Zweite Szene.


[91] Christine kommt eilig, aufgeregt. – Brahe. Zwei Schüsse.


CHRISTINE. Das schlägt mir wie Donner Gottes ans Herz! – Was sagt man, Brahe? – Man versammelt sich?

BRAHE sich verbeugend. Man versammelt sich.

CHRISTINE. Wird der Reichsrat zahlreich?

BRAHE. Vollzählig, Majestät.

CHRISTINE hin und her gehend. Ach, Brahe, das Leben lastet auf uns, wenn es keine Ansprüche an uns macht, es lastet dann bleiern mit Langerweile, und es lastet schmerzend wie glühendes Eisen, wenn es Entschlüsse und Handlungen fordert!

BRAHE. O Königin, laß dir diesen Eindruck ein Zeichen des Himmels sein, daß die Handlung, welche du heute vor hast, nicht die richtige ist; die richtige Handlung macht uns leicht, sie belastet uns nicht.

CHRISTINE bleibt stehen und schweigt.

BRAHE. Noch ist's in deiner Hand! Der Reichsrat erwartet[91] zwar in nächster Stunde, daß du die Krone Schwedens niederlegen werdest in die Hände deines Vetters, er erwartet's, denn all deine Schritte haben's verkündet, aber er wünscht es nicht, kein Mensch wünscht es, dein Vetter selber nicht – bleibe Königin, Christine! Wir sind es alle gewohnt an dir, daß der Geist aus dir hervorleuchtet unerwartet, unberechenbar wie der Blitz des Himmels – unaussprechlicher Jubel würde ausbrechen, wenn du statt der Abdankung ein ander Wort aussprächest –

CHRISTINE. Und auch du hältst mich für ein bloßes Weib? Weiber, heißt es, wechseln die Entschlüsse, wie der Aprilmond das Wetter wechselt! Und nach dem ersten Rausch und Lärmen käme die kühle spöttische Bemerkung, da hieße es erst leise und einzeln, dann laut und überall und schwölle über Europa hin; ja, der romantische Entschluß ist ihr leid geworden, als es zur Entscheidung kam; aus dem europäischen Schauspiele ist eine kleine Komödie geworden, wie's von einem Mädchen, das mit Dichtern tändelt, zu gewärtigen war!

BRAHE. Nein, Königin, nicht also wird es heißen!

CHRISTINE. Es wird – und wie sollte ich denn die Wendung finden für ein Lustspiel? Sprich! Der Reichsrat erwartet, daß ich in nächster Stunde abdanke, jahrelang habe ich nur darauf hingearbeitet – soll ich sagen vor ihm, vor Schweden, vor Europa, das alle Blicke hergerichtet, soll ich lächelnd bekennen: das war alles ein Spiel und weiter nichts! Ein Spiel, um zu prüfen, ob das Land mich hochhalte? O pfui!

BRAHE. Nein, Königin, nicht also!

CHRISTINE. Wie sonst? Rede!

BRAHE. Euer würdiger Vetter Karl Gustav ist von Euch selbst bestimmt, die Krone heut aus Euren Händen zu empfangen, er ist ein edler, hoffnungsreicher, liebenswerter Herr, er verehrt Euch, er liebt Euch, er ist von keinem unbilligen Ehrgeize getrieben, er wünscht die Krone nicht, solange Ihr sie tragen könnt, er ist Euch innig ergeben, er wirbt seit Jahren nicht bloß um Eure Hand, er wirbt um Eure Liebe – wäre es nicht groß und erhaben, wenn Ihr heute ein Vorurteil niederlegtet, statt die Krone niederzulegen, Euer Vorurteil gegen die Ehe, die einzige von Euren seltenen Eigenschaften, die nicht gut tut an der Spitze einer Staatsgesellschaft?[92]

CHRISTINE. Und die Krone legte in meines Vetters Hand mit meiner Hand?

BRAHE. Ja, Königin!

CHRISTINE. Und meinen ganzen Sinn, meinen persönlichsten Sinn verleugnete, und die Zweite würde in einem Reiche, wo ich bisher die Erste gewesen! Und das alles nur in geschwinder Hast, da schon die Kanonen aufspielen, und nur in geschwinder Hast, um ja nichts Ungewöhnliches zu tun, um nichts zu tun, wovor die Mittelmäßigkeit erschrecken könne?! – Das ist eure Art, das Weib zu Weibern zu stellen, das Weib weibisch zu machen!

BRAHE. Nein, Königin.

CHRISTINE. Ja, Brahe! Das ist eure Männerart! Ihr mögt ein Weib nicht begreifen, auch wenn ihr könntet! Ihr wollt nicht, daß sich jemals eins selbständig fühle – warum? Fragt den Despoten, warum er nichts aufkommen lasse neben sich!

BRAHE. Fragt die Natur, warum sie das Weib zur Ergänzung der Welt und nicht zum Regimente über die Welt geschaffen!

CHRISTINE. Wer sagt euch, daß sie das getan?

BRAHE. Der Stoff der Welt ist hart – sind die harten, schwieligen Hände, sind die ehernen Nerven beim Weibe zu finden? Wenn die Geschlechter in Liebe sich begegnen, an welchem offenbart sich die Folge, welche alles Handeln lähmt und vernichtet? Der Mann bleibt frei, bleibt ungehindert für alles, was kommen mag!

CHRISTINE. Wer heißt das Weib sich hingeben?

BRAHE. Die Natur!

CHRISTINE. Die Natur! Bin ich außer der Natur? Und doch empört sich mein ganzes Wesen gegen die Hingebung an den Mann!

BRAHE. Ihr seid eine Ausnahme in vielen Dingen, Königin, aber es geziemt eben großen Geistern, daß sie das ihnen inwohnende Ungewöhnliche nicht zum Gewöhnlichen machen und nicht zur Regel aufdringen wollen, denn solche Regel würde ein unnatürlicher Zwang.

CHRISTINE. Danach geziemte es mir auch, von einer gesetzgeberischen Stellung zu weichen, wo alles wie eine Regel erscheinen soll, was an mir sich zeigt – Ihr beweist für meine Abdankung, Brahe, nicht gegen sie. – – Und ich werde das Zagen abschütteln, was mich im entscheidenden Augenblicke anwandelt, ich werde euch zeigen, daß ein Weib so viel vermag wie ein Mann.


Pause. Kanonenschläge.[93]


Acht Jahre lang hab' ich über dem Entschlusse gebrütet – was kümmert's mich, ob man Bravo! ruft, oder nicht! Ich bin ehrgeizig, aber ich tu nicht das Wichtigste des Ehrgeizes halber; also tut nur die kleinliche Eitelkeit. Ich will, ich brauche Ruhe um mich her – Schweden ist jetzt groß, ich will den alltäglichen Gang der Dinge nicht an mir erleben, daß alles aufsteigt, um wieder hinabzusinken. Und es hätte allen Anschein dazu! Soll ich mich mit den widerwärtigen Geldsorgen für dies arme Reich hier herumschlagen? Vorwurfsvolle Blicke sehn, wenn eine meiner schönsten Wallungen Geld kostet? Nein. Ich will niemand verantwortlich sein, als mir selbst. Und bin ich nicht Königin genug, um auch nicht Königin mehr zu heißen, wenn es mir so gefällt? Pause. Gehe hinüber, Brahe, zu Karl Gustav, sag' ihm die letzten Bedingungen, unter denen ich das Regiment niederlege. Ich muß meine Domänen zu festem Eigentume behalten und damit schalten und walten können, wie mir's beliebt. –

BRAHE. Dies könnte das Reich zerstücken. –

CHRISTINE. Ich muß nicht Untertanin werden, sondern freie, unabhängige Königin bleiben, wo ich auch sei, auch in Schweden!

BRAHE. Das gäbe zwei Herrscher!

CHRISTINE. Wen ich begünstigt, darf er nicht verstoßen – geh' hin, Brahe, und sag' ihm das!

BRAHE. Ich eile, Königin, denn unter diesen Bedingungen bleibst du Königin von Schweden!

CHRISTINE. Dich, Peter Graf von Brahe, ernenne ich zum Herzoge.

BRAHE. Wenn ich vor deinem Heere herziehen kann, so will ich Herzog sein – sonst dank' ich dir! Ich kann's nur sein, wenn du Königin bleibst!

CHRISTINE. Königin bleib' ich, mein Brahe, es geschehe was mag. Ab.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 91-94.
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