Der 3. Absatz.

Von der Sonnen-Blum, oder Sonne-Wend.

[660] Die Sonnen-Blum / oder Sonnen-Wend / Flos Solis Heliotropium ist die gröste unter den Garten-Blumen / sie wachst auf einem dicken starcken Stengel eines Manns hoch / oder noch mehr.28 Sie wird also genennt / theils weilen sie ihren schönen gelben langlechten / und in einem Circul herum stehenden Blätteren / einiger massen der Sonnen gleichet: theils weilen ein Art derselben also beschaffen ist / daß sie sich jederzeit / auch wann der Himmel trüb / und überzogen ist / nach der Sonnen sich wendet / und gleichsam /als wann sie in die Schönheit der Sonnen gäntzlich verliebt und von derselben eingenommen wäre / sie allzeit anschauet / am Morgen zwar gegen Aufgang /und am Abend gegen Niedergang sich kehret. Es giebt der Sonnen-Blumen dreyerley / grosse / kleine / und mittelmäßige: die grosse tragen nur ein Blum / die kleinere aber mehr / sie werden erzeigt von ihrem Saamen / der bey einen schwartz / bey andern auch grau ist. Solcher wird im Frühling in dem Vollen-Mond gepflantzt / und auch im Vollen-Mond wiederum versetzt. Sie Sonnen-Wend erforderen einen guten fetten Grund / fleißige Begiessung / alsdann aber wachsen sie schnell / und hoch auf: wann der Stengel von diesen Blumen von dem Wind / oder sonsten abgebrochen wird / darf man es nur zusammen binden /so wachsen sie von selbsten wiederum zu: dann es ist ein klebiges / oder pichiges gewächs / welches aus seinem gehauenem Stengel ein Safft / oder Gummi /wie Terpentin tropfet.

Dem Saamen der Sonnen-Blumen seynd die Vögel gefährlich weilen er süß / und mild / an gewissen Orthen pflegt man aus den Saamen-Körnern ein Mehl zu machen / und Brod zu backen. Die Blumen ziehen zusammen und trucknen / die Wunden[660] gehen zusammen / wann man Sonnen-Blumen darauf legt: sie stillen auch das Blut / und seynd gut für die Geschwär.

Durch die Sonnen-Blum / oder Sonnen-Wend wird füglich der Gehorsam des Menschens gegen GOtt /und die Resignation seines in den göttlichen Willen verstanden: dann gleichwie diese Blum aus Antrieb ihrer Natur von Morgen an / biß Abend / bey trübem so wohl als heiterem Wetter / beständig nach dem Lauff der Sonnen sich lencket / und wendet / sie allzeit anschauet / und begehret von ihr angeschauet zu werden / ja in diesem gleichsam all ihr Glück und Vergnügenheit bestehet.29 Also thut ein gerechter /und gehorsamer Mensch sich allzeit so wohl bey trüb-als heiterem Wetter / das ist / in Freud und Leyd /Glück und Unglück nach der Göttlichen Gnaden- Sonn sich lencken / und wenden / jederzeit und in allem seinem Göttlichen Willen sich gäntzlich ergeben / und demselben gleichförmig machen / nichts mehrers verlangend / als mit GOtt sich zu vereinigen /und von ihme in Gnaden angesehen zu werden. In Erfüllung des Göttlichen Willens bestehet die gröste Glückseeligkeit der Engel und Menschen.

Die Sonnen-Blum ist gleichsam ein lauteres Aug /welches gantz und gar auf die liebe Sonn gerichtet ist / so bald die Sonn am Morgen frühe aufgehet / so wendet diese Blum alsobald ihr / obwohl schweres /Haupt gegen ihr / machet ihr ein Reverentz / und grüsset sie gantz ehrerbietig.30 Steiget die Sonn an dem Himmel höher / so erhebt / und erhöhet auch die Blum ihr Haupt / und wann sie wiederum niedr gehet / da folget sie ihr nach (weil sie es leiblicher Weiß nicht kan) aufs wenigst mit der Begierd und Neigung / über Nacht endlichen klaubt sie ihre glantzende Strahlen / verstehe die langlechte Gold-gelbe Blättlein zusammen / biß den anderen Tag die Sonn wiederum aufgehet / und alsdann stehet die Blum abermahl in Bereitschafft / und wartet ihr auf den Dienst etc.

