29. Ob ein Mensch das gantze Meer könne austrincken?

[219] Der Philosophus Xantus, (wie in des Æsopi Lebens-Beschreibung vermeldet wird) saß einmal bey seinen Schülern und zechte. Da aber einer unter denselben merckete / daß der Meister Xantus vom Wein beschweret war / sprach er zu ihm: Sage mir / Meister /wäre es möglich / daß ein Mensch das gantze Meer möchte austrincken? Xantus sprach / warum nicht? Ich wolte es wol selber austrincken. Der Schüler sprach: Was soll es gelten? was wilt du verlohren haben / wofern du es nicht thust? Mein Hauß / sprach Xantus. Also wetteten sie / und setzte Xantus zu Pfande seinen Ring / den er vom Finger zoge. Des Morgens frühe als Xantus aufgestanden / und sein Angesicht waschen wolte / sahe er / daß sein Ring weg war / fragte derowegen den Æsopum, wo sein Ring hin kommen? Æsopus antwortete: Herr / du hast gestern gewettet / du wollest das gantze Meer austrincken / du hast den Ring gesetzet zum Zeugniß der Wettung. Da Xantus solches höret / erschrack er: Bath den Æsopum, wo er sinnreich wäre / solte er ihm helffen / daß er entweder gewinne / oder daß die Wettung wieder zurück gienge? Æsopus sprach: Gewinnen kanst du nicht / aber das Wetten will ich dir abschaffen. Sage an / sprach Xantus, wie kan ich das vollbringen? Æsopus antwortete: Du hast versprochen das gantze Meer auszutrincken. Nun weist du wol / daß in das Meer von allen Orten und Enden viel Flüsse und Brunnen lauffen: Derhalben sage deinem Widerpart / du wollest zwar das Meer austrincken / er solle aber erstlich von dem Meer ableiten alle Brunnen und Flüsse / so ins Meer lauffen / so wollest du vollbringen / was du versprochen. Ob dieser Rede ward Xantus sehr erfreuet: Unterdessen kam[220] der /welcher mit Xanto gewettet / und begehrte von ihm in Gegenwart der Fürnehmsten in der Stadt / die Dinge zu vollbringen / die er versprochen hatte. Xantus gieng ans Gestade des Meers / hieß dahin einen Tisch / Stuel und andere Sachen setzen. Da nun das Volck dahin kommen war / zuzusehen / saß Xantus auf seinem Stuel. Hieß einen grossen güldenen Becher mit See-Wasser ausspühlen / und voll desselben Wassers einschencken: Nahm den Becher in die Hand / und sprach: Ihr Männer von Samo, daß ich versprochen habe das gantze Meer auszutrincken / leugne ich nicht. Euch allen aber ist wissend / daß viel fliessende Wasser / und viel Bäche ins Meer fallen. Wann nun mein Widerpart dieselbe anders wohin führen wird /und verhindern / daß sie sich nicht ins Meer ergiessen / so bin ich bereit das Meer auszutrincken / dann ich nur vom Meer allein / und nicht von den Flüssen geredet. So bald er das gesagt / freuete sich jederman mit Xanto, und schrien ihm zu. Der Schüler aber fiel ihm zu Fusse / sprechend: O grosser Meister / ich erkenne / daß ich von dir überwunden bin / darum bitte ich /daß unsere Wette möge cassirt und zurück gethan werden / solches bewilliget ihn Xantus.


Man vermisset sich offtmals beym Trunck / dasselbe was man unmöglich kan verrichten / und hernach Angst hat / wie man ohne Schimpff und Spott dem Dinge möge abkommen. Eines klugen Dieners guten Rath soll man nicht ausschlagen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 219-221.
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