2. Die schöne / keusche und vernünfftige[174] Penelope.

Penelope ist des verschmitzten Ulyssis Haus-Frau gewesen / und wird von den Poeten nicht allein wegen[174] ihrer Schönheit / sondern vielmehr wegen ihrer Keuschheit geruhmet. Dann als ihr Ehe Mann der Ulysses, zwantzig gantzer Jahr von ihr abwesend war: Als zehen Jahr im Kriege für Troja / und zehen Jahr in der Irre herum reisend / haben sich unterdessen bey der Penelope viel Freyer / die sie zur Ehre begehret /angegeben. Seynd auch so häuffig zu ihr kommen /daß ihr gantzes Hauß von jungen Männern / die von Jahr zu Jahr allda gefressen / gesoffen / und ihr Gut verzehret / voll worden. Sie aber die Penelope, hoffend noch allezeit / ihr Herr und Mann der Ulysses, würde wiederkommen / hat die Freyer mit guten Worten lange aufgehalten. Biß endlich die Freyer ungedultig worden / und mit Ernst begehret / sie solte einen aus ihrem Mittel nehmen / den sie zum Ehe-Mann haben wolte. Da nun Penelope gesehen / daß sie also gezwungen worden / hat sie diese List erdacht. Sie hat ihre Freyer alle für sich gefodert / ihnen gezeiget ein Gewebe / und ihnen verheissen / so bald sie das würde zum Ende gebracht / und gewürcket haben /wolte sie sie nicht länger aufhalten / sondern einen unter ihnen zum Ehe-Mann nehmen. Das haben ihnen die Freyer gefallen lassen. Was thut aber die Penelope? Des Tages ist sie zwar fleißig in Verfertigung des Gewebs: aber bey Nacht entwebet und löset sie alles wieder auf / was sie den Tag über gemacht hatte. Durch welchen Betrug sie ihre Freyer so lange aufgehalten / biß endlich Ulysses selbst wieder zu Hause (doch unbekannter Weise) kommen / und allen Freyern den Tod angethan: Etliche mit Pfeilen erschossen: Etliche zerhauen: Etliche aufgehencket. Aus dieser Historien ist genommen das bekannte Sprichwort: Telam Penelopes[175] texere, das ist / vergeblich arbeiten / und was man einmal guts gemacht / solches bald wieder verderben / und zu nichte machen.


Zucht und Ehre behält dennoch den Ruhm: Ob sie schon zu Zeiten angefochten wird / wird sie doch nicht unterdrücket / sondern machet ihre Feinde zu schanden. Mercke auch ein schön Exempel einer beständigen / getreuen ehrlichen Liebe.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 174-176.
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