Reinhald das Wunderkind.


Reinhald das Wunderkind

[186] Vor alten Zeiten lebte ein reicher, reicher Graf, ich weiß nicht mehr wo? – Der hatte Städte und Schlösser, Felder und Wälder, und sein Einkommen war sehr, sehr groß.

Da gings ihm denn, wies vielen überreichen Herren ergangen ist. So vieles Gut, meinte er, könne ja gar nicht alle werden, und darum lebte er alle Tage herrlich und in Freuden, mit Banketen, Turniren, Bällen und andern Festen, mit Bret und Würfelspiel, und wenn ein Ritter bei ihm einkehrte, gab er ihm drei Tage lang ein Fest.

Sein Hof hatte die schönsten Edelknaben zur Aufwartung, und Läufer Jäger und andere Diener, allesammt prächtig gekleidet, und die theuersten Pferde und Jagdhunde. Das hatte er Alles zu seiner Lust, und dabei mocht es ihm auch wohl recht sehr gefallen, wenn man allenthalben vom reichen Graf und von der Herrlichkeit seiner Hofhaltung sprach.

Er gehörte zu denjenigen Reichen, wie es ihrer viele gibt. Sie wissen wohl, wie man in Lust und Freude viel Geld und Gut verthut, aber wie man einen einzigen Thaler nur erwerben kann, das haben sie nimmermehr gelernt.[187]

Unser Graf kam immer tiefer und tiefer herunter, und hatte die wunderliche Scham, daß er es nicht wollte merken lassen. Darum trieb er das alte Wesen immerdar fort, so lange es nur ging, und verpfändete lieber eine Stadt nach der andern, ein Schloß nach dem andern, eine Besitzung nach der andern, als daß er sich eingeschränkt hätte. Aber am Ende wurden doch die Diener abgedankt, die Juwelen und Pferde verkauft, die Hunde todtgeschlagen, und der Graf zog mit seiner frommen Gemahlin und drei wunderschönen Töchtern auf ein altes Waldschloß, was er vielleicht sein lebelang niemals gesehen hatte. Da lebte er kärglich und dürftig, und seine Kost war Wurzeln und Beeren, und allenfalls einmal ein Stück Wild, das wollt ihm gar nicht zu Sinne und Halse. Wär er immer arm gewesen, so hätt es nichts ausgemacht, und er hätte wohl mögen zufrieden sein, aber er war verarmt, – er war, was noch mehr ist, durch eigne Schuld verarmt, und das ist viel schlimmer. Da wurde er denn sehr unmuthig, und tobte und lärmte und wetterte im Hause herum, und die Seinen, die doch keine Schuld hatten, hatten es sehr schlimm bei ihm.

Der Wald, in welchem der Graf sein Wesen trieb, war verdächtig, und es hieß, es sei nicht richtig darin, und darum wurde er denn auch der Zauberwald geheißen, zumal da Niemand, der tiefer in den Wald hinein gekommen war, aus demselben zurückkehrte.

Einmal war der Graf mit seinem Jagdspieß tiefer in den Wald hinein gekommen, als sonst. Er hatte lange gejagt und nichts erjagt, und setzte sich ermüdet unter eine alte Eiche, und hohlte sein Brot mit Salz aus dem Jagdranzen hervor.

Da schritt ein ungeheurer Bär auf ihn zu, vor dem er gewaltig erschrack, zumal da er auf Bärenjagd sich gar nicht gerüstet hatte. Den Jagdspieß, welchen er dem Ungethüm entgegen hielt, zerknickte es wie einen Strohhalm, und brummte ihm zu:[188]

»Was hausest und jagst du in meinem Wald, du Räuber? Wisse daß du mit deinem Leben mir verfallen bist, und mit dem Leben sollst du auch büßen!«

»O! freßt mich nicht, gestrenger Herr Bär, jammerte der Graf, ich will Euch Euren Honig nicht rauben. Habt Ihr aber Appetit, so will ich Euch geben, was ich vermag, aber es ist freilich nur Hausmannskost.«

Hierauf bot er dem Bär all' seinen Mundvorrath an. Aber dieser brummte unwillig:

»Was bietest du mir für elende Kost? Ich bedarf ihrer nicht. Aber ich will deines Lebens schonen, gibst du mir deine älteste Tochter Wulfhilde zur Frau!«

»Gern! Gern! edler Bär,« antwortete der Graf in der Todesangst. Aber er hatte doch gleich eine List ersonnen, und setzte hinzu: »Es versteht sich aber jedoch, daß Ihr nach Landesgebrauch die Braut löset, und selbst kommt, sie heim zu führen?«

»Es gilt! sprach der Bär, und hielt dem Grafen die rauhe Tatze hin, um einzuschlagen. In acht Tagen lös ich sie mit einem Zentner Gold, und führe Wulfhilden heim.« Und damit trabt er seiner Höhle zu.

Der Graf eilte aus dem furchtbaren Walde, und kam in später Abendzeit, zitternd und ermattet, auf seinem Waldschloß an.

Er erzählte am andern Morgen was ihm begegnet war, und was er in der Angst habe versprechen müssen. Da weinten und schrien Mutter und Töchter überlaut, und keine konnte sich trösten.

Aber der Vater ging finster und stumm hinaus, und besahe sich die Mauern und Graben des Schlosses und sah zu, ob das eiserne Thor noch haltbar sei, und fand Alles noch tüchtig genug, einem dickköpfigen Bären den Eingang zu verwehren, indem er doch nicht durchs Schlüsselloch werde hinein schlüpfen können. Er zog die Zugbrücke auf, verwahrte alle Zugänge, und brachte Wulfhilden in ein[189] festes, wohl vermauertes Kämmerlein, hoch oben im Wartthurm. – So hielt er sich denn völlig sicher.

Sechs Tage waren vergangen, und der siebente brach an. Da erhob sich vom Walde her ein gewaltiges Getöse und Halloh. Peitschen knallten, Hörner schallten, Reiter trabten mit Rossen heran, und es näherte sich ein prächtiger Wagen, wie von lauter Gold und Silber, und die Reiter, die den Wagen umgaben, waren allesammt herrlich gekleidet.

