Der 5. Absatz.

Von dem Dornbusch.

[597] Es scheinet zwar der Dornbusch ein schlecht- und verächtliches Ding zu seyn / aber nein / es ist deme nit also / massen die Heil. Schrifft selbst seiner gedenckt / und etwas denckwürdiges von ihm erzehlt /dann in dem Buch der Richtern am 9. Cap. wird folgender Apologus und lehrreiches Gedicht gelesen.57 Die Bäum kamen einstens zusammen / Willens einen König aus ihnen zu erwählen / der hinführo über sie herrschen solle; sie haben auch das Regiment oder die Königliche Würde unterschidlichen fruchtbaren Bäumen angetragen / nemlich dem Oel-Baum / dem Feigen-Baum / und dem Weinstock. Aber keiner aus disen wolte es annehmen / sie haben es ausgeschlagen / und sich entschuldiget / mit vermelden / es falle ihnen schwehr / und können sich nicht entschliessen ihre feiste und süsse Früchten zu verlassen / denselben nimmer abzuwarten / und die Sorg über andere Bäum auf sich zu nehmen.

Man müßte also weiter gehen / und gleichwohl einem unfruchtbaren Gewächs das Regiment antragen / und zwar auf den Dornbusch ist es ankommen. Dixerunt omnia ligna ad Rhamnum veni & impera super nos. Alle Bäum sprachen zu dem Dornbusch /komme du und sey König über uns. Dem Dornbusch ware es gantz recht. er nahm solche Ehr und Würde bereitwillig an / so bald er sich zu einem König erhoben sahe / da hat es alsobald geheissen / honores mutant mores, neue Ehren / neue Sitten / der vor betten laßt sich bitten / er henckte den Kopf wohl nit mehr auf den Boden als wie zuvor / er thät sich wohl nit mehr schmucken und ducken als wie zuvor / sonderen er hat sich gewaltig gespreitzt / und ein großmächtige Grandez gespihlet. Ja er hat alsobald ein gar scharpfen Befelch ergehen lassen / mit schwehrer Betrohung der Todts-Straff / wofern man selben nit vollziehen werde.58 Si verè me Regem vobis constituistis, venite & sub umbra meâ requiescite, si autem non vultis, egrediatur ignis de rhamo, & devoret cedros libani.59 Wann ihr mich wahrhafftig für einen König haben wollet / sagt der Dornbusch zu den Bäumen /so kommt alle her / und ruhet unter meinem Schatten /und wann ihr es nit thut / so solle das Feur von mir ausgehen / und auch so gar die Ceder-Bäum verzehren. O du dollsinniger Schatten-König! was bildest dir ein / und wo gedenckst du hin / der du kaum zuvor hast müssen froh seyn / daß man dich in einem etlich Spannen breiten Plätzlein hat lassen auf der Erden umkriechen / wilst jetzund schon haben / daß die grosse Eichen / die hohe Thannen / die breite Linden / ja auch die gewaltige Ceder-Bäum selber sich alle unter deinen Schatten sollen zusammen ducken / schmucken: also geht es / wann ein Bettler gähling zu einem Herrn wird. O! was habt ihr gethan ihr unbehutsame Bäum / daß ihr disen mageren / gestumpeten / buckleten / kretzigen Kerl zu einem König erwählt habt? was hat euch doch dahin bewogen und betrogen? villeicht habt ihr etliche schöne weisse oder gelbe Rößlein unter den Dörnern sehen herfür blicken / die euch also angelacht und wohl gefallen haben? Es geschicht nemlich zu Zeiten / daß ein unbesunnene und unglückliche Wahl eines[597] Regenten oder einer Obrigkeit so übel ausschlaget / daß indeme man ein gelinden und gelümpfigen Oel-Baum / ein süssen Feigen-Baum / oder bescheidenen Weinstuck zu bekommen verhofft hat / da bekommt man zu allgemeinem Leidweesen ein rauhen / spitzigen / stechenden Dornbusch / der immerdar mit vil Spieß und Stangen / ja auch mit Feur und Flammen throet und bewaffnet ist.

