19. Der Nåberskrooch.
Mündlich.

[21] An der nördlichsten Spitze des Drömling, der noch vor hundert Jahren ein so dichtes und unwegsames Elsbruch war, daß man ihn meistens nur im Sommer durchschreiten konnte, liegt ein Dorf, welches Neu-Ferchau heißt, von den Leuten der ganzen umliegenden Gegend aber Nåberskrooch genannt wird. Warum es diesen zweiten Namen erhalten, weiß man nicht mehr recht, allein es werden doch verschiedene Gründe dafür angegeben.

Einige erzählen so: Vor Zeiten war das Dorf Neu-Ferchau noch nicht so groß wie jetzt, und erstreckte sich etwa auf die halbe Länge, da baute sich nur in ganz geringer Entfernung davon ein Krüger an, der hieß Nåber, und danach nannte man seinen Krug Nåberskrooch; allmählig erweiterte sich nun das Dorf bis zu diesem Orte, und seitdem hat es jenen Namen erhalten.[21] Daß aber der Krüger wirklich Nåber geheißen, kann man daraus ersehen, daß ein Mann des Namens noch bis auf den heutigen Tag im Dorfe ist; zwar heißt dieser eigentlich Hannover, allein so schlechthin nennt man ihn doch meistens Nåber. – Andere sagen, der Krüger habe nicht Nåber mit Vatersnamen geheißen, sondern, weil er so dicht beim alten Dorfe gewohnt, habe man ihn gemeinhin den Nåber oder Nachbar genannt, und wenn man zu ihm gehn wollen, gesagt »wi willen nå Nåbers Krooch gån«; daher sei denn der Name entstanden.


Andere erzählen wieder anders: Ein Postbote Namens Nåber nämlich nahm seinen Weg von Gardelegen nach dem Hannöverschen gewöhnlich hier entlang, als das Dorf Neu-Ferchau noch gar nicht da war; nun war dieser ein etwas geiziger Mensch und trank statt Bier lieber Wasser, daher ließ er denn alle Krüge auf seinem Wege links liegen, verweilte jedoch stets bei einer Quelle, die an der Stelle lag, wo später das Dorf gebaut wurde, und trank sich hier recht satt. Daher ist denn Neu-Ferchau spottweis später Nåberskrooch genannt worden. – Endlich erzählt man, daß die Frachtfuhrleute, die gewöhnlich bei ihrer Reise von Magdeburg nach Hamburg hier eingekehrt seien, dem Dorfe jenen Namen ebenfalls spöttischer Weise gegeben hätten, wie sie überhaupt verschiedenen Orten der Umgegend solche Bezeichnungen beigelegt; so haben sie das Dorf Lubitz, wo sie gewöhnlich die Pferde auszuspannen pflegten, Sorgen, und einen Theil der Straße zwischen N. Ferchau[22] und Quarnebeck den schwarzen Damm genannt, und dergleichen mehr.

Nach diesem Nåberskrooch kommen nun, wie man sich im ganzen westlichen Theile der Altmark erzählt, die Todten, denn hier müssen sie ihren letzten Sechser verzehren, welchen man ihnen zu dem Behuf mit in den Sarg giebt, besonders aber müssen diejenigen, welche im Hans-Jochen-Winkel1 wohnen, nothwendig dahin, und werden nicht eher ins Himmelreich eingelassen, als sie da gewesen sind; darum sagt man auch oft, wenn einer schon lange verstorben ist, »de is all lange in Nåberskrooch«, oder, sobald einer geschieden ist, heißt es, »nu is hee all hen nå Nåberskrooch«, und man erzählt sich zugleich, daß sich die Todten hier einander besuchen.

1

Diesen Spottnamen führt der Theil der Altmark, welcher der Linie von Salzwedel bis zum Drömling westlich liegt, weil die meisten der hier wohnenden Bauern die Vornamen Hans Joachim führen.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 21-23.
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