An sie, die ich liebe

[143] Hoch oben auf dem Lebensfelsen,

Noch viele Jahresreisen weit,

Da blüht die unbekannte Blume,

Der ich mein Leben hab' geweiht


Der Weg ist steil, es brennt die Sonne,

Es schmerzt das Knie, der Fuß ist wund,

Kein Quell, nur wenig bunte Blüten,

Nach Labung lechzt der trockne Mund.


Ich bück' mich nieder zu den Blüten

Und stärke mich mit Tau und Duft –

Deswegen sollst du mir nicht zürnen,

Mein Ideal in hoher Luft.


O laß die kurzen, bunten Blüten

Zur Stärkung auf der Reise mir –

Der Weg ist steil, es brennt die Sonne,

Ich käm' vielleicht sonst nie zu dir!


Mai 1890


Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 143-144.
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