Ich kan eben von dem Dornbusch nit vil Gutes sagen / es ist gar heicklich und gefährlich mit ihm umzugehen / es kommt niemand unbeschädiget darvon: rührt man ihn mit Händen an / so sticht er ein /tritt man mit dem Fuß auf ihn / so verletzt er ein.60 Es heisset halt bey ihm allzeit / noli me tangere: Auch die arme Schäfflein auf der Weid / wann sie sich ihme nähern / müssen sie ihm schon einen Zoll geben / und etliche Büschel Woll von der Woll dahinden lassen / und wann der Hirt nur an ihm anstreifft /so hebt er ihn beym Rock / und reißt ein Loch darein; ja / je grösser und älter er wird / je schärpfer und härter werden auch seine Stachlen. Es hat der Dornbusch ein feurige Natur / dann wegen seiner grossen Dürre und Hitz werden zu Zeiten die Blätter und Zweig / so von ihm abfallen / von den Sonnen-Strahlen angezündt in heissen Ländern / und dardurch auch die nächst gelegene Bäum verbrennt. Dise böse Eigenschafften des Dornbusch stellen uns vor die böse Sitten eines ungerechten / betrügerischen und unbarmhertzigen Menschen / der je länger je mehr in der Boßheit zunimbt / und verhartet / also / daß niemand unbeschädiget / oder an Ehr und Gut unverletzt darvon kommt / wer immer mit ihm zu thun hat / und sich Geschäfft halber zu ihm näheren muß / der wird betrogen und überfortlet / oder sonst verführt.

Gleichwie auch der Dornbusch wegen der Menge seiner Zweigen niemahl grad auf wachset / oder sich in die Höhe aufricht / sondern gekrümt und verwicklet auf den Boden sich neiget; also ist der Gottlose wegen seinen unordentlichen Begirden und irrdischen Geschäfften also beschwert / verwicklet und verwirret /daß er sich durch eine gute Meynung nit aufrichten /noch sein Gemüth in die Höhe und zu GOtt erheben kan / sondern nur immer auf das Irrdische sihet / und gäntzlich darein vertiefft ist.

Insonderheit seynd die ungerechte reiche Geitzhälß mit der Dorn-Stauden zu vergleichen.61 Dann neben dem / daß Christus selbsten im Evangelio die Reichthumen Dörner nennet / so kommen sie in disem übereins / daß gleichwie sich unter den Dornbüsch oder Stauden allerhand gifftige Thier versammlen und verbergen / also befinden und verbergen sich unter den Reichthumen und bey den Geitzhälsen allerhand Laster und Ungerechtigkeiten / böse Gesellen und schlimme Rathgeber.

Wiederum / gleichwie die Dörner nit nur an sich selber unfruchtbar seynd / sonder auch denen Gewächsen / so nach bey ihnen stehen / schädlich seynd / und um die Frucht bringen / verhinderen / sie nehmen ihnen die Krafft / und verstecken sie / lassens nit aufwachsen. Also die Ungerechte / Reiche und Geitzige thun nit nur für sich selber nichts guts / und geben niemand nichts / sonder sie verhinderen auch ihre Nachbaren / deren Güter sie an sich ziehen von vilem Guten / sie beneiden selbe / und wollens nicht lassen aufkommen. Man kan sich von den Dörneren schwerlich ledig machen / man bleibt an ihnen hangen und gefangen. Auch von dem reichen oder mächtigen / und von dem ungerechten Gut / thut man sich schwerlich loß machen / jene hanget man an / und dise thut man nit gern verlassen.

