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[218] Zu dem Gantverfahren, das der alte Sonnenwirt seinem Sohne angeraten hatte, schien er ihm volle Zeit und Muße verstatten zu wollen; denn er ließ ihn seine Tage und Nächte ungestört nach seinem Gutdünken hinbringen. Friedrich befolgte das Gebot seines Vaters, ihm nicht vors Angesicht zu kommen, buchstäblich, und obgleich seine Stiefmutter täglich über die gestörte Hausordnung seufzte, wenn er sich das Essen durch die Dienstboten auf seine Kammer bringen ließ, so wußte sie doch nichts dagegen einzuwenden, weil er sich auf den unmittelbaren Ausspruch des Familienoberhauptes berufen konnte. Dabei ließ er sich's jedoch angelegen sein, mit seinen Dienstverrichtungen immer da einzugreifen, wo er den Vater nicht gegenwärtig wußte. Die Nächte widmete er den Zusammenkünften mit seiner Geliebten, und da er mit allen Gängen und Schlichen vertraut war, so machte es ihm keine Schwierigkeit, beim Heimgehen wieder in das verschlossene Haus zu kommen. Es schien ihm beinahe, als ob sein Vater, nachdem er einmal seine Willensmeinung ausgesprochen, den Dingen ohne weiteres Einschreiten den Lauf lassen wollte.

Hierin täuschte er sich aber sehr. Der Sonnenwirt[218] hatte, nach reiflicher Beratung mit dem Chirurgen, seinen Plan und Entschluß gefaßt, und wenn die Ausführung desselben sich gerade so lange verzögerte, um einen bereits gesponnenen Schicksalsfaden vollends unabänderlich zu befestigen, so war ja dies einer von den Fehlschlägen, welche die kurzsichtigen Ratschläge der Menschen so häufig treffen. Der Sonnenwirt wollte sichergehen und seinen Plan gründlich durchsetzen. Er schickte seine Frau, mit einem Brätchen aus der Metzig, ins Amthaus, um durch sie der Amtmännin zunächst mitteilen zu lassen, was er mit seinem Sohne vorhabe. Hierzu hatte er einen doppelten Grund. Einmal beanspruchte die Obrigkeit dieselbe unbedingte Gewalt über den Bürger, welche dieser über das Tun und Lassen seiner Kinder, selbst in ihren eigensten Angelegenheiten und noch im erwachsenen Alter, auszuüben sich berechtigt glaubte, und es wäre sehr übel vermerkt worden, wenn man in einem Hause auch nur eine Familiensache ins Werk zu setzen gewagt hätte, ohne sich vorher den Rat des gestrengen Herrn unter der Leitung seiner noch gestrengeren Frau zu erbitten oder ihnen wenigstens der äußeren Form nach die Ehre der Gutheißung zu lassen. Außerdem aber wollte der Sonnenwirt durch diese Unterwürfigkeit für den Fall, daß sein Sohn den Widerspenstigen machen würde, sich des amtlichen Beistandes versichern.

