Der 6. Absatz.

Von dem Epheu oder Wind-Kraut.

[600] Das Epheu ist ein Gewächs / welches dise Art an sich hat / daß es niemahl für sich selbst alleinig aufwachsend gesehen wird / sondern an den Mauren oder Bäumen sich anhencket (deßwegen es auch hædera genennt wird / nemlich ab hærendo) selbe umbfanget /und an ihnen in die Höhe hinauf steigt / ohne welche Hülff und Stitzen es nur auf dem Boden herum kriechen müßte.66 Seine Blätter fallen nit leicht ab / und bleiben im Winter grün als wie im Sommer: sie haben ein zimlich starcken Geruch / und ein Bitterkeit an sich. Sonsten solle das Epheu wegen seiner kalten Natur der Trunckenheit widerstehen / auch schreibt Gallenus, daß / wann man sie im Wein siede heilen /allerley Geschwähr / und so mans frisch und fleißig auf die Fontanellen legt / so ziehen sie böse Feuchtigkeiten heraus / und lassen kein anderen Unrath dar zuschlagen. 2. Mach. c. 6.

Das Epheu ist vor Zeiten hoch geachtet worden /und seynd die Poeten solenniter darmit gecrönt worden / und dises darumen / weilen ihre Gedancken Vers und Carmina allzeit schön grünend / und annemlich die Menschen erlustigen.67 Auch wann die alte Heydenschafft dem erdichteten Gott Bacho ihre Bachanalia, oder Faßnacht-Fest hielten / pflegten sie Kräntz von Epheu zutragen. Gleichfalls hat ein Heydnischer König / wie in heiliger Schrifft zu lesen ist /die Juden / so unter seiner Bottmäßigkeit waren / gezwungen / zu gewisser Zeit Kräntz von Epheu / zu Ehren dises Abgotts zu tragen / weilen dises Gewächs ihme absonderlich gewidmet ware. Endlich hat auch der König Alexander, als er über Indien obgesiget /seine Soldaten / die sich im Streit tapfer gehalten / mit Epheu gecrönt / dardurch anzudeuten / daß gleichwie es im Winter und mitten in dem Schnee / so wohl als bey annemlicher Sommers-Zeit grünend / und beständig anhanget deme / was es einmahl ergriffen hat /also seyen sie ihme in allen Gefahren und Mühseeligkeiten beständig angehangen / und getreu verbliben.

Es ist zwar heutiges Tags das Epheu nit mehr so hoch geachtet / daß man Kräntz daraus mache / und selbes auf das Haupt setze / sonder man laßt es gleichwohl an den alten Mauren / oder ungebutzten wilden Bäumen ankleben / (dann an den fruchtbaren leidet mans nit / es benehme ihnen die Krafft) doch muß man ihme die Ehr und das Lob geben / daß es ein Symbolum oder Anzeigen seye der beständigen Treu eines guten Christen: dann gleichwie kein Winter so kalt und rauh / auch kein Sommer so hitzig /dürr und trucken ist / daß er dises Gewächs seiner immer-grünenden Blätter beraube.68 Also ist auch kein Trübsal und Trostlosigkeit so kalt und / grimmig / noch ein Verfolgung und Schmertzen so häfftig und hitzig / daß sie einem guten Christen seine Treu und Beständigkeit gegen GOTT berauben möge. Ein recht guter Christ grünet und florieret allzeit an der Hoffnung / an Verdienst und guten Wercken / so wohl im Winter der Trübsal und Widerwärtigkeit / als im Sommer der Wohlfahrt und Vergnügenheit: wie der Prophet[600] von dem Gerechten / der auf GOtt vetrauet bezeuget / sprechend: Obschon ein Hitz kommet /wird er sich nit fürchten / sondern seine Blätter werden grün bleiben / er wird auch in den trucknen Jahren nit sorgfältig seyn / und nit aufhören Frucht zu bringen.69 Und gleichwie das Epheu den Baum / so es einmahl ergriffen hat / nit mehr verlasset: also ein guter Christ / der mit den Armben der Hoffnung und des Vertrauens GOTT einmahl recht umbfangen hat / der laßt sich auf keine Weiß mehr von ihme abwendig machen. Die Epheu-Blätter fallen nit ab / sie bleiben Sommer und Winter stehen: also sollen auch die Wort / das ist / die Versprechungen und gute Vorsätz eines guten Christen nit abfallen oder nachlassen / sondern fleissig erfüllet werden.

Hingegen wann das Epheu von dem Baum / an welchem es aufgewachsen ist / ahgerissen wird / da kan es sich nicht mehr aufrichten / oder aufrecht halten / sondern es ligt gantz krafftloß zu Boden. Also auch / wann die Seel von dem Baum / welcher Christus ist / durch eine grosse Untreu oder schwere Sünd sich selbsten abreisset / da sallt sie alsobald zu Boden / und steiget mit ihren Begirden und Anmuthungen nit mehr über sich.70 Dann der Mensch ist aus eignen Kräfften vil zu schwach und unvermögend zu allem Guten. Welches Christus zu verstehen gibt mit den Worten in dem Evangelio: Si quis in me non manserit, mittetur foras, & arescet etc. Wer nit in mir bleibt / der wird hinweg geworffen und verdorren. Welches David wohl erkennt hat / darum er gesprochen: Mihi adhærere Deo bonum est,71 es mir gut daß ich GOtt anhange. Es hat es auch unter vil anderen gar wohl erkennt der H. Apostel Paulus /deßwegen er so festiglich entschlossen war, sich auf kein erdenckliche Weiß von Christo absönderen zu lassen / weder Angst noch Trübsal / weder Hunger noch Blösse / weder Gefahr / Schwerd und Verfolgung / weder Leben noch Todt / sagt er / soll es vermögen.72

Wann man wissen will / ob ein Wein mit Wasser gemischet seye oder nit / da soll man ein Geschirrlein aus Epheu-Holtz gemacht / nehmen / und ein Wein darein giessen / unter welchem ein Wasser ist / alsdann wie Plinius vom Epheu schreibet / wird der Wein durchdringen / und ausrinnen / das Wasser aber allein im Geschirrlein bleiben / dann das Epheu-Holtz solle keinen Wein in sich behalten. Dise Wahrheit laß ich bey der Zeugnuß Plinii geruhen / und auf die Prob ankommen. Indessen ist es gewiß / daß es so gottseelige Christen abgebe / welche aus Liebe GOttes gleich dem Epheu / kein Tröpfflein Wein der eitlen Freuden und Wollüsten / wohl aber das Wasser der Trübsal bey sich / und in ihrem Hertzen behalten / obwohlen es der Sinnlichkeit übelgeschmecket. Ein solcher ist unter anderen absonderlich gewesen mein H. Vatter Benedictus, welcher nach Zeugnuß Gregorii M. sein Hertz von Jugend auf niemahl einigem Wollust ergeben hat / und wie die Catholische Kirch in den Tagzeiten von ihm singt / lieber hat wollen von der Welt verachtet und verlassen / als geehrt und angesehen werden / lieber für GOtt durch Müh und Arbeit abgemattet / als durch zeitliche Gunst und Wohlfart erhöhet werden.

Ubrigens können auch in sensu politico, die Schmeichler und Augen-Diener / die Favoriten oder Günstling grosser Herrn mit dem Epheu verglichen werden; dann dise / weil sie wohl wissen / das sie aus eignen Kräfften zu schwach / nit über sich kommen möchten / und zu keinen Ehren Stellen und Reichthumen gelangen / da machen sie mit Schmeichlen /Ohrenblasen und Complementiren bey fürnehmen und regirenden Herren sich wohl daran / dise nehmen sie ein / umgebē und begleiten sie überall[601] / und halten sich fest daran / als wie das Epheu an einem grossen starcken Baum: mithin wachsen sie auf / und kommen nach und nach über sich / offt schier so hoch als der Baum / das ist / ihre Herren und Gönner selbsten /welcher von seinen politischen Epheu / das ist / seinen schmeichlenden Hof-Katzen gäntzlich umgeben /gleichsam gefäßlet und gefangen ist / er kan sich von ihnen nit mehr loß machen.73 Und gleichwie das Epheu die Bäumlein zimlicher massen aussauget /und ihnen die Krafft benimmt / daß sie nit wohl fruchten können. Also thun die Schmeichler / Augen-Diener / und Hof-Katzen aussaugen / oder das Geld ihnen abschwätzen. Aber wann der Baum veraltet / faulet /zu Boden fallt / oder umgehauen wird / da fallt nothwendig auch das Epheu / das ihm angehanget ist / zu Boden / und bleibt auf der Erden ligen. Eben also /wann ein vornehmer Herr durch einen Unglücks-Fall ins Abnehmen gerathet / oder von dem Todt in das Grab gefällt wird / da müssen nothwendig auch alle seine Adhærenten / Favoriten / oder Gunstling mit ihme fallen und zu Boden ligen: Dann accidens sequitur suum principale, sagen die Philosophi, wann das haubt Weesen selbst nit mehr bestehen kan / so können auch die beyfällige Ding nit mehr bestehen. Deßwegen rathet uns weißlich der Königliche Prophet David: Nolite confidere in Principibus, in filiis hominum, in quibus non est salus. Verlasset euch nit auf Fürsten und grosse Herren / oder auf enige Menschen / bey welchen allen kein sichere und beständige Hülff zu hoffen ist.

