99. Die weiße Frau bei Hennickendorf und Sperenberg.
Mündlich.

[104] An einem Berge bei dem Dorfe Hennickendorf unweit Luckenwalde weideten einmal ein Paar Hirten ihre Schafe, da zeigte sich ihnen oben auf demselben eine Frau, halb weiß, halb schwarz, und winkte den einen zu sich heran; als er nun zögernd kam, sagte sie ihm, er solle zu ihr in den Berg kommen und sie erlösen, dafür solle er zur Belohnung alles Gold haben, was darinnen sei, und wenn er jetzt gleich mit hinein käme, so könnte er vorläufig soviel nehmen, als er nur mit[104] beiden Händen fassen könne. Aber das Alles bewegte ihn nicht; da flehte sie nur noch dringender und sagte, wenn er sie nicht erlöse, so würde erst wieder nach hundert Jahren einer geboren, der es thun könne, allein der Schäfer konnte seine Furchtsamkeit nicht überwinden, und so ging denn die Stunde der Erlösung vorüber. Darauf versank die weiße Frau in den Berg, und der Schäfer hörte noch lange, nachdem sich schon der Berg über ihr geschlossen hatte, ihr herzzerreißendes Winseln und Klagen.

Aehnliches hat sich auch auf einem Berge bei Sperenberg zugetragen, wo die weiße Frau ebenfalls einem Schäfer erschienen ist, und ihn vergeblich aufgefordert hat, sie zu erlösen.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 104-105.
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