Der Wagen kam bis ans Schloßthor, und es stieg ein schöner Prinz in Sammt und Silberstück gekleidet, aus demselben heraus. Perlenschnuren mit Diamanten liefen um seinen Hut, und eine goldene Kette hing um seinen Hals. Riegel und Schlösser des Thores und der Thüren öffneten sich von selbst, und die Zugbrücke fiel von selbst herab. Rasch, wie ein Sturmwind, flog der Prinz die Treppe hinan, und brachte zwei Augenblicke darauf die bebende Braut in seinen Armen herab, und trug sie in seinen Wagen.

Ueber dem Getöse war der Graf erwacht, und sahe seine Tochter dahin führen, und erhob ein großes Jammern und schrie ihr nach: »Ade, mein Töchterlein; fahr wohl, fahr wohl, du Bärenbraut!«

Und die Mutter, die auch aufgewacht war, suchte nach dem Töchterlein im ganzen Schloß, und fand es nirgends, aber oben in der Kammer der Warte fand sie einen silbernen Schlüssel auf einem Tische, den nahm sie mit herab.

Drei Tage verlebte das Haus in Jammern und Wehklagen, dann ging der Graf aus dem Trauergemach um frische Luft zu schöpfen. Da stand auf dem Hof eine Kiste von glänzend polirtem Ebenholz, die recht schwer war zu heben. Er merkte schon was drinnen war, und schloß mit dem Schlüssel die Kiste auf, und fand einen Zentner Golds in schöne Münzen ausgeprägt.[190]

Da erwachte im Grafen der alte Geist der Thorheit, und die geraubte Tochter und alles Herzeleid waren vergessen. Und das Banketiren und Tafeln, und Hofhalten mit Dienern, Jägern, Pferden und Hunden ging wieder von vorne an, denn so viel Gold konnte nicht alle werden. Aber es ward doch in kurzer Zeit alle, und die Gläubiger kamen, und räumten ihm das alte Waldschloß aus, und ließen dem Grafen fast nichts übrig, als einen alten Jagdfalken. Das herrliche Leben war vorbei, und das kümmerliche fing wieder an.

Voll Ueberdruß und Langweile ging er mit seinem Federspiel (Falken) auf die Jagd, aber nicht in den Walde, vor welchem er große Scheu trug, sondern auf das weite Blachfeld, das vor demselben lag.

Eines Tages ließ er den Falken steigen. Der kreiste hoch in den Lüften umher, und da sein Herr ihn lockte, wollte er nicht zurückkehren, sondern schwebte dem grauenvollen Walde zu, wohin der Graf ihm nicht zu folgen wagte.

Plötzlich stieg ein mächtiger Adler aus dem Walde auf, und über den Falken hinauf, der ängstlich und geschwind zu seinem Herrn zurückkehrte, um Schutz zu suchen. Der Adler aber fuhr ihm nach bis zu dem Grafen hin, und schlug einen seiner mächtigen Fänge (Klauen) in die Schulter des Grafen, indessen er mit dem andern den armen Falken zerquetschte.

Der Graf suchte zwar sich mit dem Jagdspieß gegen den gewaltigen Aar (Adler) zu schützen, aber der Aar zerknickte ihm den Jagdspieß eben so leicht, als der Bär.

»Verwegener, kreischte der Aar, was wagst du dich in mein Jagdgehege in der Luft? – Das gilt dein Leben.«

Der Graf hatte schon bei dem Bären eine lehrreiche Erfahrung gemacht, und sagte: »Seid nur nicht ungnädig, gnädigster Herr![191] Es ist Alles wider meinen Willen geschehen. Den armen Falken habt Ihr ja auch schon bestraft. Speiset ihn nach Belieben.«

»Heute lüstert mich einmal nach Menschenfleisch, sprach der Aar, und du scheinst mir ein guter Bissen.«

»Ach Gott, jammerte der Graf, ist denn gar kein Abkommen? Fodert doch Alles was ich habe, nur schont meines Lebens.«

»Gut, sprach der Adler; giebst du mir deine zweite Tochter Adelheid, so schone ich dein. Ich will sie lösen mit 2 Goldstufen, jede von einem Zentner, und in sieben Wochen hohl ich das Mädchen.«

Der Graf war das zufrieden, und ging ganz wohlgemuthet heim, denn nun bekam er wieder Gold, und konnte also auch wieder in Saus und Braus leben; doch sagte er daheim kein Wort, und klagte nur über den Falken, der sich verflogen habe. So ersparte er sich die Vorwürfe der Seinen, und seiner Tochter den Schmerz.

Sechs Wochen waren um. Adelheid wußte, was ein Mädchen thun muß, das einmal eine gute Hausfrau werden will, und spann das feinste Gespinnst, und konnte es selbst weben, und bleichte das zarte Gewebe auch selbst, am frühen Morgen, auf frischem Rasen, beim kühlen Thau.

Eben war sie mit Bleichen am Morgen des siebenten Tages beschäftigt, als daher gezogen kam, ein Zug Ritter und Knappen. Adelheid verbarg sich hinter einen blühenden Rosenstrauch, denn sie war noch im Morgenkleide. Der schönste Ritter in dem Zuge sprang vom Pferde und sprach: »Ich sehe dich schöne Adelheid, ich liebe dich lange; o komm mit mir, und werde mein Gemahl!«

Das war ihr zu unerwartet, und sie fiel in Ohnmacht ins Gras, und als sie erwachte, hielt sie der Ritter in seinen Armen fest, und sie war schon viel tausend Schritte vom väterlichen Schlosse entfernt.[192]

Als die Tochter nicht zum Frühstück kam, welches die Mutter bereitet hatte, da wurde der Mutter bänglich zu Muthe. Sie suchte und rief da und dort, und zum Scheine half der Graf suchen und rufen. Als er nun während dessen an den Rosenbusch kam, siehe da lagen zwei große Eier, jedes von einem Zentner, und dem Grafen lachte das Herz im Leibe. Doch bei den Goldeiern bekam die Gräfin Verdacht, und der Graf entdeckte ihr auch Alles.