Ferners wann man die Dörner in offenen Händen daher tragt / stechen und Schaden sie nit / aber wann man sie verbergen will / und die Hand zutrucket / alsdann verwunden[598] sie übel / und treiben das Blut heraus. Eben also / wann man die Reichthumen mit offener oder freygebiger Hand tractirt / da schaden sie nit / wohl aber verletzen sie nit nur die Händ / sonder vilmehr das Hertz und Gewissen / wann man sie verbirgt oder vergrabt / und die Händ vor den Armen verschlossen haltet. Deßwegen hat der weise Salomon das starck- und kluge Weib gelobt / sprechend: Manum suam aperuit inopi, & palmas suas extendit ad pauperem:62 Sie hat ausgebreitet ihre Händ zu den Armen / und gereicht ihre Händ dem Nothdürfftigen. Die Dörner hingegen seynd zu nichts nutz als zum verbrennen / man kan selbe weder zum bauen brauchen / noch etwas daraus schnitzlen: auch die Geitzige seynd niemand nutzlich / man kan nichts aus ihnen machen / und sie lassen ihre Güter niemand geniessen. Es kan aber auch durch die Dornstauden füglich die freywillige Buß und Abtödtung verstanden werden. Dann gleichwie die Dörner zwar schmertzlich stechen / aber eben darum gut und tauglich seynd die Obs- und Weingärten darmit zu umzäunen / und dadurch von den wilden Thieren / daß sie selbe nit beschädigen / auch von den Dieben / damit sie die Früchten nit weck stehlen / sicher zu halten.63 Also thut die Buß und Abtödtung dem Fleisch oder der Sinnlichkeit zwar wehe / sie sticht und schmertzet /aber eben darum thut sie den Garten des menschlichen Hertzens / oder der Seel bewahren vor den wilden Thieren / das ist / vor der Sünd und Lastern / wie auch vor den Dieben / verstehe vor den höllischen Raubern / daß sie sich durch die Versuchungen da nit können eintringen / und die Früchten der Verdienst und guten Wercken hinweg rauben.

So lang der dornächtige Zaun gut starck und gantz ist / so lang ist der Garten und die Frucht darin sicher / aber wann er eingerissen / oder aufgehoben wird / da stehet alles preiß / es gehet alles darauf. Eben also /so lang sich der Mensch an die Buß / Mortification und Forcht GOttes haltet / so lang bewahrt er sich selbsten und seine geistliche Früchten / aber wann er von disen ablasset / da kommt er um all seine geistliche Güter und Früchten.

Ferners geben uns die Dörner zu verstehen die Mühe und Arbeit / die Trangsalen und Armseeligkeiten des menschlichen Lebens / welche immerdar uns stupfen und stechen / und schier nie kein Ruh lassen.64 Dise seynd jene Dörner / von welchen GOtt bald nach Erschaffung der Welt zu dem Adam wegen begangener Erbsünd gesprochen hat: Terra spinas & tribulos germinavit tibi:65 Dorn und Distel wird dir die Erden tragen. Die ärgste Dörner aber seynd die böse Begird und Anmuthungen / die Sünd und Laster die aus der bösen Erden unsers Fleisches und unserer Sinnlichkeit herfür wachsen / und die Seel oder das Gewissen jämmerlich stechen. O wohl ein armseelige Erden des menschlichen Leibs! sagt ein gewisser Ascet, sie bringt ja nichts herfür als Dörner des bösen Gewissens / Distel der Boßheit / Neßlen und Unkraut der Geilheit / der Hoffart / des Neid / des Geitzes / und des Zornmuths.

Aber dise schädliche Dörner uns auszuziehen / hat Christus selber wollen mit Dörnern gekrönt werden /der Erden den Fluch zu benehmen / durch welchen sie Distel und Dörner zu tragen / ist verurtheilt worden: und wie Theophylactus anmercket / so hat der böse Feind keine andere und stärckere Waffen / die Menschen zu bestreitten / als eben die Dörner / die Sünden. Aber dise Waffen hat ihm unser Heyland und Erlöser benommen oder gehemmet / als er mit Dörnern ist gecrönt worden: aber die Dörner unserer Sünden schmertzen ihn vilmehr als diejenige / welche ihme des Pilati Kriegs-Knecht haben aufgesetzt; dann jene durchstachen[599] stachen zwar sein heiliges Haupt / dise durchtringen gar sein göttliche Seel. Beynebens ist nit ausser acht zu lassen / was da der heilige Bernardus anmercket: nemlichen / daß nichts unbillicheres seyn könne / und nichts ungereimters als daß das Haupt /nemlich Christus / mit Dörner und Schmertzen / die Glieder aber / das ist / die Catholische Christen mit Rosen oder Wollüsten gecrönet seyen.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 597-600.
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