Der Fuchs und der Bock

[51] Als Weggenossen hatte einst der Fuchs den Bock.

Der trug das schönste Bartgelock

Und ein gewaltiges Hörnerpaar,

Wenngleich er sonst kein Wunderexemplar

Von einem starken Kopfe war.

Dem andern aber war ein Kopf voll Tücke eigen.

Nach langer Wandrung zwang der Durst die zwei,

In einen Brunnenschacht hinabzusteigen;

Denn Wasser war die beste Arzenei.

Und als sie reichlich davon eingenommen,

Sprach Meister Fuchs: »Der Trunk hat gut gelabt.

Nun aber, Vetter Bock, nun sagt mir, habt

Ihr einen Rat, wie wieder hier hinauszukommen?

Doch hört, ich weiß: Ihr hebt Euch auf die Hinterfüße

Und reckt die Hörner hoch und stemmt sie an die Wand,

Ich klettre dran hinauf und grüße

Zuerst die Oberwelt und ziehe auf den Rand

Des Brunnens Euch dann nach.«

Der Bock, beistimmend, sprach:

»Bei meinem Bart, das nenne ich Verstand!

So kluge Leute schätz ich sehr.

Ich selber hätte nimmermehr

Den Ausweg hier heraus gefunden.«

Nun schafft der Fuchs sich hoch und läßt den Bock da unten

Und mahnt ihn tröstend zur Geduld.

»Hätt Euch«, sagt er, »des Himmels Huld

Den Geist so groß wie Bart und Horn gemacht,

So hättet Ihr Euch wohl bedacht,

Bevor Ihr da hinabgesprungen.[52]

Mir ist der Rückweg leicht gelungen,

Nun sorgt auch Ihr, wie Ihr herauskommt aus dem Schacht.

Mir eilt's, ich hab Geschäfte, lebet wohl!« Er ging.


Bedenket wohl das Ende stets bei jedem Ding!

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 51-53.
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