Lebensfahrt

[138] Der Nordwind streichelt die Wellen,

Die Grünwasser sinken und schwellen,

Die Sonne prallt goldig und heiß

Auf unsern lautjubelnden Kreis.
[138]

Mit Mädchen, vollblütig wie Rosen,

Starkarmige Frohburschen kosen,

Wein, Lachen und lauter Gesang

Und plätschernder Meerwellen Klang.


Ich sitze stumm in der Mitte,

Wie immer der paarlose Dritte,

Ich denke an Klippe und Riff

Und unser schwachplankiges Schiff.


Wildfremd noch waren wir gestern,

Und lieben sich heute wie Schwestern,

Und morgen im maigrünen Wald

Vielleicht die Pistole schon knallt.


Die Wasser sich dehnen und blähen

Um klippige, zackige Höhen,

Ein greller, landsuchender Schrei,

Und Lachen und Lieben vorbei.


Ich einziger wurde gerettet,

Auf meerfeuchtem Sande gebettet,

Im Tang eine schneeweiße Hand –

Ich habe sie einmal gekannt.


Ich pfeife mein sorgloses Liedchen:

Natur, du kühltest dein Mütchen,

Wer weiß, ob mich morgen nicht auch

Fortpustet ein giftiger Hauch.


Münster, Februar 1890


Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 138-139.
Lizenz:
Kategorien: