23. Wie der Dumme die Prinzeßin erlöst.

[262] Es ist einmal ein Tagelöhner gewesen, der hat drei Söhne gehabt, von denen der jüngste immer schlecht gehalten wurde, da er etwas dumm war. Nun hatte der Mann eine einzige Kuh, welche die beiden Klugen immer hinausführen mußten, daß sie sich an dem dürren Grase, welches an der Landstraße wuchs, satt fräße. Da sagte der Dumme einmal zu seinem Vater, er möge ihn doch auch einmal die Kuh auf die Weide führen laßen, so fett, wie die Brüder, wolle er sie auch wol zurückbringen; die andern beiden lachten ihn zwar aus, aber der Vater sagte: »Wir wollen's doch einmal wenigstens versuchen, dazu wird er ja wol auch noch brauchbar sein.« Am andern Morgen nun erhielt er sein Brot, nahm seine Kuh beim Strick und führte sie hinaus vors Dorf; aber da gab's wenig zu freßen, mehr Disteln als Gras, und das mochte der Kuh wenig behagen, darum zerrte sie ihn an dem Strick immer weiter und weiter nach,[262] und er ließ es sich auch gefallen, denn er dachte, schlechter kann's ja wol nicht werden. So kamen sie endlich an ein großes fließendes Waßer, in das trat die Kuh mit den Vorderfüßen hinein. Der Dumme dachte aber, sie wird einmal saufen wollen, und ließ ihr den Strick nach; da trat sie auch mit den Hinterfüßen hinein und zog den Dummen nach, und so ging sie immer weiter hinab, daß dem Dummen schon das Waßer bis zum Halse kam. Der dachte: »Wo deine Kuh bleibt, bleibst du auch«, packte sie vorn beim Strick und hinten beim Schwanz, und so schwammen sie beide ans andere Ufer.

Als sie drüben angekommen waren, zog ihn die Kuh immer weiter und weiter, bis sie zu einem prächtigen Schloße kamen, dessen Thor weit offen stand. In das ging die Kuh gerade hinein, und innen waren weite, prächtige Ställe, mit herrlichen goldenen Krippen und silbernen Raufen, in denen steckte das schönste Heu die Hülle und Fülle, und die Kuh ging sogleich zu einer derselben und fraß sich so dick und rund, wie sie noch nie gewesen war. Als sie sich aber satt gefreßen hatte, legte sie sich hin und käuete wieder, und dann stand sie abermals auf, fraß noch einmal und zog dann den Dummen am Stricke wieder aus dem Schloße. Als sie ans Waßer kamen, packte er sie wieder vorne beim Strick und hinten beim Schwanz, und so schwammen sie beide hindurch zum andern Ufer, und von da ging es geraden Wegs nach Hause. Als sie da ankamen, machten der Vater und die beiden Brüder große Augen, die Kuh so dick und rund zu sehen, wie sie noch nie gewesen war, und der Vater sagte zu den beiden andern: »Der Dumme versteht's beßer als ihr alle beide, der soll morgen wieder mit hinaus.«

Am andern Morgen ging's wieder wie am ersten Tage; als sie vors Dorf kamen, zog die Kuh den[263] Dummen am Strick fort bis zu dem großen Waßer, da packte er sie vorn beim Strick und hinten beim Schwanz, und so schwammen sie hinüber, kamen ins Schloß, wo sie sich dick und rund fraß wie am vorigen Tage und sich dann hinlegte, um wiederzukäuen. Als sie nun aber so dalag, kam ein kleines schwarzes Hündchen herbei, das erhob ein schallendes Gebell; der Dumme aber dachte, es wolle die Kuh beißen, nahm seine Peitsche hervor und wollte es schlagen, da fing aber das Hündchen an zu sprechen und sagte: »Schlage mich nicht, du thust übel daran; komm morgen wieder und thue, was ich dir heiße.« Da fragte der Dumme: »Was denn?« und das Hündchen antwortete: »Ich werde meinen Kopf auf einen Klotz legen, da mußt du ein Beil nehmen und wacker zuhauen, daß er abfliegt; aber fürchten mußt du dich nicht.« Das versprach der Dumme, und als sich die Kuh abermals satt gefreßen, ging's wieder heim.

Als er nun zu Hause angekommen war und sagte, daß er andern Tags wieder fort wolle, machten die andern ein bös Gesicht, aber der Vater sagte: »So gut wie er versteht ihr's doch nicht, darum laßt ihm nur seinen Willen.« Da ging er hin, sich ein Beil zu leihen, denn im Hause war ein solcher Schatz nicht, und als das die beiden andern Brüder sahen, höhnten sie ihn und sagten, er solle sich nur ja keinen Schaden thun, denn das Ding schneide, und führten noch andere spöttische Reden. Er aber ließ sich's nicht kümmern, nahm am andern Morgen sein Beil unter den Arm und die Kuh beim Strick und zog zum Dorfe hinaus. Bald waren sie im Schloße, die Kuh fraß sich rund und dick, wie das erste mal, und legte sich dann hin, um wiederzukäuen. Kaum lag sie da, so kam auch das kleine Hündchen wieder und sagte zum Dummen: »Nun folge[264] mir, aber fürchten darfst du dich nicht.« Da nahm er sein Beil und folgte ihm in einen weiten Gang hinein, bis sie zu einem Klotze kamen, auf welchen es seinen Kopf legte und sprach: »Nun hau zu!« Da schwang er sein Beil und mit einem Hiebe sprang der Kopf weit, weit weg. Aber was machte er für Augen, als er wieder aufsah und die schönste Prinzeßin vor ihm stand; nun wurde es auf einmal im ganzen Schloße lebendig; Grafen und Herren und von Goldtressen starrende Diener und in Sammt und Seide gekleidete Damen kamen herbei und grüßten die Prinzeßin ehrerbietig, und diese fiel ihm um den Hals und sagte ihm, daß er ihr Mann werden solle, wozu er auch ohne langes Besinnen Ja sagte, worauf die Hochzeit noch an demselben Tage gefeiert wurde. Ob er aber auch die Kuh noch zurückgebracht hat, danach müßt ihr euch im Dorfe bei sei nem Vater erkundigen.


Aus Bevern. Vgl. das Norddeutsche Märchen, Nr. 7, welches statt des Hündchens eine Katze gibt, sich aber im übrigen mehr an Grimm's Märchen, Nr. 63: »Die drei Federn«, anschließt.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen und einigen andern, besonders den angrenzenden Gegenden Norddeutschlands 1–2. Band 2, Leipzig 1859, S. 262-265.
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