Ein kalmuckisches Mährchen von der Flasche und dem Kreisschwinger.


Ein kalmuckisches Mährchen

[278] Es lebte vor uralter Zeit ein wilder hochmüthiger Mann im Lande Barschis, der Niemand über sich leiden wollte, und selbst nach seinem Khan oder Fürsten nichts fragte, der doch viel mächtiger war als er.

Da sprach der Khan zu dem Manne: »du nichtswürdiger hochmüthiger Mann, fort mit dir, fort aus meinem Reiche; such dir ein anderes Reich.« – So sprach der Khan, und der wilde Mann ging aus dem Reiche des Khans.

Auf dem Wege, den der Mann nahm, erreichte er eines Mittags einen Wald, und fand in dem Walde ein umgekommenes Pferd, und nahm von demselben den Kopf, knüpfte sich diesen an den Gürtel, und kletterte auf einen Baum.

Gegen Mitternacht versammelten sich unter dem Baum ein großer Haufen von Geistern (Tschädküre) die auf Pferden von Baumrinde saßen, und auch Mützen von Baumrinde aufhatten, und um den Baum sich herum lagerten.

Nachher versammelten sich noch andere Geister, und lagerten sich auch um den Baum. Sie saßen aber auf Pferden von Papier, und hatten auch papierne Mützen auf.[279]

Während die unten Versammelten mancherlei Speise und Getränk zu sich nahmen, blickte der Mann ängstlich vom Baume herab, und dadurch löste sich der Pferdekopf von dem Gürtel, und fiel unter die Geister herab, die sich gewaltig entsetzten, und mit großem Geschrei dahin und dorthin entflohen.

Am andern Morgen stieg der Mann von seinem Baume herunter und sprach: »diese Nacht waren hier doch so viele Speisen und Getränke, und nun ist Alles verschwunden.« Indem er so sprach und sich umsahe, fand er eine Brantweinsflasche von Leder, wie die Kalmucken sie zu verfertigen pflegen, und weil er gern wollte trinken, legt er die Flasche an den Mund. Da stürzten aus derselben Fleisch und Kuchen und andere eßbare Dinge herab.

Der Mann sprach: »diese Flasche ist ein Wünschelgefäß, das Alles was verlangt wird herbei schafft, darum so nehm ichs mit.« Und so nahm ers denn auch mit.

Hierauf ging er seines Weges weiter und fand einen Mann, der hielt ein Schwert in der Hand. »Wozu hältst du dieß Schwert in der Hand?« fragte Jener.

Der Mann antwortete: »dieses Schwert ist Kreisschwinger geheißen. Spreche ich zu demselben: dort hat mir Jemand meine Sachen entwandt, geh und bring sie zurück und tödte den Menschen, so geht es und bringt mir die Sachen, und tödtet den Menschen.«

Hierauf versetzte der Erste: »Alles was du wünschest gibt dir dieses Gefäß. Wenn du willst, so laß uns tauschen.«

Sie tauschten nun, aber nach geschehenem Tausche hieß es: »Kreisschwinger hole mir meine Flasche zurück und tödte den Menschen.« Und Kreisschwinger ging hin, und tödtete seinen vorigen Herrn, und brachte die Flasche zurück.

Da er noch weiter fort ging, fand er einen Menschen, der einen eisernen Hammer in der Hand hielt. Den fragte er: »wozu hältst du diesen Hammer in der Hand.« – Der Andere antwortete:[280] »Schlag ich neun Mal mit diesem Hammer die Erde, so entsteht eine eiserne Mauer von neun Kreisbogen.«

Da sprach der Erste: »Laß uns tauschen; ich geb dir die Flasche welche dir Alles gewährt.«

Sie tauschten hierauf; aber als der Tausch geschehen war, mußte Kreisschwinger die Flasche zurück bringen, und den Menschen tödten.

Als der Mann weiter kam, fand er einen Menschen, der einen Sack von Ziegenfell auf dem Schooße hielt, und fragte: »wozu hältst du diesen Sack?« Der antwortete: »dieser Sack ist ein wunderbares Ding. Schüttelt man ihm so regnet es; schüttelt man ihn sehr so regnet es sehr.«

Da hieß es wieder: »so laß uns gegen die Flasche tauschen, die dir Alles gewährt.«

Als der Tausch nun geschehen war, mußte Kreisschwinger wieder hin, den Mann tödten, und die Flasche zurück bringen.

Als nun der Mann alle diese wunderbaren Dinge besaß, sprach er bei sich: »Nun wird mir der Khan nichts können anhaben, und wenn er noch zweimal so grimmig und gewaltig wäre, und ich gehe in sein Reich dennoch wieder zurück.«

Er kehrte zurück, verbarg sich aber am Tage in der Nähe des Palastes. Als aber die Mitternacht hereinbrach, nahm er den eisernen Hammer, und schlug damit neunmal die Erde. Da entstand eine eiserne Mauer von neun Kreisbogen.

Am andern Morgen sprach der Khan: »diese Nacht war hinter dem Palaste ein gewaltiges tock, tock.« Da sahe die Khanin hinaus und sprach, hinter dem Palaste sei eine eiserne Mauer von neun Kreisbogen entstanden.

Der Khan versetzte voll Grimm: »Sicher ist der wilde Bösewicht wieder gekommen, und hat dieß angerichtet; aber wir wollen doch sehen, wer von uns soll unterliegen, Er oder ich?«[281]

Nun ließ der Khan das ganze Volk aufbieten, und es mußte mit Blasebälgen, mit Holz und Kohlenhaufen kommen, um die eisernen Mauern hinweg zu schmelzen, und den Mann mit den Seinen selbst mit zu zerschmelzen; und die Glut fing an.

»Ach Sohn, sagte die Mutter, die mit ihm in den Kreisbogen war, das Feuer des Khans zerstört die wundervollen Mauern, und wir werden müssen verbrennen.« Der Sohn aber sprach: »Mutter sei ohne Sorgen; ich finde schon Mittel.«

Da schüttelte er den ziegenfellenen Sack, und schüttelte ihn heftig und immer heftiger, und also regnete es immer heftiger, und am Ende so heftig, daß nicht nur das Feuer gelöscht und die Blasebälge, Holz und Kohlen hinweg geschwemmt wurden, sondern daß sogar ein großer See entstand.


Wie es nun aber weiter gegangen ist, weiß Niemand. Ich will Euch aber sogleich noch ein Mährlein erzählen, das in wundersamer aber unerklärbarer Aehnlichkeit bei uns zu Hause ist, und wo es ein ordentliches Ende hat; – aber jene sind auch nur Kalmucken, da kann man eben nicht Mehreres fordern.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 1, Leipzig [ca. 1819/20], S. 278-282.
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