Es half ihr nichts, daß sie den ruchlosen Vater mit Thränen schalt; er schwieg, bis sich ihr Eifer gelegt hatte, und brachte seine Eier in Sicherheit, that drei Tage als ob er Leid trüge um den Verlust der geliebten Tochter, und fing dann das alte Unwesen wieder an.

Nun hatte er nur noch eine Tochter, die lieblich holde Bertha, die bei jedem Ritterspiel mit demjenigen Ritter tanzte, welcher den Preis davon trug.

Die edelsten Ritter kamen von nah und von fern, immer einer schöner und adlicher als der andere, und bewarben sich um Bertha's Hand; aber Bertha konnte zu keiner Wahl kommen.

Es währte nicht lange, da waren die Goldeier auch verthan, das Schloß ward wieder wüste und leer, und die alte Kärglichkeit und Dürftigkeit zogen statt des Prunkens und Prachtens abermals ein, und der Graf durchstrich unmuthig Feld und Flur.

Er hatte einmal ein Völklein Rebhühner verfolgt, und war dabei dem grausigen Walde nahe gekommen, aber er wagte sich nicht hinein, sondern ging an der Brahne (am Rande) hin. Da sahe er einen großen Fischweiher, den er sein Lebtag noch nicht gesehen hatte. In dem silberklaren Wasser des Teichs spielten muntre Forellen und scherzten im Wasser, – und der Teich sah gar nicht gefährlich aus. Hier wird es manch gutes Gericht geben, dachte der Graf, ging nach Hause und strickte sich ein Fischernetz, und schon am andern Morgen war er am Ufer des Teichs, auf welchem er[193] einen kleinen Nachen fand. Der Nachen kam ihm eben recht, und er ruderte lustig auf demselben umher, und warf sein Netz aus, fing mehr Forellen als er fortbringen konnte, und der Mund wässerte ihm schon von dem köstlichen Mahle, das er halten wollte.

Aber als er zurück wollte, stand einige hundert Schritte vom Ufer der Nachen so fest, als sei er aufgenagelt, und der Graf brachte ihm mit aller Kraft nicht von der Stelle. Rings um den Nachen umher wich das Wasser zurück, der Kahn schien sich zu heben, und immer weiter vom Ufer sich zu entfernen, und der Weiher dehnte sich zu einem mächtigen See aus, und der See schwoll, und seine Wogen und Wellen schäumten und brausten, und er ward mit Entsetzen gewahr, daß ein gewaltiges Seeungeheuer den Nachen auf dem Rücken trug. – Er bebte!

Das Meerwunder tauchte unter, erhob nun seinen großen greulichen Kopf aus dem See, sperrte den Rachenschlund auf und sprach: »du Tollkühner! was störst du meine Fluthen, und willst meine Unterthanen fangen? Wisse, daß dein Leben verfallen ist.«

Der Graf war nun schon zu bekannt mit solchen Dingen, als daß er sich nicht leicht von seiner Bestürzung erholt hätte. Er sprach zum Fisch:

»Hochgewaltiger Herr Behemot, verletzt das Gastrecht nicht, und gönnt mir das Gericht Fische. Solltet Ihr einmal zu mir kommen, so sollen Euch Küche und Keller auch offen stehen.«

»Hoh! sprach der Fisch; der Stärkere frißt den Schwächern. Du willst meine Unterthanen verschlingen, dafür verschling ich dich.«

Und damit riß das drohende Ungethüm den Rachen noch eins so weit auf, gleich als wollt es den Rachen mit sammt dem Mann verschlingen. Da bat der Graf flehentlich um sein Leben, und das Ungeheuer schien sich zu bedenken.

»Gieb mir deine Tochter zum Weibe, sprach es, so sollst du dein Leben gewonnen haben.«[194]

»Ja! sagte der Graf, gern! Ihr seid schon ein stattlicher Eidam; aber womit wollt Ihr die Braut lösen?«

Der Fisch antwortete, er habe köstliche Zahlperlen auf dem Grunde seines Sees, von welchen er ihm drei Scheffel verhieß, und in sieben Monaten werde er seine Braut heim holen.

Das Forellengericht, was der Graf heimbrachte, schmeckte Allen sehr wohl. So etwas Gutes hatten sie lange nicht gegessen; aber die gute Bertha wußte nicht, wie theuer ihr dieß Gericht konnte zu stehen kommen.

Der Vater schwieg.

Der Mond hatte sechsmal gewechselt, und als der siebente Vollmond kam, machte er eine Reise ins Land, denn er wollte nicht Augenzeuge sein von Berthas Entführung und von dem Jammer der Mutter.

In der Mittagsstunde, als der Vollmond eingetreten war, meldete sich vor der Schloßpforte ein bekannter Ritter mit großem Gefolge, der ehemals oft den Ritterspielen beigewohnt hatte, die der damals noch reiche Graf veranstaltete. Er hatte vielmals mit der schönen Bertha getanzt, und oft den Ritterdank (den Preis des Sieges) aus der Hand derselben erhalten, und weil er nie Wein trank, hatte man ihn im Scherz den Wasserritter genannt.

Die Gräfin schämte sich ihrer Armuth, weil sie reich gewesen war. Sie konnte dem Ritter nichts vorsetzen. Aber der Ritter verlangte nichts als einen frischen Trunk aus dem kühlen Felsenbrunnen des Schlosses. Bertha holte den Trunk. Aber der Gräfin fiel ein, daß sie eine köstliche Wassermelone im Schloßgarten habe, und ging hin, dieselbe zu holen, um damit den Ritter zu bewirthen. Aber als sie zurückkam, war Bertha fort, der Ritter war fort, das Gefolge war fort, und alles Suchen und Wehklagen, waren vergebens. Im Vorhause aber waren drei Säcke von neuer Leinwand hingestellt, und waren gefüllt, aber die Mutter achtete in ihrem Schmerz gar nicht darauf,[195] denn sie war ja nun ganz einsam und verlassen. Aber der Graf, welcher zurück gekommen war, zu rechter Zeit, achtete mehr darauf, als auf die ganze Geschichte von Berthas Entführung, und als er die Säcke öffnete, und lauter Zahlperlen darin waren, von der seltensten Güte, und groß wie große Gartenerbsen, da tröstete sich selbst die Gräfin, denn sie dachte, ein Eidam, der solche Geschenke machen könne, müsse von hohem Stande und großem Reichthum sein, und so wäre er denn kein Ungeheuer. Der Graf wußte es besser, aber er ließ sie bei ihrem Glauben.