Wann ein Baum oder Gemäur dick mit Epheu umgeben ist / da nisten gern die Schlangen oder andere gifftige Thier darbey ein / und haben da ihren Aufenthalt: auf gleichen Schlag / wann ein vornehmer Herr mit vil Schmeichlern / Hof-Katzen / und Augen-Dienern umgeben ist / da befinden sich gemeiniglich auch einige politische Schlangen darunter / welche theils mit ihren liebkosenden / theils mit übel- nach- redend-und ehrabschneidenden Zungen / so wohl ihre Herren und Patronen selbst / als ihren Neben-Menschen / der ihnen im Weeg umgeht / beschädigen und vergifften.

Fußnoten

1 Der Apfel-Baum.


2 Vilfältiger Unterschied der Aepflen.


3 Von dem Apfel kommt vil Ubel.

Geschichten.


4 Des Liegens groß- und vilfältiger Schaden.


5 Prov. c. 12. v. 22. c. 9. v. 5.


6 Fornerus in verba dilexisti verit.


7 Sonderbare Liebhaber der Wahrheit.


8 Der Birn-Baum.


9 Der Uberfluß ist schädlich.


10 Der Birn seynd mancherley.


11 Seltsamer Birn-Baum.


12 Wie der Nuß-Baum beschaffen seye.


13 Träge und widerspännige Leuth gleichen einem Nuß-Baum.


14 Die Buß ist in harte Nuß.


15 Unterschiedliche Obs- oder Baum-Früchten.


16 Die Pfersich lib. 10. c. 13.


17 Die Marillen.


18 Die Pflaumen.


19 Die Kirschen.


20 Unterschidliche Tugenden werden durch unterschidliche Früchten beditten.


21 Ephes. c. 4. v. 11.


22 Chor. c. 12. v. 29.


23 Die Tugend besteht in dem Mittel.


24 Lib. 1. Eth.

Fernere Gleichnuß zwischen der Tugend und denen Baum-Früchten.


25 In quodam ser.


26 ad Gal. c. 6.


27 Die Stärcke und Dicke des Eichbaums.


28 Gewalt mit Gewalt vertreiben ob es rathsam seye.


29 Luc. c. 14. v. 31.


30 Der Eich-Baum will nit nachgeben.


31 Thannen und andere Bäum.


32 Der Linden-Baum.


33 Die Jugend ist gleich einem Linden-Holtz.


34 Der Buch-Baum.


35 Der Bircken-Baum.


36 Der Bux-Baum.


37 Der Gerechte mit dem Bux-Baum verglichen.


38 Der Eschen-Baum.


39 Lib. 16. c. 14.


40 Das Creutz Christi mit dem Eschen-Baum verglichen.


41 Der Ulmen-Baum.


42 Ein Prediger solle gleich seyn dem Ulmen-Baum.


43 Der Lerchen-Baum.


44 Der Aspen- oder Papel-Baum.


45 Der Sünder ist gleich dem Aspen- oder Papel-Baum.


46 Uble Beschaffenheit des bösen Gewissens


47 Job. c. 15. v. 21.

Sap. c. 15. v. 10.


48 Der Eiben-Baum.


49 Die betrügliche Welt wird durch den Eiben-Baum beditten.


50 1. Janu. c. 2.


51 Vilfältigkeit der Bäumen deutet an den Unterschid der Menschen.


52 Grosse Bäum kleine Früchten / kleine Bäum grosse Früchten.


53 Fernere Gleichnuß zwischen den Bäumen und Menschen.


54 Gedicht. Unfruchtbare Bäum werden fruchtbar gemacht.


55 GOtt erwählt und erhöht was schwach und nidrig ist.


56 1. Cor. c. 1.

Eccl. c. 11. v. 3.


57 Der Dornbusch wird zum König der Bäumen erwählt.


58 Böse Regenten so den Gewalt mißbrauchen.


59 Jud. c. 9. v. 15.


60 Böse Eigenschafften des Dornbusches auf böse Sitten ausgedeutet.


61 Ungerechte Geitzhälß und Reichthumen seynd den Dörnern gleich.


62 Prov. c. 31. v. 20.


63 Buß und Abtödtung wird durch den Dornbusch beditten.


64 Trangsal und Armseeligkeiten seynd durch die Dörner zu verstehen.


65 Genes. c. 8. v. 18.


66 Des Epheus Beschaffenheit.


67 Das Epheu war vor Zeiten hoch geacht.


68 Treu und Beständigkeit eines guten Christen mit dem Epheu verglichen.


69 Jer. c. 17. v. 7.


70 Jo. c. 15. v. 6.


71 Psal. 27. v. 28.


72 Rom. c. 8. v. 35.


73 Die Schmeichler und Augen-Diener gleichen dem Epheu.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738.
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