Die Amtmännin nahm das Geschenk und die Mitteilung der Sonnenwirtin mit Wohlgefallen auf. Sie gestand ihr offen, daß es ihr jedesmal übel werde,[219] wenn sie den ungeschliffenen Flegel nur von weitem sehen müsse. Auch war sie der Ansicht, daß für die Ruhe des Fleckens nicht besser gesorgt werden könne als durch seine gänzliche Entfernung auf immer oder doch auf möglichst lange Zeit; denn, meinte sie, ein so gewalttätiger Mensch, der kein Gesetz achte, könnte am Ende, wenn nicht alles nach seinem Kopfe gehe, wohl noch imstande sein, Mord und Totschlag zu verüben oder gar den Leuten die Häuser über dem Kopfe anzuzünden. Sie verhehlte der Sonnenwirtin nicht, daß gar mancherlei über ihn gemurmelt werde. Man sage, er habe an Silvester nicht nur beinahe die ganze Nacht auf höchst gefährliche Weise im Flecken geschossen, sondern auch seinen Feinden einen Mordschlag gelegt, der so Menschen als Gebäuden einen erheblichen Schaden hätte bringen können; anderer Greueltaten zu geschweigen. Alles dieses werde mit leichten Stücken zu beweisen sein, sowie man ihm nur ernstlich zu Leibe gehen wolle, und das Amt halte also bereits wieder neue Blitze gegen ihn in der Hand. Es sei sonach eine wahre Wohltat für den ungeratenen Jungen, wenn man ihn diesen Blitzen noch zu rechter Zeit entziehe, und möge er dann fortbleiben oder, was sie zwar nicht hoffe, später geschult und gebessert zurückkehren, so sei jedenfalls die ›Sonne‹ vor dem Unglück behütet, durch eine so unanständige Heirat zu einem Pöbelwirtshause zu werden, aus welchem ehrbare Leute wegbleiben müßten. Die Sonnenwirtin stimmte allen ihren Reden aus mütterlichem Herzen bei und brachte dieselben, nachdem[220] sie mit der Amtmännin viel darüber gespottet, welch eine Wirtin das Bauernmensch geben würde, freigebig mit Zusätzen vermehrt, ihrem Manne heim.

Nach dieser vorläufigen Verlässigung begab sich der Sonnenwirt mit dem Chirurgus zum Amtmann, dem er mit Hilfe des letzteren vortrug, er habe, wie dem Herrn Amtmann wohl bewußt sein werde, einen Sohn, der unerachtet aller väterlichen Bemühungen und trotzdem daß er viel Geld auf seine rechtliche und christliche Erziehung verwendet, bis jetzt nicht habe einschlagen wollen und ihm nun gar noch das Kreuz mache, in seiner Minderjährigkeit an eine ganz ungleiche Heirat mit einer Bauerntochter, die nichts sei und nichts habe, zu denken. Da nun das Sprichwort mit Recht sage: »Wohl aus den Augen, wohl aus dem Sinn«, so habe er sich resolviert, ihn in die Fremde zu schicken. Er habe in Frankfurt, oder vielmehr in Sachsenhausen, welches gleich daneben überm Mainstrom liege, einen leiblichen Bruder, der daselbst gleichfalls Wirt zur ›Sonne‹ und in jungen Jahren durch eine Glücksheirat mit einer Witwe in den Besitz derselben gekommen sei. Dem wolle er seinen Sohn zuschicken, in der Hoffnung, daß derselbe unter einem fremden Himmel und bei andern Leuten seine Torheit vergessen und sich vielleicht den Kopf auf eine zuträgliche Art verstoßen und die Hörner ablaufen werde. Er habe sich nun die Freiheit nehmen wollen zu fragen, was der Herr Amtmann von der Sache denke. Der Amtmann erwiderte, der Gedanke habe seinen ganzen Beifall, denn fremde Städte und fremde Menschen sehen,[221] das putze den Kopf aus. »In dem Frankfort«, sagte er, »bin ich auch schon gewesen«, worauf der Sonnenwirt und der Chirurgus ihre untertänige Verwunderung ausdrückten, daß der Herr Amtmann schon so weit gereiset sei. Die Amtmännin, welche sich ungesäumt im Rate eingefunden hatte, sprach davon, wie wohltätig es überhaupt wäre, wenn man alle ungeschlachte junge Leute ein wenig in die weite Welt schicken könnte, um dort gehobelt zu werden. Als sodann der Sonnenwirt die Möglichkeit zur Sprache brachte, daß sein Sohn es etwa an der gewünschten Reiselust fehlen lassen könnte, hieß ihn der Amtmann ganz außer Sorgen sein, denn er werde jedenfalls mit seiner vollen Autorität dazwischen fahren und gedenke, mit einem jungen Trotz- und Querkopf schon noch fertig zu werden; er schreibe ohnehin heute noch einen Bericht über mehreres nach Göppingen und wolle in denselben einfließen lassen, daß der junge Mensch, der dem löblichen Oberamt auch schon mehr als billig zu schaffen gemacht, mit seiner Erlaubnis in die Fremde gehe.