Der Perlenschatz war unermeßlich, und wurde nach und nach zu Gelde gemacht. Es wimmelte auf dem Schlosse von Juden und Juwelieren, die um die köstlichen Perlen handelten. Der Graf löste alle seine verpfändeten Schlösser, Städte und Ländereien ein, und kaufte noch neue Besitzungen dazu, und zog auf sein schönstes Schloß. Niemand wußte, woher ihm wieder auf einmal so großes Gut zugekommen war. Sein Hofstaat wurde wieder eingerichtet, aber mäßiger und vernünftiger als vorher. An das ehemalige Sausen und Brausen, Bankettiren und Turniren ward nicht mehr gedacht, denn es war keine Tochter mehr zu verhandeln. Der Graf lebte in großer Behaglichkeit, die Gräfin aber in großer Bekümmerniß. Sie legte die Trauerkleider, in welchen sie Leide trug um ihre Töchter, nicht mehr ab, und wäre der Tod gekommen, so wär er ihr sehr erwünscht gewesen.

Aber die arme Mutter sollte noch Freude erleben. Sie gebar dem Grafen einen Sohn, ein wunderliebliches Kind, und weil es kam, da die Gräfin kein Kind mehr hoffen konnte, so wurde es Reinhald das Wunderkind geheißen, und brachte große Freude ins Haus der Aeltern.[196]


Als der junge Knabe ziemlich heraufgewachsen war, wußte er das ganze Geheimniß von den verlornen drei Schwestern. Die Mutter hatte so oft geweint, wenn sie ihm liebkosete, denn sie dachte an die drei Töchter mit Mutterherzen, und Reinhald fragte dann: »ach liebe Mutter was weinst du?« und weinte gar oftmals mit, obwohl er noch nicht verstand warum? Und zuletzt erfuhr er Alles, was sich zugetragen hatte, ausführlich von der Mutter, und behielt es Alles gar genau. Da wünschte er denn, er möchte schon groß und wehrhaft und zum Ritter geschlagen sein, dann wolle er ausziehen die Schwestern zu erlösen.

Er wurde denn groß, bekam Wehr und Waffen und wurde zum Ritter geschlagen. Nun begehrte er sogleich Urlaub vom Vater, denn er gab vor, er wolle nach Flandern einen Zug thun. Der Vater war gar hoch erfreut, daß sein Sohn solch ritterlichen Muth hatte, gab ihm schöne Pferde und kostbare Waffen, und viel Knappen und Troßbuben.

Reinhald zog fort; aber bald lenkte er von der Heerstraße ab, und nach dem alten Waldschlosse zu, wo er über Nacht herbergte. Am frühen Morgen macht er sich ganz allein davon, da Alles noch im festen Schlafe lag, ließ sein Gefolge zurück, und eilte auf seinem edeln Falben dem Zauberwalde zu. Niemand wußte, wo er geblieben war.

Immer tiefer kam er in den Wald, und immer dichter wurde das Gebüsch; Alles war einsam und öde. Er mußte vom Pferde absteigen, und sich mit dem Schwerte in der Faust Weg machen, Felsen hinan klettern, und in Abgründe hinab steigen. Er kam zuletzt in ein grünes liebliches, von hohen Felsen umgebenes Thal, wo er eine tiefe Felsengrotte entdeckte, vor welcher sich etwas regte, das einer Menschengestalt ähnlich sahe. Der kühne Jüngling schlich sich hinter den Bäumen hin, der Grotte gegenüber, und stellte sich so, daß er nicht konnte entdeckt werden.[197]

Da sahe er eine junge und schöne Dame sitzen im Grase, und auf ihrem Schoße einen kleinen Bär, der gar nicht absonderlich aussahe, und dem sie dennoch recht herzlich und freundlich liebkosete. Zu ihren Füßen trieb ein etwas älteres Bärenkind sein Spiel, schlug Purzelbäume, machte Männchen, und wollte den kleinen vom Schooße herunter haben, und die Dame hätschelte und streichelte ihn auch.

»Das ist die Bärenbraut, das ist Wulfhilde,« dachte der junge Ritter, und trat plötzlich aus seinem Hinterhalte hervor.

Wulfhilde – denn sie war es wirklich, erschrack so sehr, daß sie den kleinen Bär von ihrem Schoos ins Gras fallen ließ. Sie trat dem Jüngling entgegen und sagte mit ängstlicher Hast: »Flieh, Jüngling, flieh eilends! Hier hauset ein Bär, der Alles zerreißt!«

Aber Reinhald wollte nicht fliehen. Er überzeugte Wulfhilden, daß er ihr Bruder sei, und bestand darauf bei ihr zu bleiben.

Da führte ihn denn die Schwester, weil er nicht weichen und wanken wollte, in die Höhle, aber mit Angst und Beben, wie das werde ablaufen. In der Höhle war ein Lager von Moos, worauf der Bär mit seinen Jungen schlief; gegenüber aber stand ein großes prächtiges Bette mit seidenen Vorhängen, worin Wulfhilde schlief. Reinhald mußte sich unter dem Bette verstecken, und sollte sich nicht räuspern, nicht niesen, noch auch sonst das leiseste Geräusch machen, damit ihn der Bär nicht merke, und zerreiße, weil die Schwägerschaft beim Schwager Bär gar nichts gelte.

Kaum war er unter dem Bette, als der Bär brummend in die Höhle trat, und mit blutiger Schnauze überall umher schnupperte. Er hatte des Ritters edeln Falben im Walde aufgespürt, und zerrissen.

