Die Frösche, die einen König verlangen

[49] Demokratie gefiel dem Fröschevolk nicht mehr,

Sie schrien und jammerten so sehr,

Daß Zeus im Himmel sie erhörte

Und ihnen wunschgemäß die Monarchie bescherte.

Es fiel ein König, gut und friedevoll, vom Himmel,

Doch war der Lärm, mit dem er sich

Im Teiche niederließ, so arg,

Daß unser ganzes Froschgewimmel

Töricht erschreckt und ängstiglich

In Binsen, Schilf und Uferlöchern sich verbarg.

Die Ärmsten fürchteten voll Grauen,

Dem Herrn von Gottes Gnaden ins Gesicht zu schauen,

Sie hielten ihn für einen wilden Riesen gar,

Ihn – der doch nur ein Balken war!

Der erste Quaker, der sich, trotzend der Gefahr,

Aus seinem Loch hervor dem Klotz zu nahen wagte,

Erzitterte und zagte.

Ein zweiter folgte nach und bald die ganze Schar.

Neugierig wurden sie und schließlich so verwegen,

Daß sie dem König auf die Schulter sprangen.

Der duldet's still und ohne sich zu regen.

Doch bald wird Zeus von neuem angegangen.

Die Frösche schreien voll Verlangen:

»O gib uns einen König, der sich rührt!«

Da setzt die Gottheit einen Kranich in den Teich.

Den hat das Völkchen bald gespürt!

Er knackt sie, tötet sie, verschlingt sie nach Gefallen.

Von neuem tönen Klagen aus der Frösche Reich.

Da hört man vom Olymp des Gottes Stimme schallen:[50]

»Glaubt ihr, ihr zwängt nach eurem Wunsch mich immerdar?

Ihr hättet, was ihr anfangs hattet, halten sollen!

Ihr tatet’s nicht; weswegen mußtet ihr denn grollen

Ob eures ersten Königs, der voll Sanftmut war?

Gebt euch mit diesem zweiten nun zufrieden,

Sonst wird vielleicht ein schlimmrer euch beschieden!«

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 49-51.
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