Dritter Auftritt


[44] Gräfin und Baron im Gespräch aus der Seitentür tretend.


GRÄFIN. Nein, nein, Herr Stallmeister, Sie sind nicht recht im klaren. Erst nachdem Ödipus König von[44] Thebä geworden, vermählte er sich mit Jokaste, der Tochter des Menökeus.

BARON. Sie mögen recht haben, Frau Gräfin. Doch entschuldigen Sie mich, wenn ich Sie jetzt verlasse, eine plötzliche Migräne verhindert mich, klar zu denken.

GRÄFIN. Ei, ei, Herr Stallmeister, gestehen Sie vielmehr, daß Sie heute für die hehre Sage des griechischen Altertums ganz unempfänglich sind.

BARON. Sie tun mir unrecht, Frau Gräfin; wer bei Ihrem seelenvollen Vortrage nicht davon begeistert würde, müßte geistig und körperlich krank sein, und beides –

GRÄFIN. Scheint bei Ihnen der Fall zu sein. Nun, mein geistig und körperlich kranker Herr Stallmeister, welch hartes Schicksal ruht denn auf Ihnen? Wurden Sie, ein zweiter Polyneikes, von den Ihrigen verstoßen, oder sind Sie ein trostloser Hämon, den Verlust der verbundenen Braut beklagend?

BARON für sich. Meine Frau Schwester setzt mir Daumschrauben an; ich kann ihr doch unmöglich sagen, daß ich mich in ein Bauernmädchen verliebt habe.

GRÄFIN. Sie schweigen? Hab' ich's erraten?

BARON. Schöne Gräfin, Sie martern mich. So hören Sie denn ein Geständnis, welches schon lange auf meinen Lippen schwebt.

GRÄFIN beiseite. Was werde ich hören?

BARON. Nach manchen Stürmen des Lebens glaubte ich hier endlich unter edlen Menschen eine Freistatt gefunden zu haben – zu meinem Unglück fand ich nicht bloß Edelmut – auch die höchste Liebenswürdigkeit.

GRÄFIN. Herr Stallmeister, Sie vergessen –

BARON. Sie haben recht, ich bin strafbar und möchte mich, gleich dem Ödip, selbst des Augenlichts berauben, um mein Verbrechen zu büßen; darum vergönnen Sie mir, daß ich sofort mich aus Ihrem Hause entferne.

GRÄFIN für sich. Der junge Mann spricht gut! Laut. Herr Stallmeister, ich sollte Ihnen zürnen, doch – »vernehm' es Zeus, der stets Allsehende« – ich bin kein König Laïos, Sie dem Verderben preiszugeben.

BARON. Wie? Sie verzeihen?[45]

GRÄFIN. Ihre Leidenschaft ist eine Schwäche, und ich habe kein Gedächtnis für Schwächen; fragen Sie den delphischen Apollo – Ihren Verstand – er wird Ihnen das Rechte sagen, aber – bleiben Sie.

BARON. O Gräfin, was muten Sie mir zu? Ich bin nur ein schwacher Mensch.

GRÄFIN rezitierend. »Vieles Gewaltige lebt, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch –« Sie sind ein Mann von Erziehung; ich weiß das zu schätzen, und darum habe ich Sie ausgezeichnet. Sie mögen bleiben – »nicht mitzuhassen pfleg' ich, mitzulieben nur«.


Reicht ihm die Hand zum Kuß.


BARON schnell. Mitzulieben?

GRÄFIN. So sagt Antigone. Sie sollen bleiben.

BARON küßt ihr die Hand. O himmlische Güte! Wohlan, ich will versuchen, den Kampf zu bestehen, aber ich werde unterliegen.


Nr. 8. Duett und Kavatine


BARON.

Bleiben soll ich und stets sie sehen,

Für die mein liebend Herz erglüht!

Werd' ich vor Schmerzen nicht vergehen,

Wenn keine Hoffnung mir erblüht?

Bei Gott, viel lieber stürzte ich,

Gleich jener Sphinx, vom Felsen mich.

GRÄFIN beiseite.

Oh, er spricht gut, oh, er spricht gut!

Doch wenn mein Gemahl es hörte,

Drohte sicher ihm Gefahr!

BARON beiseite.

Das Gesicht nur will ich sehen,

Wenn es später ihr wird klar,

Daß, der schmachtend sie verehrte,

Ihr leibhafter Bruder war!

GRÄFIN.

Oh, er spricht gut, sehr gut, sehr gut!

BARON zu ihr.

Schweigen soll ich, wenn bittre Leiden

Mir trüben den sonst heitern Blick,

Wenn dieses Lebens schönste Freuden

Sich wenden scheu von mir zurück!

Wenn diese Brust preßt süßes Weh,

Wie Hämon um Antigone?[46]

BARONIN hinter der Szene.

Auf dem Lande will ich bleiben,

Auf dem Lande ist's so schön!

GRÄFIN beiseite.

Oh, er spricht gut, sehr gut!

BARON beiseite.

Was ist das?


Stutzt und horcht auf.


Welche Stimme!

BARONIN.

Auf dem Lande will ich bleiben!

BARON.

's ist der nämliche Gesang,

Der von jenen schönen Lippen

Mächtig mir zum Herzen drang!


Laut.


Mich faßt der Schmerz, ich kann's nicht tragen,

In ihrer Näh' nicht ferner sein;

Den Abendlüften will ich klagen

Meines Herzens herbe Pein.

Ich kann's nicht tragen!

BARONIN.

Auf dem Lande ist's so schön!

BARON nach dem Fenster lauschend.

Aus dem Parke erklingen liebliche Töne,

Ja, sie ist es selbst, die ländliche Schöne!

Ich will sie sehen, ihr Liebe gestehen,

In Wonne vergehen und seliger Lust,

Wenn mir es gelinget, ihr Herz zu gewinnen!

Sie ist meiner wert, ich täusche mich nicht,

Nein, nein! Ich werde glücklich sein!


Sich plötzlich wieder zur Gräfin wendend, die ihn erstaunt betrachtet.


Ja, den Lüften will ich klagen

Meines Busens herbe Pein.

BARONIN.

Auf dem Lande ist's so schön!

BARON.

Aus dem Park erklingen die lieblichen Töne, usw.


Zur Gräfin.


Ach, ach!


Beiseite.


Ich werde glücklich sein.


Stürzt ab.
[47]


Quelle:
Albert Lortzing: Der Wildschütz oder Die Stimme der Natur. Nach Kotzebue frei bearbeitet, Stuttgart 1969, S. 44-48.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

Cherubinischer Wandersmann

Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«

242 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon