Salem und Sulamith

[202] Heiliges Liebeslied.


1782.


Sulamith.


Dich lieb' ich, mein Salem, dich lieb' ich vor allen.

Was könnte, was möchte wol sonst mir gefallen!

Dich hab' ich. Dich halt' ich. Dich will ich umfassen,

Will fest dich umschlingen, will nimmer dich lassen.


Salem.


Geliebte, du wähnest, mich könnte nichts trüben,

Drum magst du wol herzlich, wol innig mich lieben.

Doch wenn sich der Himmel der Liebe mal trübte,

Wie stünd' es um's Lieben, du Inniggeliebte?


[203] Sulamith.


Wol ewiges Leuchten, wol ewige Wonne

Ist, Salem, dein Lieben. Doch hülle die Sonne

Der Liebe in Wolken. Laß stürmen und wehen.

Ich werde – wie leichtlich! – die Probe bestehen.


Salem.


Geliebte, mein Lieben bringt köstliche Gaben.

Ach, magst wol so lieb um die Gaben mich haben.

Doch wenn ich die Gaben dir künftig verhielte –

Wer weiß, ob die brünstige Liebe nicht kühlte!


Sulamith.


Ich liebe den Geber, ich liebe die Gaben.

Doch sollt' ich den Geber nicht lieber noch haben?

Laß fahren die Gaben! Laß schwinden die Freuden!

Das wird mich von dir, mein Erwählter, nicht scheiden.


Salem.


Doch wenn ich in's Dunkel der Armuth dich stieße,

Und darben und zappeln und zagen dich ließe,[204]

Nicht hörte dein Rufen, nicht hörte dein Schreien,

Dann würdest du wol dein Lieben bereuen!


Sulamith.


Mein Salem, mein Heiland, so kannst du nicht wähnen.

Bist du nicht mein Seufzen, mein Schmachten und Sehnen?

Was frag' ich nach eiteln vergänglichen Schätzen?

Bleibst du mir, mein Reichthum, mein Seelenergetzen!


Salem.


Doch wenn ich – erwäg' es, – beherz' es, o Seele –

Sprich, wenn ich der Ehre helle Juwele

Dir raubte, dich stürzte in Schmach und in Schande,

Dann rissen wol, Freundinn, die zärtlichen Bande?


Sulamith.


Laß dräuen Verachtung und Schmähung und Schande!

Das reißt nicht die zärtlichen ewigen Bande.[205]

Was acht' ich's, ob Menschen mich schmähen und höhnen,

Wenn Myrten der himmlischen Liebe mich krönen?


Salem.


Ich glaub' es. Ich weiß es. Ich kenne dein Lieben.

Auch werd' ich so schmerzlich dich schwerlich betrüben.

Doch wenn ich, damit sich die Liebe bewährte,

Mit Ketten und gräßlichem Kerker dich schwerte,


Wo nimmer das dumpfige Dunkel verwallte,

Wo nimmer ein tröstendes Lächeln dir hallte,

Wo Schlangen und schwellende Nattern verweilten,

Und Eulen aus ängstlichem Schlummer dich heulten? –


Sulamith.


O Salem, mein Salem, o würd' ich erfunden

So würdig, zu tragen in Kerker und Wunden

Die Ketten der Liebe, wie würd' ich sie küssen,

Und dichter an dich, mein Geliebter, mich schließen!


[206] Salem.


Doch wenn dir die Liebe nur Martern erweckte,

Und Tod mit hellfunkelnder Sichel dich schreckte –

Wie stünd' es, Geliebte, im Todesverzagen?

Dann würdest du wol dem Geliebten entsagen!


Sulamith.


O Salem, mein Salem, das kannst du nicht wähnen.

Du kennest, du weißest mein inniges Sehnen.

Ach! würd' ich gewürdigt, so selig zu sterben,

Wie würd' ich die Palme mir jauchzend erwerben!


Ich würde mich fest um den Bräutigam schmiegen,

Und mächtig die Schrecken des Dräuers besiegen.

Ich würde nicht wanken vom Lieben und Glauben,

Wer wollte mein Leben, mein Lieben mir rauben?


Salem.


Ich weiß es. Ich glaub' es. Ich kenne dein Lieben.

Auch werd' ich so schmerzlich dich schwerlich betrüben –[207]

Doch wenn ich den Honig der Liebe dir gällte,

Den Rücken dir kehrte und fremde mich stellte,


Dann würden dich höhnen die jauchzenden Rotten.

