13. Von der Lerche und deren Jungen / des Ennii Beyspiel.

[191] Wann ein Mensch durch seinen Fleiß und Arbeit etwas selbst verrichten kan / so soll er nicht auf fremde Leute / sie seyn Nachbarn oder Verwandte / warten noch sich verlassen / davon höret eine Fabel in des alten Poeten Ennii Satyris beschrieben / die lautet also:

Die Lerche ist ein kleiner Vogel / wohnet und nistet im Korn / zu der Zeit / wann die Erndte schier verhanden. Auf einmal als das Korn schon reiff war / und die alte[191] Lerche ausfliegen wolte / ihren Jungen Speise zu holen / vermahnete sie sie fleißig / sie solten wol aufmercken / was etwa in ihrem Abwesen allda sich zutrüge oder geredet würde. Da kömmt der Herr des Korns mit seinem Sohn / und spricht: Siehest du / daß dieses Korn schon reiff ist? Gehe hin zu unsern Nachbarn / und bitte / daß sie Morgen frühe hieher kommen / und uns das Korn helffen abmeyen: Gehet damit nach Hause. Wie die Mutter der Lerchen wiederkommt zu ihren Jungen / da erzehlen sie ihr mit Zittern / was der Herr zu thun beschlossen hätte. Die Mutter antwortete / sie solten zu frieden seyn / und sich nicht bekümmern: Dann (sagte sie) hat er seine Erndte den Nachbarn anvertrauet / so wird morgen das Korn nicht abgemeyet. Des andern Tages fleucht die Lerche wiederum aus / befielet abermal aufzumercken / was geredet würde. Da kömmt der Herr wieder mit seinem Sohne / sprechend: Unsere Nachbarn sind grosse Verzöger: Laß uns gehen / und unsere Blut-Freunde bitten / daß sie Morgen verhanden seyn / uns uns meyen helffen. Die alte Lerche kömmt wieder /und vernimmt von den traurigen und zitternden Jungen / was geredet und geschehen ist. Die Mutter ermahnet ihre Jungen abermahl / sie solten gutes Muths seyn: Dann kein Bluts-Verwandter sey so fertig / daß er alsbald gehorsam sey. Des dritten Morgens fleucht die Mutter wieder aus: Die Bluts-Verwandten werden zwar erwartet / kommen aber nicht. Da spricht endlich der Herr zu seinem Sohne: Laß fahren Nachbarn und Verwandten; Morgen frühe solt du eine Sense nehmen / und ich auch eine / damit wollen wir unser Korn selbst abmeyen. Wie das die alte Lerche von ihren[192] Jungen vernimmt / daß der Herr so gesinnet / da spricht sie: Nun ist es Zeit zu weichen / weil der / den die Sache angehet / selber die Hand anlegen will. Lasset uns derhalben unsere Stätte verändern / und ein ander Nest suchen. Hat sich also mit ihren Jungen davon gemacht / und der Herr des andern Tages seine Erndte selber verrichtet.

Diese Fabel beschleust der alte Vater Ennius mit folgenden herrlichen Versen:


Hoc erit tibi argumentum semper in promptu situm:

Ne quid exspectes amicos, quod tuto agere posses.


Diß laß dir allezeit zu einer Warnung dienen /

Wann du dich einer Sach alleine darffst erkühnen /

So warte (sicher) nicht auf deiner Freunde Rath /

Denn solche Säumigkeit offtmahls betrogen hat.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 191-193.
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