91. Die Schatzgräber.
Mündlich.

[93] Jetzt sind es fast dreihundert Jahre her, da wollte einer den Schatz im Golm heben, und da derselbe sehr tief liegt, so baute er zu dem Zweck über dem Schatzloche ein starkes Gerüst, das er mit Winden und allem Nöthigen versah, um ihn sicher und schnell heraufzubringen. Als das geschehen war, ging er ans Werk, wozu er nur noch wenige Mithelfer annahm, und fing nun an seine Beschwörungen zu sprechen; darauf wurden die Winden gedreht, und man bemerkte auch bald, daß die Stricke immer straffer und die daran befindliche Last so schwer wurde, daß sich die starken Balken des Gerüstes wie leichte Ruthen bogen. Da sah es endlich aus, als werde sogleich das ganze Gebälk zusammenbrechen und einer der Begleiter rief in seiner Angst: »Herr, das Gerüst bricht!« Aber im selben Augenblick ist auch der Schatz mit großem Schall wieder hinabgesunken, und der Meister hat nun gesagt, daß jetzt erst nach dreihundert Jahren einer den Schatz wieder heben könne, und zwar müsse es einer sein, der bucklig geboren ist; bis zu dieser Zeit sind es ungefähr noch dreißig Jahre.


Vor nicht langen Jahren wohnte auch auf der Pechhütte am Fuß des Golm ein Mann, Namens Sieke, der den Schatz beinah gewonnen hätte, wenn er den[94] Schlaf hätte überwinden können. Es kam nämlich einmal ein alter blinder Mann zu ihm, der ihm bald seine Macht über die Geister bewies, weshalb Sieke einen Bund mit ihm schloß, um den Schatz zu heben, und ihn, damit er seine Vorbereitungen treffen könne, mit dem nöthigen Gelde versah. Allein es währte etwas lange mit dem Schatze und Sieke erhielt immer noch nichts, so daß er bereits in seinem Glauben an die Macht des Zauberers zu wanken anfing, als sich dieselbe eines Tages aufs Glänzendste von Neuem bestätigte.


Der Pferdejunge wollte nämlich eines Abends die Pferde heim treiben, da sah er mitten im Wege einen Kobold in rother Jacke und blauer Mütze sitzen, welcher, als ihm die Pferde nahe kamen, dieselben schlug, lustig in die Hände klatschte und laut auflachte, so daß sie eingeschüchtert hierhin und dorthin auseinander stoben. Das wiederholte sich mehrmals und der Junge sah endlich ein, daß er nichts schaffen könne, ging deshalb nach Hause und sagte seinen Herrn, er möge nur einen andern schicken, denn er könne die Pferde nicht heimtreiben. Da ging denn einer der Knechte hinaus, indem er den Jungen ob seiner Albernheit schalt; der aber sagte ihm, er solle sich's nur versuchen, dann würde er wohl andres Sinnes werden; und es währte auch gar nicht lange, da kehrte, der sich eben noch so weise gedünkt, ebenfalls zurück; so ergings einem dritten und endlich dem Herrn selber. Der Zauberer hatte das Alles mit angehört und ruhig daheim gesessen, bis endlich[95] der Herr zurückkam; nun machte er einige Zeichen, und kaum war das geschehen, so hörte man auch den Kobold schon in der Stube herumhuschen und ihn bald hier bald da laut auflachen, aber sehen konnte ihn niemand. Der Zauberer hing nun einen Sack an der Thürklinke auf, und befahl ihm, da hinein zu kriechen, aber der Kobald wollte nicht gehorchen; nun nahm jener seine große Hetzpeitsche, hieb damit tüchtig in der Stube, namentlich an der Decke, herum, und sogleich vernahm man ein jämmerliches Klaggeschrei, und der Kobold war im Sack gefangen. Da mußte er nun erzählen, woher er stamme, und man erfuhr, daß er einem Bauer in Paplitz diene, von dem er zu diesem Unfug angestiftet sei; auch trage er die Schuld, daß man hier auf dem Hofe schon seit vierzehn Tagen keine Butter bekommen habe, und dergleichen mehr. Da hat ihn denn der Zauberer zur Strafe auf vierzehn Tage in den Backofen jenes Bauern gebannt.


Nun war Sieke's Glauben an die Macht des Zauberers wieder hergestellt und es ging jetzt frisch ans Werk, um den Schatz zu heben. Zu diesem Zwecke war es nöthig, daß Sieke drei Tage und drei Nächte ununterbrochen wachte, das that er denn auch, obgleich's ihm zuweilen schwer ankam, und er hatte am dritten Tage die Freude, daß bereits die Nonnen aus dem Berge erschienen und ihren wunderherrlichen Gesang vor der Thür erklingen ließen. Nun gings rasch vorwärts, die Geister, welche den Schatz bewachten, kamen in die[96] neben der Stube gelegene Kammer und alle Anwesenden hörten deutlich, wie sie die weiten mit Gold gefüllten Mulden in einer großen dort befindlichen Lade ausschütteten. Jetzt bedurfte es nur noch der Bannung des Schatzes, wozu ein Stein nöthig war, der am südlichen Abhang des Golm an einer vom Zauberer genau bezeichneten Stelle lag; den sollte Sieke holen, er ging deshalb auch fort, aber unterwegs überwältigte ihn die Müdigkeit, er setzte sich hin und schlief ein. Erst nach langer Zeit erwachte er, und fürchtend, daß der Zauberer, wenn er nun noch den Stein hole, merken möchte, daß er geschlafen, nahm er einen Stein, der grade bei der Hand lag, und eilte zurück. Allein der Zauberer merkte sogleich den Betrug und nun war Alles vorbei. So liegt denn der Schatz noch im Golm, denn obgleich Sieke noch einmal nach dieser Zeit die Aufforderung bekam, ihn zu heben, so leistete er derselben doch nicht Folge. Es kam nämlich einmal jemand zu ihm, der ihm sagte, er sei am Golm zwei Männern begegnet, die hätten ihn gefragt, ob er Sieke kenne. Auf seine bejahende Antwort hätten sie ihn beauftragt, er solle zu demselben gehen und ihm berichten, daß zwei schwarze Männchen aus dem Berge gekommen wären, die hätten ihnen gesagt, sie wären nun des Bewachens der Schätze müde, Sieke solle kommen und, soviel er auf einem von vier Pferden gezogenen Wagen fortbringen könne, holen. Er hat es aber nicht gethan, da er bereits bei dem ersten Versuche fast zum armen Manne geworden war.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 93-97.
Lizenz:
Kategorien: