Fünfte und letzte Szene.


[141] Siegmund. Die Vorigen.


SIEGMUND spricht schon an der Tür und kommt an Gellerts rechter Seite vorüber. Königliche Hoheit, der zweite Kurier!

PRINZ die Depesche hastig ergreifend. Vom Kurprinzen? Haftig aufreißend. Ja – ja ja! In größter Freude. Du hast mir eine glückliche Hand, Schlesier, bitt' dir eine Gnade aus! Dabei aber wieder in den Brief sehend und Siegmund wegdrängend, weil er nach hinten will und auch während der nächsten Worte nach hinten geht.

SIEGMUND. Eine Gnade?! Herr Gott, was nun geschwinde?!

KATHARINA kommt an seine rechte Seite gesprungen.

SIEGMUND. Richtig!

PRINZ hinten, halb zu dem Adjutanten, halb nach dem Saale hinaus mit starker Stimme. Die Trompeter des Regiments! Ich lasse die Herren von Leipzig bitten, mir dreißig Fässer Wein zu verkaufen – Links nach vorn kommend, aber wie nach hinten kommandierend. Jeder Soldat bis zum Packknecht hinunter soll heute abend seine Flasche Wein trinken! Die Adjutanten gehen ab. Alles rückt um einen Schritt näher an den Prinzen. Der Prinz, Gellert die Hände entgegenstreckend. Ja, mein guter Gellert, das dacht' ich wohl, es kann einem nur Segen bringen, einem guten Menschen begegnet zu sein!

GELLERT erstaunt fragend. Königliche Hoheit?

SIEGMUND. Heuraten will ich, Königliche Hoheit!

PRINZ. Oho, und die Kriegsartikel? – Du willst doch nicht den Abschied haben? Auf Gellert zugehend und ihn bei der Hand ergreifend;[141] dabei weicht Katharina und Siegmund zurück. Gellert! Er führt ihn links gegen das erste Fenster, bleibt aber unterwegs noch stehen und sagt. Man hat mir gesagt, Sie seien kränklich vom Stubensitzen, Arbeiten und Sorgen. Sie sehen mir blaß aus. Das muß anders werden mit Ihnen! Kommen Sie, ich weiß ein Mittel! Zum Fenster hinabzeigend. Sehen Sie das weiße Roß da unten, das so ruhig steht in all' dem Lärmen?

GELLERT. Jawohl, ich hab's vorhin schon bewundert!

PRINZ. Das ist ein braves Tier: es hat mich in der Freiberger Schlacht sicher und gut getragen, und es soll von nun an meinen wackern Gallert tragen!

GELLERT. Ach, königliche Hoheit, – aber ich bin ein schwacher Reiter!

PRINZ. Deshalb brauchen Sie ein sanftes, festes Roß; denn reiten müssen Sie mir jetzt täglich, damit Ihr liebes Antlitz bessre Farbe kriege!

GELLERT. Mein gnäd'ger Herr! Aber eben weil das Tier so zuverlässig in der Schlacht, ist's Ihnen ja nötig –

PRINZ ihn nach der Mitte vorführend. Das ist's ja eben, lieber Freund, was mich plötzlich so erheitert: Mit größter Lebhaftigkeit. Von heute an gibt's keine Schlachten mehr!


Allgemeine Bewegung, und alle treten näher. Siegmund und Katharina kommen links vor. Schladritz hinter ihnen.


GELLERT. Keine Schlachten?

CATO. Keine Schlachten mehr?!

GOTTSCHED. Keine Schlachten mehr?

PRINZ. Der erste Kurier brachte Waffenstillstand mit Österreich und Sachsen. Das war ein gutes Zeichen, aber mehr noch nicht. Um darauf zu rechnen, bedurfte ich einer Antwort von Eurem Kurprinzen, der ein gar einsichtsvoller und liebenswürdiger, zur Versöhnung geneigter Herr ist. Das ist die Antwort, und sie lautet: daß er alles vorbereitet mit den Kaiserlichen, und daß Gellert, daß die Präliminarien des Friedens beginnen können!

ALLE. Des Friedens? Des Friedens?

GELLERT. Des Friedens? Das walte Gott!

PRINZ. Jawohl! Und ich denke, er wird es! Nicht nur die Völker, auch die Herrscher brauchen dringend den Frieden. Niemand schmollt, als unsre tapfern Degen, wie Seydlitz, der ein verdrießlich[142] Gesicht machte zu der Aussicht. Das ist auch in der Ordnung. Ein guter Degen will Arbeit. Wir aber, die wir nicht bloß den Degen führen, wir wollen Gott im Himmel danken für diese endliche Morgenröte!

GELLERT. Jawohl!

CATO. Jawohl!

GOTTSCHED. Jawohl!

GELLERT. Amen!

SIEGMUND. Königliche Hoheit, jetzt geht es aber wohl mit mir?

PRINZ. Mit dir? Ja freilich geht's mit dir – nach Rheinsberg sollt ihr beide mit mir kommen, damit ich euch versorgen und mich zeitlebens des ersten Friedenstages erfreuen kann. Und nun – Eine Bewegung mit der Hand, alle weichen wieder etwas zurück. euch alle kann ich nicht retten trotz des Friedens. Alle treten noch weiter zurück – kurze Pause. Professor Gottsched! Ohne ihn anzusehn. für Sie bin ich jetzt allerdings bei meinem Bruder mächtiger; denn ich habe den Frieden begonnen. Sie sind mir aber anderweitig aus den Händen gespielt worden Frau Gottsched ansehend. – Sie haben Ihre Gnade hier nachzusuchen – Zu Gottsched. Schätzen Sie diese Perle nach Verdienst!

FRAU GOTTSCHED vortretend. Mein gnädigster Herr!

GOTTSCHED desgleichen. Gnädigster Prinz!

PRINZ. Graf Bolza! Prinz geht dabei nach links, ohne Bolza beim Folgenden anzusehen.

GOTTFRIED der mit Schladritz schüchtern von hinten gekommen, fragt jetzt unmittelbar nach dem Worte »Graf Bolza« Schladritz halblaut. Werd' ich nicht gehenkt?

SCHLADRITZ ebenso rasch und halblaut. Noch nicht! Bist noch zu dumm!

PRINZ ohne Beachtung dieser Worte fortfahrend. Unsere Truppen sollen Ihnen, Graf Bolza, nicht begegnet sein. Aber Sie verlassen von nächster Stunde an Kursachsen und lassen sich in Deutschland nicht betreffen, soweit preußische Truppen reichen, wenn Ihnen Freiheit und Leben wert ist!

BOLZA. Königliche Hoheit –

PRINZ. Dies Wort ist unwiderruflich! Weiteres kann ich und will ich vor dem Könige nicht verantworten. Der harmlose Ausländer sei uns willkommen und wert; der räuberische Ausländer sei uns ein blanker Feind. Dies möge unsrer krankhaften Vorliebe für das bunte[143] Fremdentum eine Lehre sein, Zu Gellert, der am Stuhle steht, mit schwächerer Stimme. wenn es für gründliche Fehler hilfreiche Lehre gibt.

GELLERT. Leider, leider!

PRINZ. Und nun zu ihm, Nach Cato umsehend. dem Gefährlichsten von allen! Kennen Sie die Flugschrift, Gellert, und können Sie für diesen leichtblütigen jungen Mann ein Wort der Entschuldigung sprechen?

GELLERT. Ich kenne die Schrift, und meine gar wohl Hinter dem Prinzen zu Cato hinübergehend und dessen Hand ergreifend. bürgen zu können für die brave Gesinnung dieses Mannes.

WILHELMINE. O Sie guter Gellert!

PRINZ an den Stuhl gehend und Cato nicht ansehend. Herr von Rothenhain, Ihre Feder ist gewandt! Unser Friedensgeschäft wird solcher Federn bedürfen. Wollen Sie zu uns treten und Ihre Flugschrift durch einen Nachtrag berichtigen?

CATO einen Schritt vortretend. Was soll ich berichtigen?

PRINZ. Was Sie gegen Preußen gesagt!