Darauf empfahl sich der Sonnenwirt nebst seinem Schwiegersohne unter vielen Danksagungen und berief zu Hause sogleich seinen Sohn zu einer Unterredung in Ernst und Güte, nach welcher Friedrich mit väterlicher Einwilligung in das Haus des Hirschbauern ging, um von Christinen Abschied zu nehmen. Nur unter dieser Bedingung hatte er sich dem Willen seines Vaters gefügt. Bei dieser Fügsamkeit waren allerdings die Drohungen des Amtmanns, von[222] welchen ihn sein Vater in Kenntnis zu setzen für geeignet befunden hatte, der natürlichen Gutmütigkeit seiner vom Glück der Liebe befriedigten und deshalb auch für die Mahnungen der Kindespflicht zugänglichen Seele zu Hilfe gekommen; aber keine Rücksicht hatte ihn zur Nachgiebigkeit gegen den Wunsch seines Vaters bewegen können, sogleich und ohne Abschied von Christinen abzureisen, und der Sonnenwirt war genötigt gewesen, von diesem Begehren abzustehen, wenn nicht sein ganzes Vorhaben daran scheitern sollte. Friedrich erklärte seinem Vater, daß er morgen früh vor Tag den Stab ergreifen wolle und sagte ihm deshalb auf der Stelle Lebewohl. Von der Stiefmutter nahm er keinen Abschied. Dagegen verabschiedete er sich freundlich vom Chirurgen, welchem er bei seiner Bewerbung und nachher seine Abneigung mehr als einmal in nicht gar feiner Weise gezeigt hatte und in welchem er nun einen gutgesinnten Schwager gefunden zu haben glaubte. Derselbe gestand ihm zwar nicht, daß er der Urheber dieser Trennung sei, in welcher er das auflösende Mittel erblickte, das er dem Sonnenwirt empfohlen hatte; doch sagte er ihm offen, er sei mit dem Entschlusse seines Vaters einverstanden und halte diese Reise für die beste Art, von einer Sache loszukommen, die nun eben einmal nicht sein könne, worauf Friedrich erwiderte, es sei ihm zwar leid, daß seine Standhaftigkeit auf diese Probe gesetzt werde, aber es freue ihn auch wieder, weil er hoffe, daß er die Probe bestehen werde. Der Chirurgus und seine Frau schüttelten über diese Erklärung[223] den Kopf, ließen es aber hierbei bewenden, weil sie der jugendlichen Festigkeit in Durchführung gefaßter Vorsätze, vielleicht eigener Erfahrung zufolge, kein großes Vertrauen schenkten. »Wirst du auch den weiten Weg finden?« fragte Magdalene mit Tränen in den Augen. »Bis nach Heilbronn«, antwortete er düster lachend, »kenn ich ihn schon, und das wird ungefähr halbwegs sein.« Der Chirurgus holte mit Wichtigkeit eine Homannsche Karte des Deutschen Reiches, die er besaß, und demonstrierte ihm mit dem Zirkel, daß das noch nicht ganz den dritten Teil der Reise betrage. »Dann muß ich eben noch ein wenig weiter gehen«, sagte Friedrich, »das Frankfort wird ja nicht aus der Welt liegen; ich geh eben der Nas nach; und die Leut an dem Main da drunten werden die Nas auch grad überm Maul tragen, justement wie wir hie.« Dann schüttelte er seinen Verwandten die Hände und ging. Bei dem Schwager Krämer klopfte er nur im Vorübergehen ans Fenster und rief seiner Schwester einen kurzen Abschiedsgruß zu, lockte aber ihre Kinder eine Strecke weit mit sich und entließ sie geküßt und beschenkt.

Nachdem er diese gleichgültigeren Angelegenheiten abgetan hatte, trat er den schweren Gang zu Christinen an. Diesmal suchte er keine Nebengäßchen, sondern ging den geraden Weg bis ans Ende des Fleckens und sah dabei allen Begegnenden herzhaft und freundlich ins Gesicht. Als er aber die Treppe soweit unter sich hatte, um im Hinaufsteigen einen Blick durch das Fenster werfen zu können, stieß er[224] einen Fluch aus, sprang den Rest der Stufen mit zwei Sätzen hinauf und stürzte wütend in die Stube, wo der alte Hirschbauer seine Tochter soeben an den Zöpfen ergriffen hatte und die Hand aufhob, sie zu schlagen. »Halt!« rief Friedrich, warf sich zwischen beide und riß die Tochter von dem Vater weg. »Wenn Euch Euer Leben lieb ist«, rief er, »so untersteht Euch nicht, ihr ein Haar zu krümmen! Mir allein kommt das Recht zu, sie zu schlagen, wenn sie etwa gefehlt hat.«

»Das könnt ich brauchen«, polterte der Hirschbauer, »daß mir einer meine Tochter verführt und noch dazu in meinem Haus den Meister spielen will. Weiß wohl, wo die Häglein niedrig sind, da drüber steigt man gern; aber mich soll Armut und Niedrigkeit nicht so weit bringen, daß ich Mutwillen mit mir und den Meinigen treiben lass.«

»Es ist von keinem Mutwillen die Red«, sagte Friedrich, »und ich bin kein Verführer. Ich will Eurer Tochter alle Ehr und alle Treu erweisen, und meine Absicht ist auf nichts anders gerichtet, denn daß wir als Ehleut zusammen kommen.«

»Und dazu geht man in die Fremde?« rief die Bäuerin mit zornigem Lachen. »Ja, ja, weit davon ist gut für 'n Schuß!«

»So, das ist auch schon ausgeschwätzt?« sagte Friedrich. »Wer hat Euch denn das hinterbracht?«

»Seine Mutter ist dagewesen«, erwiderte die Bäuerin, »Er braucht nichts zu leugnen.«

»Ich will auch nichts leugnen, begreif's aber wohl, daß Unsamen hier ausgestreut worden ist. Wahr[225] ist's, daß ich gehen muß, weil mein Vater für jetzt nicht gut zu dieser Heirat sieht und weil er vielleicht meint, in einer andern Luft wachse mir auch gleich wieder ein anderer Kopf. Aber alles hat seine zwei Seiten. Mein Vater kann mir nichts befehlen, was für mein ganzes Leben gelten soll, denn über die Zukunft muß ich selber Herr sein, und sein Vater springt auch nicht mehr hinter ihm drein, um ihm die Fliegen abzuwehren oder ihn zu hüten, daß er den Fuß nirgends anstoßt. Aber wenn er mir jetzt in die Fremde zu gehen befiehlt, so gehorch ich ihm und glaub ihn auch damit besser herumzubringen als mit Ungehorsam und Trotz. Er wird dann schon sehen, daß ich in dem, was meine eigene Sach ist, mein Herz nicht ändere, und zuletzt wird er mit seinem einzigen Sohn ein Einsehen haben und wird uns zusammen lassen. Damit jedoch mein Schatz und die Ihrigen nicht an mir zweifeln, deswegen bin ich herkommen, um den Verspruch vor meinem Fortgehen richtig zu machen und mit euch darüber zu reden.«

Der Hirschbauer und sein Weib sahen einander an; diese Erklärung lautete ganz anders als das, was die Sonnenwirtin ihnen geringschätzig und spöttisch vorgesagt hatte, um sie gegen ihre Tochter und deren Liebhaber aufzureizen.

»Seine Mutter«, hob der Hirschbauer wieder an, »hat uns gesagt, daß Er mit leichtem Herzen fortgeh und selber froh sei, der Fessel wieder ledig zu werden. Und wenn nun das auch nicht so ist und Er andere Absichten hat, so wird Er mir doch nicht[226] zumuten wollen, daß ich meine Tochter einer Familie aufdringen soll, die nichts von ihr wissen will.«

»Laßt das gut sein, Vetter«, sagte Friedrich. »Die Sach ist nicht mehr anders zu machen. Das Mädle will mich, und ich will sie; uns zwei reißt niemand mehr auseinander. Also handelt, wie ein rechtschaffener Vater an seinem Kind handeln soll, und tretet nicht auch noch zu unsern Feinden.«

Die beiden Alten eiferten und schalten heftig über diese eigenmächtige Art, eine Liebschaft anzufangen, und namentlich meinte die Hirschbäuerin, ihre Tochter hätte wohl eine Züchtigung dafür verdient. Auch beteuerte sie, sie habe nie daran gedacht, daß er darum in ihr Haus gekommen sei, um durch ein Liebesverhältnis mit ihrer Tochter seinen Eltern Verdruß zu machen, und wälzte jede Verantwortlichkeit dafür feierlich von sich ab. Allein ungeachtet des polternden Tones waren beide sichtbar besänftigt durch die Offenheit, mit welcher der junge Mann seine Gesinnung ausgesprochen hatte. Sie gaben sich jedoch Mühe, dies nicht merken zu lassen, und der Hirschbauer sagte: »Man spricht aus, daß Er so gewalttätig sei und daß man von Ihm nichts als Ungelegenheit haben werde; Er soll ja haben verlauten lassen, wenn Er Seinen Willen nicht durchsetze, so werde Er alles über einen Haufen stechen und den Flecken anzünden.«

»Das ist nicht wahr!« rief Friedrich entrüstet, »es ist kein solches Wort aus meinem Mund gangen. Wer hat das gesagt? Er soll sich stellen und mich überführen.«[227]

Der Hirschbauer schwieg.

»Ich weiß schon«, fuhr Friedrich fort. »Meine Stiefmutter – Ihr müßt sie nicht meine Mutter heißen –, die sucht mich auszurotten, sie gönnt mir das Schwarze unterm Nagel nicht. Aber saget selber: wie stimmen ihre Reden zusammen? Wie kann sie denn behaupten, ich möcht über alle Berg und aus diesen Banden los sein, wenn sie hinwieder von mir sagt, ich sei auf meinen Willen so versessen, daß ich sengen und brennen woll, wenn ich Eure Tochter nicht krieg? – Ohne die hätt ich bei meinem Vater ein leichteres Spiel. Wenn meine Schwester und ihr Mann, der Chirurgus, nicht wären, so ging ich gar nicht fort, denn sie tät mich in meiner Abwesenheit vollends ganz untergraben, aber ich hoff, die zwei werden mich verteidigen.«

»Vielleicht«, sagte der Hirschbauer nach einigem Besinnen, »ließ sich ein Wort mit Seinem Herrn Schwager reden und auch mit dem Herrn Pfarrer. Wenn die beiden Herren etwas bei Seinem Vater ausrichten, so könnt man ja noch einmal von der Sach reden. Aber so, wie's jetzt steht, kann ich nicht nur so ohne weiteres meine Einwilligung geben, denn ich will mir nicht nachsagen lassen, daß ich mich mit den Meinigen in eine Familie eingedrungen hab, wo wir überlästig sind.«