Wulfhilde saß auf ihrem Bette mit beklemmtem Herzen, denn sie merkte, daß der Herr Bär sehr übler Laune war. Sie liebkosete ihm zärtlich, sie streichelte ihm das rauche Haar, sie krauete ihm[198] hinter den Ohren, aber er war grämlich und achtete nicht darauf. »Menschenfleisch!« brummte er. – »Herzensbär, sagte Wulfhilde, wie sollte hier Menschenfleisch herkommen?« – »Menschenfleisch!« brummte er stärker und grimmiger, und spionirte um das Bette der Gemahlin herum, wobei dem herzhaften Ritter der Angstschweiß vor die Stirne trat. Der Bär kümmerte sich wenig darum, daß ihn seine Gemahlin bedräuete, und ihn fortgehen hieß von ihrem Bette. Eben wollte er den Dickkopf unter die Bettlade zwängen; aber da faßte sich Wulfhilde aus lauter Angst ein muthiges Herz, und gab dem Bär einen tüchtigen Fußtritt in die Weichen. Da kroch der Bär, demüthig zwar, aber noch immer ein wenig brummelnd, auf das Lager zu seinen Kleinen hin, sog an seinen Tatzen, leckte die Jungen, und schlief so fest ein, daß er schnarchte.

Nun war die Gefahr vorbei, und die Schwester versah den Bruder mit Zwieback und Wein. Auch er fiel bald in tiefen Schlaf, und schnarchte eben so arg, als der Schwager Bär.

Als Reinhald am andern Morgen erwachte, war die Höhle verschwunden, und er lag in einem prächtigen Bette, welches in einem Zimmer stand, das reich und kostbar ausgeschmückt war. Er rieb seine Augen, welchen er nicht trauen wollte, er ergriff eine silberne Schelle die da stand, und schellte, und ein nett gekleideter Bedienter trat herein, fragte nach seinen Befehlen, und meldete, daß seine Schwester und ihr Gemahl, Albert der Bär, ihn sehnsüchtig erwarteten.

Reinhald fürchtete sich vor dem Bären, aber der war ein schöner Prinz geworden, und die beiden kleinen Bären allerliebste kleine Prinzchen; die Höhle war ein großes prächtiges Schloß geworden, voll herrlicher Geräthe, Haiducken, Läufer und Diener, und Alles war anders.

Albert und Reinhald waren gleich mit einander herzlich vertraut, und Reinhald erfuhr nun, daß sein Schwager sechs Tage mit seinen[199] Kindern in Bären verwandelt würden, und das Hofgesinde würde auch verwandelt, in Dachse, Füchse, Marder, und die Hofdamen in Eulen, Fledermäuse und anderes Gethier. Am siebenten Tage aber erhielte jeder wieder seine angeborne Gestalt und Natur, und Wulfhilde sei an einem solchen glücklichen Tage von ihm heim geführt worden, und habe im Anfang gar sehr geweint; aber nun sei sie Alles schon längst gewohnt. Sie Beide liebten sich herzlich, und jeden siebenten Tag wären sie alle gar hoch vergnügt. Uebrigens habe der Zauber über Wulfhilden gar keine Macht. Sie bliebe Tag und Nacht, was sie sei.

Einen schönen Tag hatten sie zusammen verlebt, in Herrlichkeit und Lust, als Albert seiner Gemahlin etwas heimlich zuflüsterte. Es war nämlich an der Zeit, daß Reinhald nun bald Abschied nehmen mußte, weil die Stunde der gefährlichen Verwandlung herannahte, wo Albert wieder ein grimmiger Bär wurde, der, seine Gemahlin ausgenommen, keines Menschen dann schonen konnte. Der Schwager Reinhald wollte zwar gar nicht gern fort, allein es mußte so sein.

Reinhald fragte beim Abschied, was er denn thun könne den Zauber zu lösen? »Nichts, mein Bruder,« antwortete der Schwager; und nahm dabei drei Bärenhaare aus seiner Tasche und gab sie Reinhald. »Achtet sie nicht gering, sprach Albert; und wenn Euch einmal etwas zustößt, so reibt sie zwischen den Händen.«

In einem herrlichen Wagen, bespannt mit 6 Rappen, und begleitet von vielem Gefolge, fuhr Reinhald von dannen, und sausend ging es dahin. Noch funkelten am Nachthimmel die Sterne, aber als nach einer Stunde die Sterne erbleichten, erlöschten auch die Windlichter am Wagen, und die Morgenröthe schimmerte am Himmel herauf. Reinhald saß plötzlich auf der Erde, ohne zu wissen wie? und sahe noch wie sechs schwarze Ameisen mit einer Nußschale fort gallopirten, und merkte wohl, jetzt müsse die Stunde der Verwandlung eingetreten sein.[200]

Drei Tage lang zog Reinhald im Walde umher, ohne daß ihm etwas Seltsames begegnete. Aber am vierten Tage rauschte ein Adler hoch über ihm hin, und ließ sich auf einem Neste nieder, welches auf einem großmächtigen Eichbaume erbaut war. Aus seiner Größe vermuthete das Wunderkind, es möchte wohl gar der Schwager Aar sein, und verbarg sich vor seinen Fängen und Schnabel im Dicklicht.

Der Adler flog nach sieben Stunden vom Neste, und nun trat der Ritter hervor, stellte sich unter die Eiche, und rief Adelheid seine Schwester bei Namen, und sagte ihr, er sei Reinhald das Wunderkind.

»Ach, bist du mein Bruder, so sei mir willkommen, sprach es vom Gipfel der Eiche herab, denn ich bin einsam;« – und damit fiel eine seidene Strickleiter herab, auf welcher er bis zum Gipfel und ins Adlernest hinauf kam. Das Nest war fest und geräumig, und die Schwester saß auf einem Thronhimmel, ringsum mit starkem Wachstaffent gegen die Witterung geschützt und mit Atlas inwendig ausgeschlagen, und auf dem Schooße hatte sie ein Adlerei, das sie ausbrütete.

Edgar, ihr Gemahl, war auf sechs Wochen verwünscht, und in der siebenten wurde er erst wieder ein Mensch. Die erstern Wochen mußte Reinhald in einem hohlen Baume abwarten, wo ihn die Schwester von ihren Vorräthen versorgte. Sie warnte ihn vor Edgars scharfem Adlerblick, und erzählte er habe erst gestern drei Knappen des Bruders, die diesen im Walde aufsuchten, die Augen ausgehackt, und die Leber ausgefressen. Mit der Schwester aber konnte Rein und Gespräch halten, wenn der Adler vom Neste flog, denn unter sieben Stunden kehrte er niemals wieder zurück.

Als nun die gute Stunde der Verwandlung kam, da gab es ein Freudenfest. Das Nest war auch zum Schlosse geworden, wie zuvor des Bären Höhle, und fehlte es daselbst an keiner fürstlichen Pracht noch Lust, die sieben Tage währten.[201]

Am Abend des siebenten Tages bat Edgar den Schwager, er möchte nun scheiden, und nicht in seinem Gehege verweilen, damit er nicht wider Willen ihm Leides thun müsse. Und als Reinhald fragte, ob er ihn und die Schwester denn gar nicht könne erlösen? sagt der Schwager: »Nein,« wofern er nicht den Schlüssel der Bezauberung fände. Wenn er aber dazu ersehen sei, werde sich Alles schon selbst fügen. – Damit zog Edgar drei Adlerfedern aus seiner Tasche, und gab dieselben dem Reinhald, damit er sie zwischen den Händen riebe, wenn er einmal in Noth käme.

So schieden sie nun von einander, mitten in der Nacht, und als die Sonne aufstieg, war das Schloß verschwunden, welches zuvor über alle Bäume hatte hervor geragt, und war das Wunderkind vorher durch herrliche Alleen vor Waldbäumen gegangen, so befand es sich nun in einer traurigen Einöde, auf einem Felsenabhang, welcher sehr schroff war. Da erblickt es auf dem Felsen einen großen See, wo es die Schwester Bertha zu finden verhoffte.

Drei Tage arbeitete sich Reinhald durch Sumpf und Moor, durch dichten Wald und Gebüsch, ehe er an den See kam, und wie er daran gekommen war, ging er am Ufer hin, und suchte die Wohnung der Schwester. Aber da war nirgends ein Gebäude. Er rief die Schwester, aber Niemand antwortete. Er befahl den Forellen, sie sollten der Schwester ansagen, ihr Bruder, das Wunderkind sei so eben ganz frisch angekommen, aber die dummen Fische verstanden ihn nicht, und schwammen spielend davon.

»Finden muß ich sie dennoch,« sagte Reinhald; und weil er schwimmen konnte wie die Forellen im See, legte er sein Wehr und Waffen ab, behielt nur sein Schwert, und stürzte sich in den See. Und als er lange geschwommen war, da sahe er einen dünnen Nebel aufsteigen, und steuerte darauf zu, und fand eine hohle Säule von Bergkrystall, die ragte ein wenig über dem Wasserspiegel hervor, und es stieg daraus ein wohlriechender Rauch auf. Er[202] hielt sie für den Feuerschlott (Eße) von der Wohnung seiner Schwester, und stieg kühnlich hinein. Er hatte sich auch nicht getäuscht, sondern kam in das Schlafgemach der holden Schwester, die eben beim Frühstück saß, welches über einem kleinen Feuer von Sandelholz warm erhalten wurde. Sie erschrack nicht wenig, als ein Paar Menschenbeine aus dem Schlotte herunter zappelten, und ein Menschenkörper nachfolgte, und sank ohnmächtig auf ihren Stuhl zurück, aber Reinhald rüttelte sie wieder zurecht, und gab sich ihr zu erkennen, und als sie ihn bat, sich schnell zu entfernen, damit er sich und sie nicht ins Unglück bringe, sagte er: er fürchte sich gar nicht, und er verließe sich auf sein gutes Schwert. Ohs nun damit großer Ernst mochte gewesen sein, kann wohl leicht zu errathen stehen, denn er sagte doch auch zu der Schwester, sie möchte einen Versteck für ihn suchen.

»Ach du siehst ja, sprach die geängstete Bertha, daß die Wohnung von Kristall, und alles so durchsichtig ist wie die Luft.« Da er denn aber nicht weichen noch wanken wollte, wußte sie in der Angst keinen andern Rath, als den Bruder in der Holzkammer zu verbergen, und zu dem Ende verschränkte der Ritter das Holz und verbarg sich darin, und Bertha schmückte sich so schön als sie vermochte, damit sie dem Fischungeheuer gefalle, wenn dasselbe nun käme, und es desto weniger etwas Verdächtiges vermuthen möge, wenn es die Krystallwohnung umkreiste, welches es täglich einmal that.

Das Rauschen und Brausen der Wellen, und ihr Wirbeln um den Glaspalast her, meldeten die Ankunft des großen Fisches. Er stand außen vor Berthas Gemach, und glotzte die schöne Frau mit seinen Augen stier an, verschluckte Ströme von Wasser, und stürzte sie wieder aus seinem Schlunde hervor. Bertha war in unsäglicher Angst, die sich auf ihrem Gesicht verbreitete, denn sie konnte nicht wie viele Damen heiter sehen, wenn sie Traurigkeit und Angst hatte, und nicht freundlich, wenn sie Haß und Zorn im Herzen trug. Der[203] Seekönig faßte Verdacht, und umkreiste tobend das Glashaus als wollte er es zersprengen. Bertha bebte vor Angst, aber zum Glück konnte das der Fischgemahl nicht sehen, denn er hatte durch seinen Ungestüm das Wasser getrübt. Da zog er denn ab.

Alle Tage umkreiste das Ungeheuer wohl dreimal den Glaspalast, und durchspähete mit seinen Glotzaugen alle Winkel desselben. So gingen fast 6 Monat hin, aber im siebenten trat mit dem Vollmond die Stunde der glücklichen Verwandlung ein, und Reinhald befand sich beim Aufwachen in einem königlichen Palast, auf einer wunderschönen Insel mit Marktplätzen, Lustgärten und schönen Gebäuden versehen, und auf den Kanälen schwammen lustige Gondeln hin und her, und Alles war voll Leben, Gewerbe und Lust.

Mit seinem Schwanger, Ufo genannt, wurde Reinhald recht vertraulich, denn er konnte einen ganzen Monat lang bei ihm bleiben, weil Ufo immer nur den ganzen siebenten Monat ein Mensch war.

Aber eines Abends wurde dem Ritter gesagt, daß es Zeit sei Abschied zu nehmen, und der Schwager Ufo sprach ihm ernstlich zu, er möge nun nach Hause reisen, und seine bekümmerten Aeltern erfreuen, die ihn überall suchen ließen.

