[138] Siegmund. Die Vorigen.
SIEGMUND tritt schon bei dem Worte »Zumutung« durch das Vorzimmer rechts ein und überreicht dem Prinzen einen großen Brief. Königliche Hoheit, der erste Kurier, dem man schon auf der Station nach Borsdorf begegnet ist. Ich hoffe doch, Königliche Hoheit recht verstanden zu haben, daß noch ein zweiter Kurier erwartet ist, und daß unsre Reiter unbekümmert um den ersten Station fassen sollten bis Wurzen?
PRINZ. Ganz recht!
SIEGMUND ab von wo er gekommen. Alles weicht in die Reihe an der rechten Seite zurück, auch Gellert.[138]
PRINZ tritt einige Schritte vor, die Depesche aufreißend. Man sieht, daß ihm der Inhalt einen lebhaften Eindruck verursacht. Zu Zastrow. Euren Schreibstift, Zastrow! Schreibt stehend, indem er die Depesche auf den Tisch legt, in diese Depesche hinein. Von Wedell! Dieser kommt eiligst zu ihm marschiert. Diese hier unten beigeschriebene Order unverzüglich ausfertigen und durch Ordonnanzen schleunigst versenden an alle Regimenter!
WEDELL. Zu Befehl! Wendet sich.
PRINZ. Noch eins! Ein Blatt Papier! Wedell bringt seine Brieftasche aus der Uniform, um zu suchen, Zastrow überreicht ihm aber rascher aus dem Portefeuille ein Blatt. Zu Wedell. Vorwärts! Wedell links ab. Der Prinz setzt sich, sobald Zastrow das Papier auf den Tisch vorlegt, und schreibt hastig einige Worte darauf. Dies in Kuvert schlagen! An des Königs Majestät adressieren, und durch Kuriere, die ventre à terre zu reiten haben, nach der schlesisch-lausitzer Grenze, wo der König heranziehen wird!
ZASTROW. Zu Befehl! Ab nach des Auditeurs Zimmer. Bald sieht man ihn mit einem Briefe von da in den Vorsaal hinausgehen. Im Verlauf nimmt er und Wedell wieder Platz an der linken Tür.
PRINZ geht lebhaft auf und nieder; an Gottsched und den Damen vorüberkommend, scheint er sich schmerzhaft zu erinnern, daß er noch zu entscheiden habe, und geht an den Tisch, den Brief an Serbelloni lesend. Er schüttelt den Kopf. Beendigen wir dies peinliche Gericht! Wie gern ich möchte, ich kann nicht allen helfen. Dieser Brief an Serbelloni ist zu feindlich gegen uns und wird dadurch zu bedeutend, daß er von einem Manne ausgegangen ist, der eben erst öffentlich gegen eine preußische Behörde protestiert hatte an der Spitze einer großen Körperschaft. Den Sinn dieser Protestation darf ich gutheißen; denn es wäre Preußens unwürdig, die Freiheit der Wissenschaft antasten zu wollen, es wäre Preußens Untergang, die Wissenschaft zu erniedrigen. In diesem Betrachte kann ich, wie gesagt, beim Könige verantworten, daß ich alles als nicht geschehen und nicht vorhanden bezeichne, was der Wirrwarr des Krieges an die Oberfläche getrieben hat. –
Anders ist es aber mit den übrigen Anklagepunkten! Schelten Sie mich nicht, lieber Gellert! Politik ist ein schlimmes Wesen und macht die Menschen hart; denn ihr erstes Gebot heißt: Unterdrücke die Stimme des Herzens! Der König heischt von mir so strenge[139] Verantwortung wie von jedem anderen, vielleicht noch strengere. Und der König muß streng sein, solange halb Europa gegen ihn stürmt. Der kleine Strich Landes, welchen er mit täglicher Lebensgefahr behauptet, muß ihm jetzt uneingeschränkt gehören, sonst verliert sein Fuß den letzten Halt! Er muß unerbittlich streng sein auch gegen jeden Schatten von innerer Feindschaft. Dadurch bin auch ich leider genötigt, hier strenge zu verfahren.
Ihnen, Frau Gräfin, muß ich deshalb wiederholen, daß Ihr Herr Gemahl vom schlimmsten Schicksal bedroht ist!
GRÄFIN. Mein Gott, mein Gott!
WILHELMINE. Lassen Sie uns zu ihm, königlicher Herr, damit er doch nicht allein leide!
PRINZ. Das kann ich wohl tun, mein liebes Kind. Die Gefahr kann ich nicht von seinem Haupte wenden, aber Trost und Stärkung für das Äußerste kann ich ihm gewähren.
WILHELMINE. Gott lohn' es Ihnen!
PRINZ. Professor Gottsched! Ihr Empfehlungsbrief eine Landesfeindes ist unverzeihlich vom preußischen Standpunkte. Daß Sie auch noch Kriegsnachrichten eingemischt in einem Zeitpunkte, der eine entscheidende Schlacht im Schoße trug, das müssen die Kriegsherren schonungslos strafen. Ich gäbe viel darum, wenn Sie diesen Brief nicht geschrieben hätten! Wendet sich nach seinem Stuhle.
FRAU GOTTSCHED vortretend. Er hat ihn nicht geschrieben!
PRINZ. Was soll das?
FRAU GOTTSCHED. Ich wiederhole es: Gottsched hat diesen Brief nicht geschrieben!
Allgemeines Erstauen.
PRINZ. Sie sind seine Gattin!
FRAU GOTTSCHED. Das bin ich, Königliche Hoheit.
PRINZ. Versuchen Sie nicht ein Leugnen, welches hier übel am Orte wäre – wer soll den Brief geschrieben haben, wenn nicht Professor Gottsched?
FRAU GOTTSCHED. Ich hab' ihn geschrieben! Auf mein Haupt falle die Verantwortung!
GOTTSCHED. Luise!
Pause.
PRINZ in den Brief sehend. Gute Frau! Die Unterschrift ist Gottscheds![140]
FRAU GOTTSCHED. Die Unterschrift ist Gottscheds, ja. Aber Gottsched weiß jetzt noch nicht genau, was in dem Briefe steht: er hat ihn unterschrieben, aber nicht gelesen. Bezeugen Sie, Graf Bolza, der Sie zugegen waren, ob ich die Wahrheit spreche! – Bolza schweigt. Sie fürchten mir zu schaden! – Königliche Hoheit, ich bin bereit, mit einem feierlichen Eide zu erhärten, was ich gesagt! Mir gebührt die ganze Verantwortung!
Kurze Pause.
GALLERT tritt vor. Meine edle Freundin!
PRINZ. Herr von Rothenhain!
CATO tritt vor; in dem Augenblick aber kommt Siegmund von rechts hinten.
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