»Redet mit dem Pfarrer und dem Chirurgus, wenn ich fort bin«, sagte Friedrich, »denn fort muß ich jedenfalls auf einige Zeit, das tut mein Vater nicht anders. Und füget mir's dann zu wissen, wie die Unterredung ausgefallen ist. Jetzt aber bin ich die[228] längst Zeit dagewesen, und Ihr werdet es nicht anders als billig finden, daß ich von meinem Schatz unter vier Augen Abschied nehm, denn mein Schatz ist und bleibt sie, und wenn der Himmel einfällt. Nun behüt euch Gott, Vetter und Bas, und geb, daß ich bald Schwährvater und Schwieger zu euch sagen kann. Haltet mir mein' Schatz gut; ich will nicht, daß sie euch zur Last fallen soll, und werd das Kostgeld für sie bezahlen, solang sie bei euch im Haus ist, denn ich seh sie als mein Eigentum an und will sie bei euch eingestellt haben wie das Lamm, das ihr gehört.« – Hiermit legte er lachend einen guten Teil des Reisegeldes, das ihm sein Vater gegeben hatte, auf den Tisch; denn er hatte unter dem Reden wahrgenommen, daß sich die zerbrochene Scheibe noch in. dem Zustande, wie sie von Christinen verstopft worden war, befand, und daraus den Schluß gezogen, daß die Armut der Leute nicht einmal gestattet habe, den Glaser zu holen. »Ihr zwei aber«, sagte er zu den beiden Söhnen, die ebenfalls in der Stube anwesend waren, sich aber sowenig wie Christine ins Gespräch mischten, »ihr zwei kommt in einer Stunde ins Beckenhaus, wir müssen den Abend noch einen Abschiedstrunk miteinander tun.«

Er gab dem Bauer und der Bäuerin die Hand zum Lebewohl, und sie ließen es schweigend geschehen, daß er sein Mädchen am Arme nahm und mit sich aus der Stube zog. Ein Seufzer der Bäuerin, den man verschieden auslegen konnte, und ein Kopfschütteln des Bauern, das schon nicht so viele Deutungen[229] zuließ, war alles, was nach seinem Weggehen geäußert wurde.

Christine fiel ihm draußen laut weinend um den Hals. »Wenn mich nur mein Vater geschlagen hätt«, schluchzte sie, »vielleicht wär mir's leichter geworden. Sieh, es hat mir Stich auf Stich durchs Herz geben, wie ich gehört hab, daß du fortgehst; mein Herz hat sich ganz zusammengezogen, und seitdem tut mir's fortwährend weh. Ach Gott, was soll aus mir werden, wenn ich dich nicht mehr hab!«

»Mach mir das Herz nicht schwer«, sagte er. »Sieh, es ist mir ja schrecklich, daß ich von dir gehen muß, aber es kann nicht anders sein, und ich bin bei dir und du bei mir, wo ich auch sein mag in der Welt. Es ist wohl weit weg, aber doch nicht so gar weit, daß wir nicht einander schreiben oder sogar zueinander kommen könnten, wenn's nottut. Denk dir alle Möglichkeiten der Reih nach, so muß es uns doch zuletzt nach Wunsch und Willen gehen. Entweder gibt mein Vater nach, wenn er unsere Beständigkeit sieht, dann ist ja alles recht und gut; oder wir müssen warten, bis er das Zeitliche segnet, dann ist's zwar schlimm, aber doch besser als gar nichts; oder er verstoßt mich, wenn er mir den Sinn nicht brechen kann, dann kann er mir aber auch nichts mehr verbieten, und heißt's eben: Mann, nimm deine Hau, ernähr deine Frau; oder find ich vielleicht in der Fremde bei meinem Vatersbruder oder sonstwo eine Heimat, man kann ja nicht wissen, wie's geht in der Welt, dann laß ich dich nachkommen; wenn's vielleicht fürs erst nur ein Dienst[230] wär, den ich dir da drunten verschaffen könnt, so wären wir doch näher beieinander und könnten's nach und nach weiterbringen. Kurzum, ich mag mir ausdenken, was ich will, das End vom Lied ist eben immer, daß wir Mann und Weib werden.«

»Ja, aber da drunten gibt's gewiß schöne Jungfern, die mich bei dir ausstechen.«

»Sorg du nicht für mich, hab du vielmehr acht, daß du mich nicht von den Ebersbacher Buben aus deinem Herzen vertreiben läßt.«

»Ei, so laß doch endlich das Geschwätz mit den Buben sein!« sagte sie schmollend.

