31. Vom Gespenst.

[223] Vom Plinio secundo in seinem Send-Brieffe ist beschrieben folgende Historia:

Zu Athen in Griechenland war ein schön / groß und wohlgelegen Hauß / welches aber diesen Mangel hatte / daß die Gepenster und Poltergeister greulich darinnen regiereten. Daher es auch von niemand konte bewohnet werden / sondern ledig und ohne Inwohner verbliebe. Das Gespenste / das sich allda sehen ließ /war so gestalt; Zu Mitternacht ward im Hause gehöret ein Gepolter von Eisenzeug / als wann eiserne Ketten geschleppet würden: Erstlich von ferne / hernach etwas näher. Darauf ließ sich sehen ein alter / magerer / heßlicher Mann / mit einem langen grauen Barte und Haaren / schrecklich anzusehen. Hatte um die Füsse eiserne Fessel: Um die Arme grosse schwere Ketten gebunden / welche er mit grossem Geläut schüttelte. Wer dieses Gespenste von den Inwohnern des Hauseß sahe / derselbe ward schleunig kranck / und büssete das Leben darüber ein. Aus dieser Ursachen wolte niemand das Haus miethen / noch darinnen wohnen. Nichts destoweniger ward es durch eine angehefftete Schrifft zu vermiethen ausgebothen / ob es vielleicht jemand unwissend kauffen oder miethen möchte. Unterdessen kömmt der Philosophus Athenodorus zu Athen: Lieset die Schrifft an dem Hause / und ob man ihn schon berichtet des Hauses Gelegenheit / hat er doch solches nicht geachtet / sondern darum vielmehr das Hauß für ein gewisses Geld gemiethet: Und ist mit seinem Haußgesinde darein gezogen. Gegen die Nacht hat er seinem Gesinde befohlen / sie solten sich im innern Theile des[224] Hauses schlaffen legen. Er selbst ließ sich mitten in dem Hause einen Tisch setzen: Nahm seine Schreib-Tafel / seine Kertze und seine Stücken: Setzte sich an den Tisch / fieng an zu schreiben / und zu meditiren / auf daß seine Gedancken nicht müßig wären. Erstlich war es gantz still im Hause / wie es zu Nachtzeiten pfleget zu seyn: Nicht lange darauf fähet es an mit der eisernen Ketten zu tumultuiren. Athenodorus kehrete sich an nichts / sitzet und fähret in seiner Arbeit fort. Das Gespenst aber machet es immer ärger / läufft jetzt aus dem Hause /jetzt wieder darein: Kömmt auch endlich nahe zum Athenodoro, und stehet ihm zur Seiten: Athenodorus hebet die Augen auf / siehet es an / und befindet es eben also / wie man ihm gesaget hatte. Das Gespenst stund und wincket dem Athenodoro mit der Hand /als wann er solte zu ihm kommen / Athenodorus wincket ihm wieder mit dem Kopffe / es solte warten: Und fähet hiemit wieder an zu schreiben / und zu componiren. Das Gespenst schüttelte dem Athenodoro die Ketten über den Kopff. Athenodorus siehet sich wieder um / und vermercket / daß ihm das Gespenst abermahl wincket / da stehet er auf: Das Gespenst gehet für ihm her. Er löschet das Licht aus /folget dem Gespenste nach biß in den Garten. Da verschwindet das Gespenste alsobald. Athenodorus nimmet im finstern eine Hand voll Krauts / wirfft solches auf den Ort / da das Gespenste sich verlohren. Des Morgens gehet er nach den Richtern der Stadt / erzehlet was ihm widerfahren: Die Richter befehlen auf derselben Stätte zu graben / und zu vernehmen / was da verbergen: Da hat man gefunden etliche todte Menschen-Knochen / mit Ketten und Fesseln gebunden.[225] Dieselben hat der Rath in einen Sarg legen lassen / und mit gewöhnlichen Ceremonien zur Erden bestättiget. Hernacher ist das Hauß von den Gespensten frey blieben / und hat man niemals etwas darinn vernommen.


Die Todten bleiben wol todt / und liegen wol: Der Teuffel aber gauckelt den Leuten für / den Aberglauben zu vermehren.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 223-226.
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