15. Die schwarze Prinzeßin.

Deilinghofen.

[245] Ein langgedienter Soldat träumt, er werde noch Fürst werden, und das träumt er dreimal nacheinander. Da geht er zum König und bittet um seinen Abschied. Es wird ihm gerathen, bei der Fahne zu bleiben, weil er doch nicht wohl mehr ein anderes Geschäft treiben könne. Als er aber sein Gesuch wiederholt, erhält er[245] den Abschied, Reisegeld und ein Pferd. Er reitet nun in die weite Welt. Nach einer langen Reise kommt er auf eine Wiese, wo er absteigt und sich lagert, um auszuruhen. Zahlreiche Ameisen stören seine Ruhe. Eben will er sie zertreten, da erscheint eine ungeheuer große, die Königin, und spricht: »Was machst du in meinem Reviere und warum willst du mein Volk tödten? Wir können dir ja helfen, wenn du in noch so großer Noth bist und nur an uns denkst.« – »Was könntet ihr einfältigen Thiere mir nützen!« erwidert der Soldat, besteigt seinen Gaul und setzt seinen Weg fort. Im Verfolge seiner Reise kommt er auf eine Wiese, wo ein großer Teich ist. Er will sein Pferd tränken, kann es aber nicht vor der Menge Frösche, die den Teich erfüllen. Schon wird er böse und will sie todtschlagen, da erscheint ein ungeheuer großer Frosch, der Froschkönig, und spricht: »Was machst du in meinem Reviere, und warum willst du mein Volk umbringen? Wir können dir ja helfen, wenn du in noch so großer Noth bist und nur an uns denkst.« – »Was könntet ihr einfältigen Geschöpfe mir nützen!« versetzt der Soldat und reitet weiter. Weiterhin kommt er in einen Wald, da will er sein Pferd an einen Baum binden, aber der ist voll Wespen. Schon wird er böse und will sie tödten. Aber es erscheint eine ungeheuer große, die Wespenkönigin, und spricht: »Was machst du in meinem Reviere, und warum willst du mein Volk morden? Wir können dir ja helfen, wenn du in noch so großer Noth bist und nur an uns denkst.« – »Was könntet ihr einfältigen Thiere mir nützen!« antwortet der Soldat, steigt wieder auf und setzt seine Reise fort. Endlich gelangt er an ein großes prächtiges Schloß. Da er viele Ställe bemerkt, so öffnet er einen, um sein Pferd hineinzustellen, aber eine Unzahl von Fledermäusen schwirrt[246] darin umher. »Ach«, denkt er »schlechte Aussichten für mich und mein Pferd; hier scheint alles unbewohnt zu sein!« Bald jedoch ändert er seine Meinung, denn er findet die Krippe mit dem besten Hafer gefüllt. Froh darüber geht er nun mit beßern Hoffnungen ins Haus. Nachdem er eine Reihe leerer Zimmer durchschritten, kommt er in eins, welches mit prächtigen Geräthen versehen ist, und findet darin einen Tisch gedeckt und mit den schönsten Speisen besetzt. Er kostet davon, und da sie ihm schmecken, ißt er sich recht satt. Auf einmal öffnet sich die Thür, und herein tritt eine Dame, an der alles, selbst das Gesicht, pechkohlrabenschwarz war. Sie redet ihn freundlich an und sagt: »Du kannst mich erlösen, wenn du nur willst. Thust du es, so bist du selbst ein glücklicher Mann.« – »Was ist denn dazu erforderlich?« fragt der Soldat. »Drei Nächte«, sagt die Dame, »mußt du im Schloße schlafen und während derselben kein Wort sprechen. Es kann dir nichts geschehen, was dir besondern Schaden thäte.« Der Soldat verspricht es zu thun und legt sich am Abend ruhig zu Bett. Gegen Mitternacht entsteht aber ein starkes Getöse. Es kommen sechs Kerle in sein Zimmer, die geben sich ans Kartenspielen. Bald wird er von einem bemerkt, der ruft: »He, da liegt ja jemand im Bette!« Man fordert ihn auf, mitzuspielen. Da er sich still verhält, ziehen ihn die Kerle aus dem Bette und setzen ihn auf einen Stuhl. Er bleibt aber stumm. »Ha«, sagen sie, »du willst gewiß Fürst werden; das soll dir nicht gerathen!« Sie stoßen ihn tüchtig durcheinander, da schlägt's eins, und sie verschwinden. Er legt sich nun wieder ins Bett und schläft ruhig bis an den Morgen. Am Mittage findet er noch köstlichere Gerichte aufgetragen. Auch die Dame erscheint wieder; sie ist aber weniger schwarz und noch freundlicher gegen ihn[247] als Tags vorher. Am Abend schläft er wieder ein, und es erscheinen um Mitternacht acht Kerle. Sie machen ein noch größeres Gepolter, fangen an zu spielen, bemerken ihn, ziehen ihn aus dem Bette und pflanzen ihn so derb auf den Stuhl, daß er meint, der Stuhl werde zusammenbrechen. Als er hartnäckig schweigt, sagen die Kerle wieder: »Ah, du willst gewiß Fürst werden, das soll dir aber nicht gerathen!« Sie stoßen ihn nun noch ärger durcheinander, bis es wieder eins schlägt und sie fort müßen. Am andern Tage bekommt er noch weit köstlicheres Eßen. Die Dame erscheint wieder, ist noch viel weißer und freundlicher geworden. Sie sagt: »Jetzt hast du noch die schlimmste Nacht. Es kommen zwölf Männer, die es recht toll mit dir treiben werden; aber sei getrost! erheblichen Schaden können auch sie dir nicht thun.« In der folgenden Nacht erscheinen auch die Kerle in der angegebenen Zahl im Schlafzimmer, machen einen Teufelslärm, bemerken ihn im Bette, ziehen ihn heraus und verlangen, er solle mitspielen, aber er sagt kein Sterbenswort. »Ha«, sagen sie wieder, »du willst gewiß Fürst werden; aber das soll dir nicht gerathen.« Sie stoßen ihn nun fürchterlich durcheinander, und als das nicht fruchten will, machen sie einen Backofen heiß und wollen ihn hineinwerfen. Er hat schon die Füße in der Mündung, da schlägt's eins, und sie verschwinden. Am folgenden Tage ist die Dame ganz weiß und in der größten Freude. Sie sagt ihm aber: »Der Böse hat eine große Macht in diesem Schloße. Um mich zu erlösen, hast du noch etwas zu thun; was es aber ist, weiß ich nicht.« Darauf erscheint der Teufel und sagt: »Na, du willst Fürst werden; das soll dir aber wahrlich nicht gerathen! Ich habe noch drei Bünde zu lösen; kannst du das nicht, so drehe ich dir den Hals um. Höre denn! Dort auf[248] der Wiese ist ein großer Teich. Darin liegt der Schlüßel zu diesem Schloße, den mußt du herschaffen.« Der Soldat geht an den Teich, schneidet sich eine Stange und sucht mit derselben lange, aber vergebens. Jetzt, denkt er, ist's verspielt. Da fallen ihm die Frösche ein. »Hättest du die doch«, spricht er zu sich selbst, »die könnten dir helfen.« Sowie er's gedacht, kommt ein ganzes Heer Frösche angehupft. Der Froschkönig fragt: »Womit können wir dir dienen?« Da sagt der Soldat: »Schafft mir den goldenen Schlüßel aus dem Teiche!« Alsbald schickt der Froschkönig seine Leute hinein, und es dauert nicht lange, da bringt einer den Schlüßel. Darauf geht der Soldat ins Schloß und liefert ihn dem Teufel ab. Der aber spricht: »Es soll dir dennoch nicht gerathen, daß du Fürst wirst. Morgen säe ich einen Scheffel Rübsamen auf die Wiese. Da mußt du die Körner wieder zusammenlesen, daß auch nicht ein einziges fehlt. Wo nicht, so drehe ich dir den Hals um.« Er gibt sich Tags, darauf ans Lesen, aber in einer Stunde hat er noch keine Hand voll; denn die Körner waren weit umhergestreut. Da wird ihm bange und er denkt: »Dasmal geräth dir's nicht.« Aber jetzt fallen ihm die Ameisen ein. »Hättest du die doch hier«, sagt er zu sich selbst, »die könnten dir vielleicht aus der Noth helfen.« Sowie er's nur gedacht, sind die Ameisen da. Ihre Königin fragt nach seinem Begehren. Er erzählt, welche Aufgabe er lösen müße. Da schickt die Ameisenkönigin allsogleich ihr Volk auf die Wiese, und bald ist der Scheffel wieder gefüllt. Der Teufel aber sagt: »Es soll dir dennoch nicht glücken, daß du Fürst wirst. Hier stehen zwölf Damen in einer Reihe, da suche die heraus, mit welcher du im Schloße geredet hast.« – »Das ist leicht«, denkt er, und als er sich die erste angesehen hat, glaubt er, die[249] sei es. Aber wie er die zweite ins Auge faßt, meint er, die sei es, und so fort. Er findet, daß alle zwölf Damen, deren jede eine Rose im Munde hatte, sich vollkommen ähnlich sahen. Da wird ihm angst; er fürchtet, die letzte Aufgabe werde sein Untergang. Aber nun fallen ihm die Wespen ein. Sowie er an sie denkt, summt und schwirrt es in der Luft. Die Königin aber fliegt auf jede Rose und bleibt zuletzt auf einer sitzen. Nun weiß er Bescheid. Er geht auf die Dame zu, die diese Rose im Munde trägt, und sagt: »Die ist es!« Jetzt entsteht plötzlich ein fürchterlicher Knall, und das Schloß ist wieder so, wie es einst war, ehe es verwünscht wurde. Die Fledermäuse sind die Dienerschaft; die Ameisen, die Frösche und die Wespen sind verschiedene Klassen der Unterthanen. Er heirathet die erlöste Prinzessin und wird Fürst des Landes.


Vgl. Bechstein's Deutsches Märchenbuch: »Die verzauberte Prinzessin.«

Quelle:
Adalbert Kuhn: Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen und einigen andern, besonders den angrenzenden Gegenden Norddeutschlands 1–2. Band 2, Leipzig 1859, S. 245-250.
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