Anhang

Anhang / oder Anmerckungen zu denen Bäumen insgemein.

[594] Erstlich ist bey den Bäumen insgemein noch anzumercken / daß / gleichwie es in den Gärten / Wälder und Feldern so vil unterschiedliche Bäum gibet / die in ihrer Art / Fruchtbarkeit / Grösse / Gestalt / Daurhafftigkeit / und anderen Eigenschafften gar weit voneinander unterschiden seynd / deren eine zu disem / andere zu einem anderen Gebrauch besser taugen: als zum Kohl brennen / zu Häuser und Schiff bauen zum schnitzlen und trexlen.51 Ein solche Beschaffenheit hat es auch im politischen Weesen / es gibt da auch vil unterschidliche Ständ und Professionen der Menschen / welche in accidentalibus oder beyfälligen Dingen gar unterschidlich beschaffen seynd / Fromme und Gottlose / Edle und Unedle / Reiche und Arme /Geistlich- und Weltliche / deren eine zu disem / andere zu einem anderen Ambt / Dienst oder Verrichtung besser taugen / der eine taugt für ein Obrigkeit / der andere für ein Unterthanen / diser für ein Lehrmeister / jener für ein Lehrjünger / einer für ein Officier / ein anderer für ein gemeinen Soldaten / für ein Kauffmann / für ein Baursmann.

[594] Non omnia possumus omnes, nit ein jeder alles kan. Und gleichwie die Zierd und Nutzbarkeit eines grossen Gartens mehrentheils in der Menge / Unterschid / und Fruchtbarkeit der Bäumen besteht / also bestehet die Schönheit und Wohlfahrt eines Lands oder Reichs in der Menge unterschidlicher Ständen oder Conditionen der Menschen / welche alle ihre besondere Obligenheit und Verrichtungen haben.

Für das andere wird bey den Bäumen beobachtet /daß gemeiniglich die gröste ansehnlichste und stärckste Bäum die kleineste oder schlechtiste Früchten tragen / und hingegen die kleinste / nidere und schwache Bäumlein haben offt die schönste / gröst- und beste Früchten.52 Als zum Exempel: was für ein großmächtiger / starck- und ansehnlicher Baum ist nit der Eich-Baum / der Nuß-Baum / Thannen-Baum / Linden-Baum etc. und dannoch tragen dise nichts als schlechte Eichelen für die Schwein / truckne Nuß /liederliche Tanzapfen / oder gar nichts als leeres Laub. Hingegen kommt man in einen Fürstlichen Lust-Garten / da wird man sehen wie offt kleine /schwach- und nidere Bäumlein die beste und gröste Aepfel und Birn haben / oder wie die kleine welsche Bäumlein / die nur in höltzernen Geschirrlein stehen /die schönste und edliste Citronen / Limonien und Pommerantzen tragen.

Eben also geht es zum öffteren in dem sittlichen Weesen unter den Menschen zu. Zum öfftern sage ich / geschicht es / daß auch / da die gröste / schönste und stärckiste Bäum / ich will sagen / die ansehnlichste und fürnehmste Persohnen / die in grossen Würden und Ansehen stehen / die einen grossen Gewalt und Reichthum haben / und mit stattlichen Talenten oder Gaben der Natur gezieret seynd / dannoch wenig kleine und schlechte Früchten tragen / das ist / wenig nahmhaffte Thaten verrichten / wenig verdienstliche oder tugendliche Werck üben: und mit einem Wort /wenig gutes thun. Hingegen geschiht es auch nit selten / daß kleine schwache Bäumlein / das ist / geringe / schlecht- und einfältigste Menschen die schönste gröste Früchten / ich verstehe die herrlichiste Tugend-Werck herfürbringen / vil Gutes würcken / und in dem sittlichen Garten der Catholischen Kirchen den grösten Nutzen schaffen / und ihm die beste Zier geben.

Es befindet sich ferners zum dritten auch noch diser Unterschid zwischen den Bäumen / daß die eine hoch-und truckne Ort / andere hingegen mosächtig- und sumpfige zu ihrem Wachsthum lieben und erforderen: eine haben es gern wann man sie stutzet und beschneidet / sie wachsen desto besser als wie die Widen / andere hingegen wann man sie stutzt / wachsen sie nimmermehr / als wie die Thannen / wiederum die grünen Sommer und Winter / jene verliehren das Laub und verdorren im Winter.53 Aber in disem kommen sie übereins / daß sie endlich alle darauf gehen / früher oder später werden sie umgehauen /von dem Wind umgerissen / oder verfaulen von sich selber / verderben und fallen umb / kein eintziger bleibt über: unter so vil 1000. und 1000. Bäumen seynd kaum etliche Eichen die 1. oder 2. hundert Jahr lang stehen bleiben / hernach gehen sie auch darauf. Eben also seynd auch die sittliche Bäum / die Menschen / gar ungleich beschaffen: einigen ist die Höhe anständig / das ist / hohe Ehren-Stellen und Aembter /dann sie seynd darzu von GOtt verordnet / anderen andere Dienst und Verrichtungen / weil sie keine so grosse Kräfften haben. Die müssen ein fette Erden haben / auf daß sie gut thun / und Frucht bringen. Sie lassen sich nit gern stutzen / das ist / man muß ihnen nichts lassen abgehen / sie trösten und wohlhalten /oder glimpfig tractiren / sonst würden sie kleinmüthig / ungedultig und verzagt: jene hingegen / welche besser[595] in der Tugend gegründet seynd / lieben die Rauhe und Strengheit der Buß und Abtödtung / sie mögen es wohl leiden / daß man sie stutze / mortificire / der Uberfluß oder das Wohlleben wäre ihnen schädlich /sie wurden hochmüthig oder muthwillig darbey. Wiederum grünen und floriren die eine Sommer und Winter / das ist / sie üben die Tugend und gute Werck in Wohlfahrt und Trübsal / in Freud und Leid: die andere aber wollen GOtt dienen / nur so lang es ihnen nach Wunsch und Willen gehet / im Creutz und Leiden aber verdorren sie / und stehen ab.