Sie würden mit giftigem Lachen dein spotten.

Du würdest wol Anfangs dich härmen und grämen,

Bald aber des wankenden Liebsten dich schämen.


Sulamith.


O Salem, mein Salem, du kannst nicht betrüben!

Das wüßt' ich – drum würd' ich nicht müde, zu lieben.

Ich würde dir folgen mit Seufzen und Sehnen.

Ich würde dich flehen mit blutigen Thränen.


Salem.


Doch wenn ich nun weinen und flehen dich ließe,

Und zornig hinab zu der Hölle dich stieße,

Dann würdest du denken: Er hat mich verlassen!

Und drunten mit wüthigem Hasse mich hassen!


[208] Sulamith.


O Salem, mein Salem, das kannst du nicht wollen.

O Wehe! zur Hölle mich stoßen zu wollen!

Wie könnte mein Salem sein theures Versprechen,

Den Eid der Verlobung der Liebenden brechen!


Salem.


Wer hat dir gelobet? Wer hat dich geliebet?

Verworfne, die stündlich mich bitter betrübet!

Ich liebe die Reinen. Ich segne die Frommen.

Doch Bosheit darf nicht vor mein Angesicht kommen.


Sulamith.


Ist's möglich – mein Salem – ach! kannst du ergrimmen?

Wie beb' ich, wie zittr' ich der zürnenden Stimmen!

Sieh her, mein Geliebter, mein Kleid ist gewaschen.

Es ist ja im Blut der Versöhnung gewaschen.


Wer ist es, wes Blut hat der Liebe geflutet?

Wer hat mir Versöhnung und Frieden erblutet?[209]

Wer gab sein Verdienst mir zur bräutlichen Seide?

Sein heiliges Leben zum Hochzeitgeschmeide?


Mein Salem, mein Retter, du kannst mich nicht hassen,

Dich hab' ich. Dich halt' ich. Dich will ich umfassen.

Ach sieh! wie ich ring' im Glauben und Lieben.

Ach! kannst du, ach! willst du im Ernst mich betrüben? –


Salem.


Ich kann nicht. Ich will nicht. Es ist dir gelungen,

Unsterbliche Seele, du hast mich bezwungen.

Ich liebe dich ewig. Ich will dich nicht lassen,

Komm, Theuererrungne, komm, laß dich umfassen!


Sulamith.


O Wonne, du Starke! O Liebe, du Süße!

Mich brennen, mich schmelzen die brünstigen Küsse!

Wie beb' ich! Wie fühl' ich die schlagenden Wellen

Den seligkeitflutenden Busen mir schwellen!


[210] Salem.


Sey treu, du Geliebte, sey treu bis an's Ende,

Bis daß ich den rufenden Boten dir sende.

Dann eil' und entreiß dich dem irdischen Harme,

Und wirf dich in meine heißharrenden Arme.


Dann sollst du von Antlitz zu Antlitz mich schauen.

Dann will ich dich ganz mir und ewig vertrauen.

Dann will ich dich kleiden in bräutliche Seide,

Dich schmücken mit festlichem Hochzeitgeschmeide.


Dann soll die Myrthe des Bundes dich kränzen,

Der Ring der Vertrauung am Finger dir glänzen;

Dann will ich den Kuß der Verlobung dir küssen,

Und Braut und Vermählte und Gattinn dich grüßen.


Sulamith.


Ach Retter, ach eil' und entreiß mich dem Harme

Der langen Verbannung mit mächtigem Arme. –

Mich lüstet, dein seliges Antlitz zu schauen,

Und ganz mich und ewig dir anzuvertrauen.
[211]

Ach! eil' und entreiß mich dem nichtigen Tande.

Mich lasten, mich pressen die ängstenden Bande.

Mich dürstet, mich inniger an dich zu schmiegen,

Und wonneberauscht dir am Busen zu liegen.


Ich liebe dich ewig. Ich will dich nicht lassen,

Will täglich und stündlich dich dichter umfassen.

Ach! eil' und entreiß mich dem schmachtenden Harme,

Und nimm mich in deine heißharrenden Arme.


Quelle:
Ludwig Gotthard Kosegarten: Dichtungen. Band 6, Greifswald 1824, S. 202-212.
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Gedichte
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