30. Die Nachzehrer.
Mündlich.

[30] In der Gegend von Diesdorf glauben noch viele Leute an Nachzehrer. Oft geschieht es nämlich, daß, wenn sich erst ein Todesfall in einer Familie ereignet hat, bald mehrere Glieder derselben nachsterben. Das kommt denn daher, daß man jenem ersten Todten nicht den Zehrpfennig in den Mund gegeben oder seinen Namen nicht aus dem Hemd geschnitten oder dem ähnliche andere Versehen gemacht hat. So geschah es auch einmal, daß viele Leute aus einer Familie schnell hintereinander starben; da entschloß man sich denn den, welcher zuerst gestorben und offenbar der Nachzehrer war, auszugraben. Man fand nun, daß er bereits all seine Kleider aufgezehrt hatte, und weil es kein anderes Mittel gegen das Nachzehren giebt, als dem Todten das Genick abzustechen, trat der Muthigste hinzu, nahm einen Spaten und that es. Da hat man deutlich gehört, daß der Nachzehrer noch ordentlich wie ein kleines Ferkel gequiekt hat.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 30.
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