»Was dir recht ist, muß mir billig sein«, erwiderte er. »Such du mich nicht hinterm Ofen, dann guck ich auch nicht, ob du dahinter steckst. Jetzt laß uns aber die letzten Stunden nicht mit Zank und Trutz verderben, es ist ja doch keinem von uns beiden Ernst damit.«

Nachdem sie noch längere Zeit in solchen Wechselreden verbracht, sagte Friedrich: »Ich muß jetzt gehen, ich hab noch Geschäfte mit meinem Pfleger. Ich nehm aber jetzt nicht Abschied von dir, denn ich tu's nicht anders, ich komm heut zu dir in deine Kammer, nachdem's jetzt mit deinen Eltern so gut wie richtig ist.«

»Sei aber vorsichtig«, sagte sie, »und mach kein Geräusch, sonst könntest bald sehen, daß es nicht so richtig ist, wie du meinst.«

»Hab du keine Angst«, erwiderte er.

Er begab sich zu seinem Vormund, einem im Flecken angesehenen Ratsherrn, um ihm einen Abschiedsbesuch[231] zu machen und zugleich aus seinem mütterlichen Vermögen einen Zuschuß zu seinen Reisemitteln zu verlangen, welche soeben einen beträchtlichen Ausfall erlitten hatten. Der Vormund aber schlug ihm sein Ansinnen rundweg ab; er wußte ihm haarklein vorzurechnen, was er von seinem Vater zu Weihnachten und was er heute von ihm als Reisegeld erhalten habe, schärfte ihm die Tugend der Sparsamkeit ein, machte ihm derbe Vorwürfe über die dumme Liebschaft, die ihn aus dem Vaterhause treibe, und ermahnte ihn schließlich, sein Hab und Gut nicht »an Menscher zu hängen«. »Ich wär nicht zu Ihm gekommen, wenn ich nicht Geld braucht hätt!« sagte Friedrich und wetterte im Fortgehen die Türe hinter sich zu. Mit tausend Verwünschungen kehrte er dem Hause des Vormundes den Rücken und sagte dann zu sich: »Ich darf mich wohl zusammennehmen, wenn ich bis zu meinem Ziel kommen soll, ohne unterwegs zu betteln oder zu stehlen; und zu meinem Vetter sollt ich doch wenigstens auch noch ein paar Batzen mitbringen, sonst ist's ja eine Schand; und meiner Christine muß ich doch auch was schicken, denn leerer Gruß geht barfuß. Der Teufel hol den Hornabsäger, den Kümmichspalter, der mir mein eigen Geld vorenthält. Ich darf, weiß Gott, auf dem Weg kein einzigmal was Warms essen, wenn ich mit meinem Zehrpfennig langen soll.«

Er ließ aber im Bäckerhause nichts von seiner Verlegenheit merken, sondern plauderte treuherziger und fröhlicher, als es ihm eigentlich um das Herz[232] war, mit seinen Schwägern, wie er sie offen vor den Leuten nannte, und als die Bäckerin teilnehmend bemerkte, sie sei nur noch begierig, was diese Geschichte für ein Ende nehmen werde, die sich in ihrem Haus angesponnen habe, rief er leichtfertig lachend: »Das wird eine schöne Eh geben, wo der Mann die Häfen verbricht und das Weib die Schüsseln!«

Lachend gingen seine Gesellen mit ihm fort. Auf dem Wege eröffnete er ihnen, daß er diese Nacht in ihrem Hause bei ihrer Schwester zuzubringen gesonnen sei. Sie fanden das in der Ordnung und ließen ihn mit sich ein.

Quelle:
Hermann Kurz: Der Sonnenwirt. Kirchheim / Teck 1980, S. 218-233.
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