Ein lebhaffte Abbildung einer GOtt-ergebenen und Göttlichen Seel! dero einzige Sorg / und Begierd ist der Göttlichen Gnaden-Sonn / und ihrem Einfluß nachzufolgen / sich derselben zu accommodiren. und so vil es ihr möglich ist / gleichförmig zu machen. Sie ruffet ihr gleichsam immerdar zu mit den Worten der geistlichen Braut: Trahe me post te, curremus in odorem unguentorum tuorum:31 Ziehe mich / so wollen wir hinter dir dem Geruch deiner Salben nachlauffen. Solche gehorsame sittliche Sonnen-Blumen /die Christo dem HErrn / als ihrer Sonnen / eilends und getreulich nachgefolget / seynd unter tausend anderen gewesen / Petrus und Andreas bey ihrem Fischer-Netz / Matthäus bey seinem Zoll-Banck / Zachäus auf dem Feigen-Baum / Magdalena in dem Hauß des Pharisäers etc. dann Christus ist die Sonn /von welcher längstens der Prophet Malachias weiß gesaget hat: Orietur vobis timentibus nomen meum Sol Justitiæ:32 Euch / die ihr meinen Nahmen förchtet / wird die Sonn der Gerechtigkeit aufgehen.

Ein solche alleredliste Sonnen-Blum / oder Sonnen-Wend / und zugleich das vollkommneste Exemplar oder Muster des Gehorsams ist gewesen Christus der HERR / welcher von ihm selbsten bezeuget / daß er nicht kommen seye auf diese Welt / seinen Willen zu thun / sonder dessen / der ihn gesandt hat / das ist /seines himmlischen Vatters / als der Göttlichen Gnaden-Sonn / nach welcher sich diese edle Sonnen-Blum Christus unabläßig gewendet hat / und gehorsam geblieben ist biß in den Tod / und zwar den Tod des Creutzes: auch zu Anfang des würcklichen Leydens hat er gebetten / es soll nicht sein / sonder des himmlischen Vatters Will geschehen.33

Auch ein fürtreffliche Sonnen-Wend ist die seeligste Jungfrau Maria gewesen / welche sich jederzeit vollkommen nach dem Willen GOttes / als wie diese Blum nach der Sonnen gewendet / und durch ein vollkommniste [661] Resignation gerichtet hat: absonderlich /da sie bey dem Englischen Gruß von gantzem Hertzen gesprochen hat: Ecce Ancilla Domini, fiat mihi secundum verbum tuum34 Sihe / ich bin ein Dienerin des HErrn mir geschehe nach deinem Wort. Ja es hat auch Christus der HErr selbsten sein Mutter seelig gesprochen / mehrers der Ursachen / weil sie das Wort Gottes / den Göttlichen Willen angehört und vollzogen / als weil sie den Sohn GOttes zur Welt gebohren hat.

Ein schöne Sonnen-Blum / oder Sonnen-Wend ist gewesen der Heil. Apostel Paulus / damahlen noch Saulus / als ihn GOtt durch einen unsichtbarlichen Gewalt auf die Erden geworffen / dieser aber mit vollkommener Resignation seiner selbst in den göttlichen Willen gesprochen hat: Domine, quid me vis facere:35 HErr was wilt du daß ich dir thun solle? Ja er hat sich nachmahls der sittlichen Sonnen also gleiförmig gemacht / und ist ihr also nachgefolgt / daß er hat sagen dörffen: Vivo autem, jam non ego, vivit vero in me Christus.36 Ich lebe aber jetzt nicht ich / sondern CHristus lebet in mir.

Ja ein jeder Untergebener soll ein sittliche Sonnen-Blum seyn / und sich vermög des höchst verdienstlichen Gehorsams nach dem Willen seines Oberen wenden und lencken / so wohl in beliebigen / als unbeliebigen Dingen / als wie die Blum nach dem Lauf der Sonnen so wohl bey trüben / als heiterem Wetter. Mens justi meditabitur obedientiam,37 sagt der weise Salomon. Das Hertz des Gerechten / denckt auf den Gehorsam.

