Vierte Scene.


[179] Frau von Berg und Karl1 von der andern Seite.


FRAU VON BERG. Noch einmal drücke ich dich an mein mütterliches Herz! Sie umarmt ihn. Gott sei Dank, daß ich dich wieder habe! Dich, meine Hoffnung, meinen Stolz, mein Alles! – Bist du noch, der du warst? der gute, fromme, herzliche Mensch? – O ja, du wirst es sein! Magst du doch viel oder wenig gelernt haben; die bekümmerte Mutter möchte dich lieber fromm als gelehrt wieder sehen. Tugendhaft gingst du von mir, tugendhaft kehrst du in meine Arme zurück, nicht wahr?[179]

KARL. Liebe Mutter, es gibt keine andere Tugend als Konsequenz2.

MUTTER. Wie? so könnte ja auch der ärgste Bösewicht tugendhaft sein?

KARL. Wenn er konsequent handelt –

MUTTER. O weh! was ist das! Karl, du hast doch noch Religion?

KARL. Die Religion ist meistens nur ein Supplement oder gar ein Surrogat der Bildung3

MUTTER. Nichts weiter?

KARL. Nichts ist religiös im strengen Sinne, was nicht ein Produkt der Freiheit ist4.

MUTTER. Ich kann darüber mit dir nicht streiten, auch begehre ich nur Beruhigung. Man hat mir so manches von den jetzigen Modesistemen erzählt. Sie legt ihre Hand auf seine Schulter und spricht ängstlich. Karl! du glaubst doch an Gott?

KARL. Ich selbst bin Gott.

MUTTER. Weh' mir! er ist geworden wie der arme Wenzel in Sondershausen!

KARL. Jeder gute Mensch wird immer mehr und mehr Gott. Gott werden, Mensch sein, sich bilden, sind Ausdrücke, die Einerlei bedeuten5.[180]

MUTTER. Was ist das! Ich fürchte, er möchte gar keinen Gott glauben, und er glaubt deren Millionen!

KARL. Wenn jedes unendliche Individuum Gott ist, so gibt's so viele Götter, als Ideale6.

MUTTER. Hin ist sein Christenthum!

KARL. Das wissenschaftliche Ideal des Christianismus ist eine Charakteristik der Gottheit mit unendlich vielen Variationen7.

MUTTER. Sprichst du von einem Rondo?

KARL. Gott ist nicht blos ein Gedan ke, sondern zugleich auch eine Sache, wie alle Gedanken, die nicht bloße Einbildungen sind8.

MUTTER. Sprich, welche Religion hast du denn eigentlich?

KARL. Es ist ein sehr natürlicher, ja fast unvermeidlicher Wunsch, alle Gattungen der Religion in sich vereinigen zu wollen9.

MUTTER. Alle? –

KARL. Alle.

MUTTER. Ach! ich kann dir nicht antworten. Aber ich bitte dich, rede mit unserm Pfarrer, er ist ein wackerer, vernünftiger Mann –

KARL. Ich mag nicht. Die Religion ist schlechthin groß wie die Natur. Der vortrefflichste Priester hat doch nur ein Stück davon10.[181]

MUTTER. Ich versichere dich, er hat sie ganz.

KARL. Ueber dies bin ich selbst Priester.

MUTTER erstaunt. Zugleich Gott und Priester?

KARL. Das Verhältniß des wahren Künstlers und des wahren Menschen zu seinen Idealen ist durchaus Religion. Wem dieser innere Gottesdienst Ziel und Geschäft des ganzen Lebens ist, der ist Priester, und folglich bin ich auch Priester11.

MUTTER. Sohn! Sohn! was soll aus dir werden in dieser und jener Welt!

KARL. Bei den Neuern redet man immer von dieser und jener Welt, als ob es mehr als eine Welt gebe12.

MUTTER. Weh' dir! du bist in den Stricken des Satans!

KARL. Der Satan ist eine deutsche Erfindung denn der deutsche Satan ist satanischer als der italienische und englische. Er ist ein Favorit deutscher Dichter und Philosophen, er muß also auch wohl sein Gutes haben.

MUTTER. Der Satan sein Gutes?!

KARL. Das gefällt mir nicht in der christlichen Mythologie, daß die Satanisken fehlen.

MUTTER. Ach mein Gott! haben wir denn an Einem Satan noch nicht genug? –

KARL. Mutter, ich bitte Sie, nicht diese Elegien von der heroisch kläglichen Art; es sind die Empfindungen[182] der Jämmerlichkeit bei dem Gedanken der Albernheit von den Verhältnissen der Plattheit zur Tollheit13.

MUTTER. Wohl mir, daß ich deine Schmähungen nicht versehe.

KARL. Sie wollen mich in meiner Bahn aufhalten? Dies ist umsonst. Wer Einmal thöricht oder edel sich bestrebt hat, in den Gang des menschlichen Geistes mit einzugreifen14

MUTTER. Eingreifen? in einen Gang? was heißt das?

KARL. – Der muß mit fort, oder er ist nicht besser daran als ein Hund im Bratenwender, der die Pfoten nicht vorwärts setzen will.

MUTTER. Ach! ich bitte dich, setze die Pfoten rückwärts! Deine hohe Geistesverwirrung kann dich einst zu Verzweiflung und Selbstmord führen!

KARL. Der Selbstmord ist nur eine Begebenheit, selten eine Handlung15.

MUTTER. O! es wäre für mich eine schreckliche Begebenheit!

KARL. Ist es eine Handlung, so kann vom Recht gar nicht die Rede sein, sondern nur von der Schicklichkeit.

MUTTER. Es ist weder recht noch schicklich.

KARL. Sie irren. Es ist nie unrecht, freiwillig[183] zu sterben, aber oft unanständig länger zu leben.

MUTTER. Was muß ich hören! weh' mir! wie bitter hat meine Hoffnung mich getäuscht!

KARL. Getrost, Mutter, Sie werden bald selbst denken wie ich.

MUTTER mit Abscheu. Nimmermehr!

KARL. Sie meinen vielleicht wie Rousseau: daß irgend eine gute und schöne16 Freigeisterei den Frauen weniger zieme als den Männern?

MUTTER. Weder euch noch uns.

KARL. Aber das ist nur Eine von Rousseaus unendlich vielen, allgemein geltenten Plattheiten17.

MUTTER. Alberner Mensch! es ist unverschämt so von Rousseau zu sprechen. Aber großer Gott! möchtest du doch blos unverschämt sein! – Ich verlasse dich tief gebeugt. Ich bin nur ein Weib, und kann dir nichts entgegen setzen, als mein Gefühl. Dein Oheim ist ein Mann, er mag männlich mit dir sprechen. Ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Theater. Leipzig und Wien 1840, S. 179-184.
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