11. Kuckuck.

[187] Der Kuckuck und die Nachtigal seynd die ersten Sommer-Boten. Es hat aber der Kuckuck einen überaus bösen Nahmen für seine Unschuld und fröliche Zeitung. Dann man schreibet und saget / er sey von Art und Natur ein Sperber: Bespeye Kräuter und Blumen / daß Raupen daraus wachsen: Er fresse den Ringel-Tauben oder Graß-Mücken die Eyer[187] oder Jungen auf: Lege sein eigenes Ey ins Nest / und wanns ausgebrütet ist / und der junge Kuckuck ausfleucht / so ergreifft er seine Mutter selbst / würge und fresse sie. Daher muß der Kuckuck ein Fürbild seyn der Undanckbarkeit gegen die Eltern / Præceptores und Wohlthäter: und ist in der Lateinischen Sprache nichts gemeineres / als daß man sagt von einem Undanckbaren / er sey ingratus cuculus.

Wann mans aber recht wil beym Licht besehen / so geschicht dem guten Kuckuck unrecht / und kan er gar leicht entschuldiget werden. Dann alles / was von ihm erzehlet wird / eitel falsch / und ferne von der Warheit abe ist. Fürs erste / ist er nicht Sperbers Art / sondern vom Geschlechte der wilden Tauben: Das Weiblein ist blaulicht / wie eine Holtz-Taube. Das Männlein bräunlich / und wird der rothe Kuckuck genennet. Sie haben aber beyde schöne gelbe Füsse wie ein Sperber: Dahero vielleicht dieser Irrthum kommen. Sonsten seynd ihnen die Sperber und Habichte so sehr aufsetzig / daß sie sie fressen wie eine Turtel-Taube. Ein Sperber aber frißt den andern nicht: Auch nicht ein Rabe den andern. Daher kommt / daß der Kuckuck sich nicht sehen oder hören lässet / ehe er sich auf den Bäumen mit Laube bedecken kan. Und so bald er einen Sperber oder eine Krähe fliegen siehet /macht er sich davon. Uber das isset er durchaus kein Fleisch / wie die Sperber thun; sondern allein Maden /Würme und Raupen. Darum lässet er sich sehen und hören / so bald die Früh-Raupen aus ihren Nestern ausgekrochen. Wann aber dieselbe vergangen und hinweg seyn / so verleuret er sich auch / und suchet ein ander Land. Wann man ihn im Hause aus dem Nest aufzeucht / so isset er den[188] Winter über gerieben Monsaat / Brey und Gersten-Mehl und Kleyen: Nimmt durchaus kein Fleisch an / welches doch die Nachtigaln / Lerchen und andere Mücken-Fänger thun. Wie solte er dann seine Brüder / die jungen Ringel-Tauben / Graß-Mücken / und endlich seine Mutter die Ringel-Taube / die zweymal grösser ist / als er /fressen? Oder die Graß-Mücke / die ihm im Fliegen viel zu geschwinde ist? Daß aber die Graß-Mücke ihn mit Frieden und Freuden länger dann vier Wochen speiset / wann er aus ihrem Nest ausgeflogen / giebt auch die tägliche Erfahrung: Und zwar fürchtet sie sich gar nicht / daß er sie fresse. Darum wird der unschuldige Kuckuck mit solcher falschen Auflage und Lästerung unbillich hintergangen.

Es leget aber der Kuckuck sein eigenes Ey in ein fremd Nest / das vielleicht in der Natur darum also geordnet / damit er die Kürtze von Tiburtii biß auf Johannis des Tauffers Tag sich frölich mache / und bey den Eulen und andern Raub-Vögeln nicht an der Stimme verrathen und auf dem Nest ergriffen werde.

Wann im Meyen ein Frost einfällt / so ruffet er heischer: Alsdenn sprechen die Bauren / die Stimme sey ihm erfroren. Wenn er nach St. Johannis ruffet / achten sie es für ein Zeichen der theuren Zeit. Dann es ist eine Anzeigung / daß der Anfang des Meyens kalt gewesen / und der Kuckuck seinen Gesang spat angefangen: Und die Raupen hernach desto länger bleiben: Welches warlich den Blumen und andern Feld-Früchten grossen Schaden bringet.

Daß er aber speyen solte / ist wider seine / ja aller Vögel Natur. Kein Vogel speyet / was er eins gesehen hat. Er hat aber ein sonderlich Geruffe / damit er seinen[189] Ehegatten ruffet / das nennen etliche Lachen; und ist er demnach nicht ein Vater / sondern ein Mörder der Raupen / dessen man ihn billich solte geniessen lassen.


Man muß nicht alles glauben / was die Gelehrten schreiben. Die Bauer-Regeln seynd nicht zu verachten /gleichwol so seynd es keine Glaubens-Artickul.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 187-190.
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