Aber in disem kommen alle über eins fruchtbare und unfruchtbare Bäum / gute und böse Menschen /daß sie endlich nothwendig umgehauen / oder von dem Todt umgefölt werden / und früher oder später in das Grab geworffen.

Der Adam / Henoch / Mathusola und Noe / seynd sehr alte Bäum worden / sie seynd etlich 100. Jahr lang in der Welt / in dem Leben gestanden / aber endlich hat es auch geheissen: Mortuus est, der Tod hat den Baum umgehauen / er ist gestorben.

Es ist ein Gedicht der Poeten / daß die Götter einstens in einem Rath zusammen kommen seyen / und ein jeder ihm für sein Sinnbild und Wappen-Schild einen Baum auserwählt habe / aber lauter unfruchtbare Bäum haben sie erwählt.54 Der eine zwar den Thannen-Baum / der andere den Linden-Baum / der dritte den Eich-Baum etc. Dises wolte der nasenwitzigen Göttin Minervæ nit gefallen / sie beschnarchte die Götter / sie haben unrecht gethan / daß sie ihnen nit vilmehr fruchtbare Bäum auserküsen hätten: aber die Götter verantworteten sich weißlich / mit vermelden /sie haben es wohl bedacht / und mit Fleiß gethan /theils ihr Macht zu zeigen / Krafft deren sie auch schlechte und unnütze Ding zu Ehren setzen / und wohl zu appliciren vermögen / und gar leicht aus unfruchtbaren Bäumen fruchtbare machen können: theils damit die Bäum nit Ursach hätten zu stoltzieren oder sich zu übernehmen / in Ansehung / daß sie zu hohen Ehren erhoben worden / gantz nit aus eignen Verdiensten / sondern pur aus Gnaden der Götter. Es werde ja / sagten sie weiters / auch gemeiniglich von den Menschen / von den Bau-Leuthen und Künstlern das Holtz der gemeinen und unfruchtbaren Bäumen der Eichen / Thannen / und Linden / und nit der fürnehmen fruchtbaren Bäumen erkisen / die Tempel-Häuser und Schlösser / Schiff und Brucken darvon zu erbauen / schöne Saulen / Statuen oder Bildnussen daraus zu machen / und eben dardurch thun sie ihre Kunst und Geschicklichkeit besser an Tag legen / indem sie etwas rechts aus etwas schlechts zu machen vermögen. Auf disen Beweißthum müßte Minerva stillschweigen / und bekennen / daß sie die Götter unbillich getadlet habe.

Dises ist zwar nur ein Gedicht der Poeten / aber ein Christliche Wahrheit ist es / was der Apostel Paulus geschriben hat: Infirma mundi & ignobilia elegit DEus, ut confundat fortiora.55 Was schwach und unansehnlich ist vor der Welt hat GOtt erwählt / was starck und hoch angesehen dardurch zu schanden zu machen. Dann facile est in oculis Dei subitò honestare pauperem.56 Es ist dem HErrn gar leicht den Armen schnell reich zu machen. Er ist ein solcher allmächtiger Künstler / der auch mit dem schlechtisten Werckzeug die herrlichiste Kunst-Stuck verfertigen kan.

Dises hat er unter tausend anderen Gelegenheiten klärlich erwisen / als er einen Matthäum / Paulum und Zachäum / als zuvor gantz unfruchtbare Bäum erkisen hat / selbe zu seinem Kirchen-Bau applicirt / und schöne feste Kirchen-Säulen daraus gemacht hat. Ja die gantze Catholische Kirch zu erbauen / hat Christus der himmlische Bau-Meister[596] das Holtz nit hergenommen von ansehnlichen fürnehmen / sonderen von gemeinen und schlechten Bäumen: ich will sagen / er hat zu Hirten und Vorsteher seiner Glaubigen keine Weltweise oder mächtige Herren / sondern schlechte und einfältige Fischer erwählt / auf solche Weiß seine Allmacht zu erzeigen / und die von so niedrigem Stand erhöcht und erwählte von allem Ubermuth zu bewahren.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 594-597.
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