Den Gehorsam lehren uns auch die unvernünfftige Thier / zu demselben ermahnen uns auch die unempfindliche Geschöpff / welche alle / und jederzeit ihrem Erschaffer volkommen gehorsamen / und das jenige thun / zu deme sie von GOtt verordnet seynd.

Eigentlich aber ist der Gehorsam ein freywillige Unterwerffung seines Willens / dem Willen des Oberen Omnis anima potestatibus subliminaribus subdita sit, itaque, qui resistit potestati, Dei ordinationi resistit etc. Ein jegliche Seel / sagt der Apostel /seye unterthan der Obrigkeit: Derohalben / wer sich wider die Gewalt setzt / der widerstrebt GOttes Ordnung: die aber widerstreben / die überkommen ihnen selbst die Verdammnuß.38 Hingegen nach Zeugnuß des grossen heiligen Gregorii: Obedientia sola virtus est, quæ cæteras virtutes menti inserit, insertasquè custodit.39 Der Gehorsam allein ist jeder Tugend / so die andere dem Hertzen einpflantzet / und die eingepflantzte erhaltet. Melior est obedientia, quàm victima.40 Der Gehorsam ist besser als Schlacht-Opffer. Dann durch dieses wird nur fremdes Fleisch geschlacht / durch jenen aber der eigene Willen zernichtet.

Diese und dergleichen seynd die fürtrefliche Eigenschafften der sittlichen Sonnen-Blumen / das ist des Gehorsams / oder der Gehorsammen. Aber es gibt auch hin und wieder noch andere Sonnen-Blumen /oder Sonnen-Wend / welche nicht in den Gärten / als wie die natürliche Blumen / sondern an den Höfen der grossen Fürsten / und Herren wachsen.41 Solche politische Sonnen-Blumen / das ist / die Augen-Diener /Schmeichler / und Hof-Katzen richten und wenden sich jederzeit nach dem Lauff ihrer Sonnen / ich will sagen / nach dem Willen / und Wohlgefallen ihres Herren / und Principals / nicht nur bey dem Tag / und schönen Wetter / das ist / nicht nur in billigen Sachen / und Begehren / wann sich ihr Principal / oder Patron inner den Schrancken / der Gebühr und Gerechtigkeit haltet / sondern auch bey der Nacht und trüben Wetter / das ist / wann er wider alle Recht / und Billigkeit handlet: da folgen sie ihme gleich wohl nach /und accommodiren sich durch Beyfall / und Gutheissung seines schlimmen Vorhabens etc. Diese politische Sonnen-Blumen erforderen einen guten fetten Grund / das ist / ein guten Dienst / oder einträgliche Beambtung / sie wollen auch offt als wie die Sonnen-Blumen begossen werden nicht mit Wasser /[662] sondern mit reichlichen Gaben / und Schanckungen sie schauen nur immerdar ihr Sonnen an / und wünschen nichts mehr / als hinwiederum von ihrer Sonnen / ihrem Fürsten und Herren in Gnaden angesehen zu werden: in diesem bestehet all ihr zeitliches Glück / und Zufriedenheit.

Wann sie dieses haben so wachsen sie geschwind /und hoch auf: ja also hoch / daß sie die andere niedere und kleinere Blumen / das ist / die geringere Beambte weit übersteigen / oder übersehen / und also überschatten / daß die Sonn / der Fürst / oder regierende Herr / dieselbe in Gnaden nicht mehr anscheinet. Aber wann die Sonn untergehet / oder ein starcke Finsternuß leidet: ich will sagen / wann ihr Herr / und Patron unglücklich ist / und in das Abnehmen gerathet /also daß er sie nichts mehr nutzen / und helffen kan /da werden sich diese interessirte / oder eigennutzige politische Sonnen-Blumen / verstehe / die Augen-Diener / Schmeichler / und Hof-Katzen / nicht mehr nach der Sonnen (das ist / ihrem gewesten Herren / und Patronen) sondern sie kehren ihm den Rucken / und suchen einen anderen Herren / der ihnen anständiger ist.

Est amicus secundùm, & non permanebit in die tribulationis suæ.42 Sie seynd Freund / und Diener nur auf ein Zeit / so lang es ihnen taugt / und wohlerget. Zur Zeit der Trübsal aber gehen sie zuruck / sie kinden den Dienst / und die Freundschaft auf. etc.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 660-663.
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