CATO zwei Schritte rasch vorschreitend. Damit nur Lob und Zufriedenheit übrigbleibe, wo Lob und Zufriedenheit eine Lüge, eine Freveltat an meinem Vaterlande wäre – das kann ich nicht! Lieber hinaus in die Verbannung, oder wohl gar in den Kerker! Lieber leiblich verderben als an der Seele Schaden leiden!

PRINZ sich halb nach ihm umwendend. Junger Mann! Seydlitz ist von mir beauftragt gewesen, Ihn zu verhaften, weil ich – Mit freundlicher Stimme. Ihn kennen lernen wollte – Gellert, Gottsched, Frau Gottsched, Wilhelmine drücken durch ein leises »Ach!« ihr Erstaunen aus. Weil ich Seine Flugschrift genau gelesen hatte, weil ich Seine politische Ansicht von Deutschland und Preußen Auf Cato zutretend. teile!

CATO. Königlicher Herr!

WILHELMINE. Gnädigster Herr! O Mutter!

GELLERT. O Sie vortrefflicher Mann!

PRINZ. Ich mußte doch sehn, ob das etwa nur geschriebene Redensarten wären, und ob man weiteres tun könne für solchen Brausekopf.

GELLERT Cato und Wilhelminen bei der Hand ergreifend und dem Prinzen vorstellend, bittenden Tones. Zum Beispiel, gnädigster Prinz!

PRINZ. Das ist nicht meines Amtes, lieber Gellert, und das muß – der Frau Gräfin überlassen bleiben, oder Pause, einen Schritt auf sie zugehend. – dem Gemahle der Frau Gräfin!

[144] WILHELMINE zum Prinzen stürzend und dessen Hand ergreifend. O mein gnädigster Herr!

CATO desgleichen tuend und dem Prinzen die Hand küssend. Mein königlicher Retter!

GELLERT. Gott segne Sie, mein Prinz!

GRÄFIN in großer Bewegung die Arme aufhebend. Er ist aber von niedrem Adel; wird es konvenabel sein?

GELLERT einfallend. O mein Gott, er ist vom besten Adel!

PRINZ. Es wird sehr konvenabel sein.

BOLZA hintenbleibend. Königliche Hoheit, ich vermisse die Gerechtigkeit gegen mich! Solch ein Ausländer wird belohnt, fast weil er Ausländer ist, und ich werde –

CATO. Ich bin kein Ausländer.

GELLERT. Hier ist kein Ausländer weiter!

PRINZ. Nein, hier ist sonst keiner! Der deutsche Gast bei uns sollte nimmermehr Ausländer heißen! Können wir diesen Eigensinn der hundertfältigen Souveränität austreiben, dann wird unser Reich die Macht einnehmen, welche ihm gebührt. Gott mag wissen, ob es uns gelingt: denn das Übel sitzt in harter und vielfach respektabler Schale. Aber trachten sollen wir auch in diesem Sinne nach Macht und Herrlichkeit und zwar mit Feder und Schwert. Was wir vielleicht nicht erleben, das erleben doch am Ende unsre Kinder oder Kindeskinder, ein nicht nur einiges, sondern auch starkes deutsches Reich!

GELLERT in große Bewegung geratend bei dieser Rede, winkt bei den Worten »Ausländer heißen« Siegmund, nach hinten deutend und die Pantomime des Blasens machend. Dieser wiederholt die Pantomime nach der Tür hin.

GELLERT sehr lebhaft und schnell. Ja, wir sind ein Volk von Brüdern vom bleichen Sande der Memel bis an die dunklen Wälder der Vogesen!

CATO sehr rasch und lebhaft einfallend. Von der grünen Nordsee bis an das blaue Adriatische Meer!

PRINZ ebenso. Ein einig Volk von Brüdern, Den Hut abnehmend. das gebe Gott!


Fanfare.


GELLERT, CATO UND PRINZ. Es lebe unser deutsches Vaterland!

ALLE. Es lebe unser deutsches Vaterland!


Der Vorhang fällt rasch.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 141-145.
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