79. Der Hut und der Hirsch auf dem Klostersee.
Mündlich.

[79] Nördlich von Lehnin liegt ein See, welcher der Klostersee heißt; auf dem ist es nicht recht geheuer, denn wenn die Fischer dort fahren, so hält der Kahn nie graden Strich, sondern schwankt stets hin und her, so daß sie nur ungern dort fischen. Zuweilen zeigt sich auch Mittags auf demselben ein Hut, der mit einer Kette am Grunde des Sees befestigt ist, und sobald er erscheint, muß immer bald darauf einer im See ertrinken. Auch hat es noch die eigenthümliche Bewandniß damit, daß, wer ihn einmal erblickt hat, sich gewöhnlich unwiderstehlich gedrungen fühlt, ihn herauszuziehen, aber noch keiner, der es wirklich versucht hat, ist mit dem Leben davon gekommen. So war auch einmal ein Fischer im Orte, der hieß Lietzmann, und sah einst, als er seine Netze warf, den Hut; sogleich riß es ihn fort, ihn herauszuziehen, aber die Kette war gar zu schwer, so daß er sich lange vergeblich abmühte; endlich ward er unmuthig und begann zu fluchen; da erhob sich augenblicklich ein fürchterliches Unwetter, der Kahn schlug um und der Fischer ertrank.

Zur Winterzeit, wenn der See zugefroren ist, erblickt man oft auf demselben statt des Hutes einen Hirsch; das geschah auch einmal, und wie er mitten auf dem Eise war, brach es und das Thier konnte nicht wieder herauskommen; das sahen nun Leute, die am Ufer beschäftigt[80] waren, und wollten sich der unverhofften Beute bemächtigen, sie eilten schnell an die Stelle, wo der Hirsch eingebrochen war, aber als sie dahin kamen, war durchaus nichts mehr zu sehen, und sie flohen daher eiligst, denn nun war es ihnen klar, daß Alles nur ein Blendwerk gewesen und der See wieder sein Opfer verlange, was er sich denn auch bald geholt hat.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 79-81.
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