149.

[52] Aufgebote zu Leichenbegängnissen gehen an einigen Orten Westfalens von Haus zu Haus, indem ein Nachbar dem andern das Aufgebot ansagt; aber das Aufgebot darf in dem letzten Hause nicht stehen bleiben, sondern muß ins Freie hinaus, an einen Baum, einen Zaun u.s.w. gebracht werden, sonst muß etwas, Mensch oder Vieh, sterben. Von demselben.


An der Lenne, unweit der Chaussee zwischen Hagen und Iserlohn liegt ein kleines Dorf, Namens Genna. In diesem herrscht seit uralten Zeiten folgender Gebrauch. Sobald jemand im Hause stirbt und ihm die Augen zugedrückt sind, muß der Besitzer im Hause unverzüglich zu seinem nächsten Nachbarn gehen und es diesem ansagen, der und der in seinem Hause sei soeben gestorben. Dieser nächste Nachbar muß eilends wieder zu seinem nächsten Nachbarn gehen und ihm dasselbe ansagen; und dieser wieder zu dem seinigen und so weiter, bis auf den letzten Mann im Dorfe. Dieser letzte muß alsdann zu einem nahen Eichbaume gehen, der bei seinem Hause steht, und es diesem mit lauter Stimme ansagen. Thut er das nicht, so hat er gewiß[52] bald eine Leiche im Hause, Stahl, Westfälische Sagen, S. 125 fg. Zu dem Ansagen an den Eichbaum vergleicht sich wol, daß bei den Litauern der Leichenschmaus womöglich an einem Eichenaste oder doch unter einer Eiche gekocht werden solle, Schleicher, Lituanica, S. 27; vgl. derselbe, Briefe aus Litauen, S. 11.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen und einigen andern, besonders den angrenzenden Gegenden Norddeutschlands 1–2. Band 2, Leipzig 1859, S. 52-53.
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