Ufo merkte, daß seine Worte wenig Eingang fänden, und nahm daher drei Fischschuppen aus seiner Tasche, und gab sie dem Schwager, und sagte: »Reibe sie zwischen den Händen, wenn dir einst Hülfe wird noth thun.« –

Eine reich gezierte Gondel brachte Reinhald ans Ufer. Kaum war er ausgestiegen, so verschwand die Gondel, und die Insel mit ihren Bewohnern, Gärten und Plätzen war zugleich mit verschwunden. Der junge Ritter befand sich an derselben Stelle, wo er in den See gesprungen war, und fand auf derselben alle seine Waffen wieder.[204]


Das Wunderkind zweifelte nicht, es sei bestimmt den Schlüssel der Bezauberungen zu finden, weil es doch Wunderkind heiße, und durchstrich den Wald dahin und dorthin, wohl sieben Tage lang. Um die endlosen Wildnisse zu überschauen, erkletterte es einen himmelhohen Felsen, bis auf die Spitze. Da erblickt es in einem von Felsen umschlossenen, mit Tannen und Zypressen umkränzten Thale einen seltsamen großen Bau, wie wenn ein altes Todtendenkmal dort aufgerichtet wäre, und sehr große Marmorsäulen, welche ein Gebälke trugen. Unter denselben war ein großes Thor von Stahl, mit starken Bändern und Riegeln, und es hing ein Schloß davor, größer als ein Ochsenkopf. Und ein großer schwarzer Stier marschirte im Grase vor dem Thore auf und ab, gleichsam wie eine Schildwache.

Reinhald meinte, hier müsse der Schlüssel der Bezauberung zu erhalten stehen, und beschloß den Stier zu erlegen. Er kletterte von seiner Felsenspitze herab, und kam demselben immer näher. Aber der Stier that gar nicht, als ob er ihn sähe. Als aber Reinhald immer näher kam, da lief der Stier schnaubend hin und her, rannte dumm wie ein Stier mit den Hörnern gegen den Felsen, daß große Stücke davon abflogen, und stampfte mit den Füßen die Erde, daß sie in Staub aufflog.

Der Stier kam auf den Ritter zu, und dieser führte einen gewaltigen Hieb auf ihn, um ihm mit Einem Streich den Hals abzuhauen. Aber das Ungethüm war verzaubert, und das Schwert zersprang in Stücken, und Reinhald behielt nur das Heft in den Händen. Jetzt wollt' er den Stier mit der Lanze abwehren, die aber zerknickte wie ein Schilfrohr. Nun war Reinhald wehrlos, und das grimmige Unwesen erfaßte ihn mit den Hörnern, und schleuderte ihn in die Luft wie einen Ball, und lauerte nun auf, um ihn, wenn er herab fiele, mit den Füßen zu zertreten, oder mit den Hörnern aufzuspießen. Zu seinem Glück fiel Reinhald zwischen die Aeste eines[205] hohen Baums. Da war er aber auch nicht sicher, denn der Stier stieß so gewaltig gegen den Stamm, daß sich der Baum aus seinen Wurzeln hob, und umstürzen wollte. Da wars denn aus mit dem Muthe des Ritters. In der höchsten Angst jedoch, fielen ihm die Haare des Barenschwagers ein, und er rieb dieselben aus Leibeskräften.

Da kam sogleich mit großen Schritten ein mächtiger Bär daher getrabt, der kämpfte einen harten Kampf mit dem Stier, und zerriß ihn zuletzt. Aber aus dem Bauche des Stiers flog ein streuer Entvogel mit großem Geschrei in die Höhe. Reinhald merkte nun wohl worauf es ankam, und rieb schnell die Federn vom Schwager Aar zwischen den Händen. Da kam hoch in den Lüsten daher ein mächtiger Adler, vor welchem der Entvogel sich furchtsam ins dicke Gebüsch nieder duckte, so daß ihn der Adler nicht erspähen konnte. Aber Reinhald hatte gesehen, wo er sich niederließ, und scheuchte ihn auf und verfolgte ihn, und der Entvogel flog immer weiter und weiter, bis endlich der Wald lichter wurde. Da flog der Vogel nach dem Weiher zu, und alsbald stieß der Adler auf ihn und zerriß ihn; aber indessen der Vogel zerrissen warde, ließ er ein Ei in den Weiher fallen.

Da rieb Reinhald die Schuppen von dem Schwager Ufo, und sogleich kam im Weiher ein großer Fisch, der verschluckte mit dem weit aufgesperrten Rachen das Ei, und spie es ans Land.

»Da steckt der Schlüssel der Bezauberungen darin,« dachte Reinhald, und als er das Ei mit einem Steine aufschlug, lag fürwahr ein kleiner Goldschlüssel darin. Mit diesem eilte er zum stählernen Thor zurück, und obwohl der Schlüssel für Schloß und Thor viel zu klein schien, sprangen beide doch auf, alsbald sie vom Schlüssel nur angerührt wurden, und die mächtigen eisernen Riegel schoben sich von selbst zurück.[206]

Der Ritter stieg in düstres Gewölbe hinab, und ging durch sieben prächtige Zimmer, die mit sieben Thoren versperrt waren, welche durch Berührung mit dem Goldschlüssel sich sogleich aufthaten. In allen Zimmern brannten die prächtigsten Kerzen.

Reinhald kam darauf auch in sieben Kammern, und zuletzt in ein Kabinett. Hier lag eine wunderschöne junge Dame auf einem Ruhebettlein; aber sie lag im Todtenschlaf, denn ihr Schlaf war bezaubert. Reinhald scharrte, hustete, schneuzte sich, nieste, aber das schöne Todtenbild blieb unerwecklich. – – Ihr gegenüber befand sich auf einer Marmorsäule eine seltsame Tafel von Alabaster, und wundersame schwarze Zauberzeichen waren darauf eingegraben. Sein Geist verrieth dem Ritter, dieß sei der Talisman, von welchem alle Zaubereien des Waldes abhingen.

Er wollte den Talisman zernichten, und schlug mit seiner mit eisernem Handschuh gewaffneten Faust tüchtig darauf, und die Schläferin fuhr schreckhaft auf, aber sie versank sogleich wieder in festen Todtenschlaf, als die Schläge aufhörten. Das geschahe noch einigemal, aber weil Reinhald die Tafel nur erschüttern, aber nicht zerschmettern konnte, so wachte das Mädchen auch nicht völlig auf. Da nahm er die Tafel zwischen beide Hände, und warf sie mit großem Krachen auf den Marmorboden. Alsobald zertrümmerte sie in viele Stücke, und die Schläferin erwachte nun ganz, und Reinhald sagte ihr vor allen Dingen, daß er das Wunderkind sei, und erzählte was sich hätte begeben, und die Erwachte dankte ihm mit vielen süßen und holden Worten. – Alles wie sichs gehört.

Lange dauerte es, ehe sich Beide aus den tiefen Höhlengängen heraus ans Tageslicht fanden, denn alle Lichter, welche zuvor gebrannt hatten, waren erlöscht. Aber als sie heraus gekommen waren, erzählte ihm die Auferweckte ihre ganze Geschichte.

»Hildegard heiße ich, hob sie an, und bin eine Tochter des Fürsten von Pommerland. Zornebock, der Fürst der Sorben wollte[207] mich haben zu seiner Hausfrau, aber weil er ein Heide war, und ein Riese, und ein abscheulicher Schwarzkünstler obendrein, so mochte ich ihn nicht, und der Vater mochte ihn auch nicht. Da bekriegte er den Vater, und schlug ihn in der Schlacht todt, und nahm ihm all sein Land. Ich floh zu Vaters Schwester, der Gräfin Vohburg, denn meine drei Brüder, die tapfere Ritter waren, waren auf Ritterzügen auswärts. Als ich einmal mit dem Oheim auf die Jagd wollte reiten, brachte mir ein unbekannter Stallmeister im Namen seines Herrn, den er aber nicht nennen wollte, einen wunderschönen Schimmel, und bat, ich möchte ihn erst versuchen, und wenn er mir gefiele, behalten; dann wolle er mir seinen Herrn schon nennen. Herrlich war das Pferd, und reich mit Gold und Edelsteinen geschmückt, und es gefiel meinen Augen gar sehr. Auch sahe es so sanft und fromm aus – und ich dachte ja nichts Arges. Es ging anfangs so lenksam, und so leicht, daß es die Erde kaum mit den Hufen berührte. Es setzte über Hecken und Graben, man fühlte es kaum, und kein Reiter konnte ihm folgen.

Mir stieß ein weißer Hirsch auf, den ich verfolgte. Neckend führte er mich immer weiter und tiefer in den Wald, und da ich ihn nicht einholen konnte, wollt ich umkehren zu den Jägern, die weit hinter mir waren. Da widerstrebte mir das Roß und bäumte sich wild, streckte zwei große Flügel aus, Kopf und Hals verwandelte sich in einen Vogelhals mit Greifenschnabel, und es stieg mit mir sausend in die Luft, und hielt vor einer stählernen Pforte eines alten Schlosses stille.

Es kam der Stallmeister, der mir früh den Schimmel anbot, und half mir aus dem Bügel. Er führte mich durch viele Prachtzimmer, worin viel Gesellschaft war. Der Stallmeister war aber Zornebock selbst, der nach wenigen Tagen in Gestalt eines langen Zigeuners um meine Liebe flehte, aber ich verabscheute ihn von Herzen.[208] Mehrmals bat er, ich möchte ihn doch lieb haben, ich sollte es ja recht sehr gut bei ihm haben. Aber wenn ich meinen Abscheu blicken ließ, so wurde er wild und wüthend, und dräuete, er wolle mich unter den Trümmern des alten Schlosses begraben; – das wünschte ich ja eben.

Einmal stürzte er in voller Wuth aus meinem Zimmer, da bebte die Erde unter mir, und das Schloß schien in den Abgrund hinein zu rollen. Ich verlor meine Besinnung, und sank in einen Todesschlaf, aus dem er mich aber nach Tagen oder Wochen oft wieder erweckte, und bat: ich sollte ihn lieb haben. Das konnt ich nicht, und kein Mensch hätte es gekonnt. ›Nun so schlaf denn,‹ sagte er, und hob die Tafel auf die Säule, die Ihr zertrümmert habt. Da schlief ich denn, ich weiß nicht wie lange. Er sagte mir zuvor noch, daß er meine Brüder und alle ihre Leute in große und kleine Thiere verwandeln wolle, wenn ich ihn nicht lieb würde haben. Ich weiß aber nicht, ob er das wird wahr gemacht haben?« – Also erzählte Hildegard.

Reinhald erzählte ihr dagegen nun von seinen Abentheuern, woraus sie wohl sahe, daß ihre Brüder von Zornebock seien wirklich verwandelt worden.

Indem sie noch darüber sprachen, kamen daher Pferde und Wagen, Reiter und Fußleute und allerlei Volk. Das waren die drei verzauberten Schwäger mit ihren Kindern und Leuten, die nun alle wieder Menschen waren. Alle umhalseten und küßten sich, und zogen nun nach dem alten Waldschloß, und schickten nach dem alten Graf und der Gräfin, die sogleich zum Waldschloß hin fuhren.

Da war denn viel Freude und Herrlichkeit, ein ganzes Jahr lang. Dann zog Albert der Bär fort, und kaufte das Land Bernburg, wo er die Stadt gleiches Namens erbauete. Edgar der Aar zog in die Schweiß und bauete Aarburg, die von ihm, wie der[209] Fluß Aar, der daneben fließt, den Namen hat. Ufo aber der Delphin, eroberte ein Land in Frankreich, welches daher das Delphinat (Dauphiné) hieß. Zornebock war im Kriege gegen die Königin Libusa in Böhmen umgekommen, die noch mehr Künste konnte als er, und so konnte er denn Niemanden mehr etwas thun. Reinhald aber heirathete die schöne Hildegard, die Schwester der Schwäger, und blieb mit ihr bei den alten Aeltern in rechter Liebe; und Alle lebten nun in großem Vergnügen, und in Lust und Freude, bis ans Ende.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 1, Leipzig [ca. 1819/20], S. 186-210.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon