einander verhindern / und verwunden / oder ja gar auf die Erden / oder in das Meer / wann sie darüber fliegen /herab werffen.30 Aber sonsten haben sie wohl auch zu Zeiten Streit miteinander / und kämpfen so hitzig /daß sie ehender von dem Jäger / wann er gähling[499] darzu kommt / sich mit Händen ergreiffen / und fangen lassen / ehe daß einer dem anderen nachgibt / und von dem Rauffen ablaßt: und alsdann heist es wohl / Duobus litigantibus gaudet tertius. Wann zwey mit andern zancken / hat der Dritte dem Glück zu dancken.

Auch wir Menschen sollen einig / und einhellig /als wie die Kranich in ihrem Flug / unter der Anführung Christi / miteinander fort wandern auf dem Weeg des Heyls / zu unserem letzten Ziel und End / dem himmlischen Vatter-Land; dann wie uns der Apostel sagt Non habemus hìc manentem Civitatem etc. Wir haben da kein bleibende Stadt / sondern suchen die Zukünfftige. Dum sumus in corpore, peregrinamur: so lang wir in diesem sterblichen Leib umgehen / seynd wir auf der Wanderschafft begriffen. Wann wir aber unfriedlich seynd / einander übervorthlen /oder übersteigen / und vordringen wollen / da verhinderen wir einander in dem Lauff / als daß wir den Endzweck des himmlischen Vatter-Lands nicht erlangen. Ja zum öffteren ergehet es den unfriedlichen Menschen / als wie den kämpfenden Kranichen /wann ihre zwey miteinander hefftig streiten / und zancken / und einander verletzen / da kommt der Dritte / der höllische Seelen-Jäger entzwischen / und nimmt den einen / oder beyde gefangen.

Die Kranich / wie gemeldt / fliegen hoch / wann sie von einem Land zu dem andern wanderen / damit sie in die Weite aussehen / wohin sie fliegen / auch daß sie das Gewülck / und antrohende Ungewitter / oder andere Gefahren zeitlich wahrnehmen / und sich darnach richten mögen.31 Eben also sollen auch wir auf dem Weeg / oder Reiß in die Ewigkeit uns verhalten. Wir sollen hoch auffliegen / nicht durch Hoch- und Ubermuth / sondern durch die Erhöhung der Betrachtung / und Erhebung des Gemüths zu GOtt und himmlischen Dingen / durch die Verachtung der Welt / damit wir in die Weite / das ist / in die Ewigkeit hinaus sehen / und das bevorstehende Hoch-Gewitter des letzten Gerichts / und andere Gefahren unserer Seelen und unseres Heyls zeitlich und vorsichtig beobachten / und uns darvor hüten mögen.

Aber die Kranich / wann sie hoch auffliegen / thun sie sich mit Sand / und kleinen Steinlein beschweren /damit sie der Wind nicht hin und wieder treibe / oder wegnehme / und hinführe / wo sie nicht hin wollen. Eben also / wann der Mensch hoch zufliegen beginnt durch zeitliches Glück / durch Ehren / und Ansehen /da soll er sich selbst beschweren und beladen mit Sand und Steinen / oder mit Koth / und Erden / das ist / mit der Betrachtung seines schlechten Herkommens /und seiner Nichtigkeit / auf daß er nicht von dem Wind der eitlen Ehr anderst wohin / als er gern wolte / und solte / nemlich gegen den Untergang / an statt des Aufgans getrieben werde. Wann die mehrgemeldte Kranich hoch fliegen / so bedeutet es gut und schönes Wetter / wann sie aber nahe / oder nieder über die Erden herfliegen / so bedeutet es Regen / oder Ungewitter. Ingleichen wann wir auf gemeldte Weiß hoch fliegen / so bedeutet es gutes schönes Wetter vor / den Sonnen-Schein der Göttlichen Gnaden-Sonn: wann wir aber niederfliegen / das ist / uns mit den Begierden und Anmuthungen nicht wollen in die Höhe aufschwingen / sondern an der Erden ankleben / da bedeutet es nichts Gutes / sondern ein schlimmes / gefährliches Wetter in sittlichem Verstand.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 497-500.
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