Der 6. (36.) Kühlpsalm

[133] In neulodernden flammen um Weisheit nach des erleuchteten Arnds in feurigen Ofen durch Wunder zweimahl bewähreten Worten, di er zwar längst zu Breslaw heimlichst von erster kindheit an Morgens, Mittags, Abends bis 1674 danielisiret; di doch offentlich vor aller Welt erhöhret; ausgedrungen, zur Gottesehre und Nachzeitlehre im Patmischem Smyrne, den 17 Octob. 1678.


1.

Allweiser Gott! O unvergänglich Wesen!

Ach ewiger! unsichtbahrer gestalt!

Herr Jesu Christ! du Weisheit Grundgenesen!

O Himmelrath! des Vatern Allgewalt!

Gott heilger Geist! du Gottes Weisheitbronnen!

Daraus Verstand sibeinig hergeronnen.


2.

Ach ich bekenn, ich klage Gott, von hertzen,

Das Blindheit mir und Thorheit anerzeugt!

Dein guttes wil von mir nur immer stertzen!

Der Weisheit bin ich gäntzlich ungeneigt.

Vom fleische wird, was fleisch ist, nur erhaben:

Drum such ich auch, nach dem Weltkinder draben.


3.

Ach Vater ach! Vergib di grobe sünde!

O straffe nicht nach Ross und Mäulerart!

Ich schäme mich, wann ich in mir dis gründe!

Vergib, vergib um Jesus lebensfahrt!

Du hast, mein Gott, an denen blos gefallen,

Aus denen kan di Weisheit widerschallen.
[133]

4.

Ach führe, Herr, mich auf dem Weisheitwege!

Du, Vater, bist, der du di Weisen führst!

In deiner Macht sind wir und unsre stege!

Du bist, der du di Red aus uns regirst.

Von dir fleust Kunst in allerlei geschäfften:

Und kluger Witz mit heiliglichten kräfften.


5.

Jehovah, las di Weisheit mich belehren,

Di du gemacht zur Künste Meisterinn!

Gib, das ich mag den Weisheitgeist anhöhren,

Dem heilikeit und di verständnis inn!

Der einig, doch vilfältig sonder ende:

Das schärffste scharff, behendigste behende.


6.

Der ist, von dem Beredenheit geflossen!

Der rein, der klar, sanfft, freundlich, ernstig frey!

Der wolthat hat leutseelig ausgegossen!

Der fest, gewis, gantzsicher, ohne reu!

Der Heilge sucht, und machet selbst Propheten!

Befreundt mit Gott, und tödt des Todes tödten!


7.

Las, Vater, mir di Weisheit sein vermählet!

Gib dise, gib zur hertzgelibten Braut!

Si ist mein Lib, dem keine schöne fehlet!

Auf di mein Aug in reinster flamme schaut!

Si führt von dir, mein Gott, geschlechtesadel!

Wi wäre nicht ihr glantz ohn allen tadel?


8.

Si hausst mit Gott, von Gott stets libgeküsset!

Was heimlich ist, wird nur von ihr erkand.

Si ists, di erst di Gottsgeschöpff abmisset!

Ihr Arbeit ist ein eitel Tugendbrand.

Si weiset zucht, Gerechtikeit und stärke,

Und werkt mit Gott di höchsten Gotteswerke!


9.

Si tröstet uns in traurikeit und sorgen!

Ein Jüngling wird, den Weisheit einst bekrönt,

Verherrlichet im erster Jahre Morgen,

Mit ruhm beim volk und Alterthum beschönt.[134]

Si machet leicht unsterblich unsre nahmen,

Das wir nach uns mit allen Jahren kamen.


10.

Gott Tsebaoth! mein Vater! Herr der Gütte!

Der du dis alls geschaffen durch dein wort!

Du hast geformt durch weisheit das gemütte,

Und unterthan dem Menschen allen Ort,

Das er den Rund beherrschte mit gesätzen,

Di recht und schlecht und dich durchausergetzen.


11.

Gib, weisheit, gib di stets bei deinen thronen!

Ach ich bin schwach! mein witz ist meist gesenkt!

Kurtz ist di zeit, di wir im leben wohnen.

Der geltet nichts, den nicht di weisheit tränkt:

Di weisheit, di vor dir, Dreieinger, blitzet,

Und nebenst dir höchstmajestätisch sitzet.


12.

Ach sende si aus deinem heilgem Himmel!

Aus deinem stuhl hauptgrosser Majestät!

Ach sende si zu mir ins Erdgewimmel!

Si helfe mir, nach welcher ich gefleht!

Arbeite mit, und meistre alle sachen!

Si weise mir, was dir gefällt zumachen.


13.

Si kennet Alls, von Gott durch Gott verstanden:

Drum mässige si, Vater, stets mein thun.

Ihr Heilikeit bewahre mich für schanden:

So wirstdu recht, Jehovah, bei mir ruhn.

Dann wird dein Volk nach deinem will gerichtet,

Weil mich dein Rath in allem überlichtet.


14.

Kein sterblicher kan Gottes Rathschlag lernen.

Wer denkt, wi Gott? wer weist, was Gott doch wil?

Es wollen Uns gedanken mislich fernen:

Ihr anschläg, Ach, verfährlichen das Zil.

Di Seele wird vom irrdschem Leib beärkert:

Der witz zerstreut, Vernunfft recht eingekerkert.


15.

Wir treffen kaum, was nah bei Uns auf Erden!

Erfinden schwer, was allem vor dem fus.[135]

Wi wollen wir im forschen himmlisch werden?

Wem ist bewust doch Gottes Rath und Schlus?

Es sei, das du, Jehovah, weisheit gebest,

Und Uns aus dir mit deinem Geist umschwebest.


16.

Hertzlibster Gott! Mein Vater! Ach erbarme!

Das ich zu dir des hertzens hertze wend!

In dir zu dir, eh ich anfah, erwarme!

Um dich durch dich anfange, mittel, end!

Das ich erforsch in allem dich durch beten,

Eh ich erwehl, O Gott, zur sach zutreten!


17.

Das andrer Rath ich höhr und nicht verachte!

In meinem Ruf, den du mir gabest, geh!

Das ich nach ihm, wi es dein wille, trachte,

Nicht ausser dem in etwas anderm steh!

Das ich nur mich in dir alleine weide!

Di zeit und Ort und alles unterscheide!


18.

Lehr, Vater, mich auch aller Geister proben!

Des Raths urtheil in klarem unterschid!

Das ich entflih Ach! allem Höllentoben,

Dem Irrthumsnetz, und habe deinen frid!

Das ich gedenk in dir aus dir, was künfftig,

Was weg und da, und handle Gottvernünfftig!


19.

Das ich dich fürcht in allem voller libe,

Weil deine furcht der weisheit anfang heist!

Das ich nicht hab auf eitel Ehre tribe,

Und suche stets, was recht und gutt gepreist!

Das ich ni Licht und finsternis vermenge:

Nur ewigst folg in Gottes Libgepränge!


20.

Jehovah, höhr, was neu vor dir ausdringet,

Weil du nur libst, der in der weisheit bleibt!

Jehovah, gib, der dir dis Opffer bringet,

Das weisheit ihm unendlich neubekleibt!

Jehovah, las dein weisheitoffenbahren

In mir durch dich den gantzen Kreis erfahren!

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 1 (Buch 1–4), Tübingen 1971, S. 133-136.
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