19. Die drei Fragen.

Mesterscheidt.

[256] Da war einmal ein Schneider, dem die Nadel in den Fingern brannte, wenn er von fremden Ländern erzählen hörte, also daß er sich zuletzt gelüsten ließ, in die weite Welt zu gehen. Er wanderte lange durch vieler Herren Länder und gerieth endlich in einen ungeheuern Wald, allwo er bald Weg und Steg verlor. Schon begann es zu dunkeln, als er, müde auf den Tod und von Hunger gequält, sich niedersetzte und die Reiselust verwünschte, die ihn in diese Noth geführt hatte. Da traf sein Auge plötzlich ein heller Lichtschein, der sich durch die Zweige der Bäume stahl. Das weckte seine Hoffnung und mit ihr die ersterbenden Kräfte; er schleppte sich weiter und dem Lichte zu. Nicht lange dauerte es, da stand er vor einem Gebäude, so groß, wie er noch nie eins gesehen hatte, und bemerkte durch das offene Thor, wie drinnen auf dem Herde ein gewaltiges Feuer loderte. Er trat hinein und fand da niemanden als ein riesenhaftes altes Weib, die beim Spinnrocken saß und spann. Das war des Teufels Großmutter. Wol ward er durch diesen Anblick nicht wenig bestürzt, aber er faßte sich ein Herz und bat um Speise und Herberge für die Nacht. »Ich wollte dir's gewähren, armer Wurm«, sprach die Alte, »aber mein Sohn ist ein grimmiger Menschenfreßer; wenn der heimkehrt, und das kann jeden Augenblick geschehen, so[256] bist du verloren.« – »Das ist freilich bitter«, antwortete der Schneider, »aber es sei drum! Hier oder von den Wölfen des Waldes gefreßen werden, gilt am Ende gleich. Stille nur meinen wüthenden Hunger!« Die Alte gab ihm Speise und versteckte ihn darauf unter ihrem Bette. Nicht lange nachher geschah ein fürchterliches Gepolter, also daß dem Schneider die Haut schauderte. Dann fuhr es durch den Schornstein herunter und eine Riesengestalt wurde sichtbar. Das war der Teufel. Da wollte der Schneider vor Angst vergehen. Aber der Teufel begrüßte seine Großmutter und sagte schnaubend: »Was riecht das hier nach Menschenfleisch!« Und mit dem schnoberte er umher in dem großen Gemache, bis er den Schneider fand und aus seinem Verstecke hervorzog. Der Arme flehte so kläglich um Schonung, daß der Teufel am Ende lachend ausrief: »Nun denn, ich will Dich verschonen, aber unter einer Bedingung. Da du so weit in der Welt umhergezogen bist, wirst du wol gelernt haben, auf drei Fragen, die ich dir vorlegen will, Antwort zu geben. Sieh da die Walfischrippe! sieh hier den großen Stein! sieh dort die Peitsche! Wozu dienen sie mir? Drei Tage hast du Bedenkzeit. Triffst du die Antworten, so sind diese Dinge dein, und du gehst frei aus; triffst du sie nicht, so bist du mein.« Da wandelte nun der Schneider drei trübselige Tage lang unter den Bäumen, welche das Schloß umgaben, und wollte sich schier den Kopf zerbrechen, um die Antworten zu finden. Am Abende des dritten Tags nahte sich ihm ein graues Männlein und fragte theilnehmend, warum er so niedergeschlagen wäre. »Ach! du kannst mir doch nicht helfen«, erwiderte der Schneider. »Wer weiß? laß nur hören, was dich drückt!« versetzte das Männlein. Da erzählt jener, was ihm auferlegt war. Das Männlein aber offenbarte[257] die Antworten und verschwand. Als nun die Frist der drei Tage abgelaufen war, erschien der Teufel wiederum und rief: »Nun, Schneiderlein, bist du mit den Antworten fertig? he!« Da sagte der Schneider, wie's ihm offenbart war: »Die Walfischrippe gebrauchst du als Eßgabel, den großen Stein als Schüßel, und mit der Peitsche schlägst du Geld, weshalb du auch so reich bist.« Das kam dem Teufel unerwartet. Grimmig fuhr er in die Höhe und ließ einen entsetzlichen Gestank nach. Dem Schneider aber gehörten nun diese drei Dinge, deren Gebrauch er angegeben hatte. Gabel und Schüßel mochten für seine winzige Person ein wenig zu schwer sein: er ließ sie an ihrem Orte; aber die Peitsche nahm er von Stund an zu sich und hatte nun Geldes vollauf all sein Leben lang.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen und einigen andern, besonders den angrenzenden Gegenden Norddeutschlands 1–2. Band 2, Leipzig 1859, S. 256-258.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen
Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche: aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen.